Liegestützen auf dem Altar – Busse für Videoaktion in Kirche

Saarbrücken, 18.1.17 (kath.ch) Zum Schluss seiner Performance wischt Alexander Karle noch einmal mit der Hand über den Altartisch. Doch das ist keine fürsorgliche, reinigende Geste eines Kirchenbesuchers, sondern aus Sicht vieler Gläubiger der letzte Akt eines Frevels. Denn Karle hat zuvor das Absperrband zum Altarraum der Saarbrücker Basilika Sankt Johann überwunden, ist auf den Altar geklettert und hat dort rund 30 Liegestützen gemacht. Still, kommentarlos, für ein Kunstprojekt.

92 Sekunden dauert das Video von der Aktion. «Pressure to performe» (Leistungsdruck) lautet der Titel. Auf Youtube wurde es in dem Kanal «Urban Shit» hochgeladen. Karle hält das für Urban Art, städtische Kunst, andere halten es eher für genau das, was der Kanal verspricht. Viele Gläubige hätten das als Provokation empfunden, sagt Eugen Vogt, Pfarrer in St. Johann Saarbrücken. Er selbst kenne den Künstler nicht persönlich.

Wo sind die Grenzen der Kunst?

Im Januar 2016 sei die Aktion erstmals im Schaufenster eines «Döner»-Ladens zu sehen gewesen. «Ich wusste weder, wer dieses Video gemacht hat, noch um was es da genau gegangen sein soll», erzählt Vogt. Die Pfarrei meldete den Vorfall der Polizei, daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. «Wir sind an einer Klärung der Frage interessiert: Wo sind die Grenzen der Kunstfreiheit, die ja ein hohes Gut ist», versichert Vogt – und betont: «Es geht hier aber auch um den Respekt vor religiösen Symbolen.»

Am Dienstag musste sich Karle vor dem Amtsgericht Saarbrücken verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst wegen Störung der Religionsausübung und Haufriedensbruch einen Strafbefehl über 1500 Euro beantragt. Weil Karle Widerspruch eingelegt hatte, kam es zu dem Prozess. Viele jüngere Zuschauer sind einer Facebook-Einladung des Künstlers gefolgt.

Altar wissentlich zweckentfremdet

«Der Kunstbegriff», das sah auch Staatsanwältin Carola Hilgers-Hegger wie der Pastor, «ist weit zu fassen.» Aber auch Künstler müssten Schranken einhalten. Mit seiner Handlung habe Karle «den Altar als einen sakralen, der Religionsausübung dienenden, hierzu eigens geweihten Gegenstand» wissentlich zweckentfremdet. Mit den Turnübungen habe er an einem für den Gottesdienst bestimmten Ort «beschimpfenden Unfug verübt».

«Es mag Unfug gewesen sein», konterte Verteidiger Robin Sincar, «aber Beschimpfung war es nicht.» Unter einer Beschimpfung stelle er sich eine ungehörige Handlung, etwa Beschmierungen oder Urinieren vor. Karle, der selbst ein nicht regelmässig praktizierender Katholik sei, habe seine Liegestützen hingegen behutsam vollzogen. Der Hausfriedensbruch sei durch die Kunstfreiheit gedeckt gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe Karle Gläubige beleidigen wollen. Sincar plädiert auf Freispruch.

Kritik an der Gesellschaft

Karle selbst, 38 Jahre alt, ein freischaffender Künstler mit vollem Bart, aber geringem Einkommen, sagt, bei dem Dreh Anfang Januar 2016 seien mehrere Gläubige anwesend gewesen, doch «es hat sich niemand von den Personen gestört gefühlt». Bei dem Projekt gehe es um Kritik an der Leistungsgesellschaft. Die Aktion hänge mit der Symbolkraft des Altars zusammen. Er würde das Video im Nachgang zwar jederzeit wieder aufnehmen, aber «mehr darauf hinweisen, dass ich niemanden damit beleidigen wollte». Falls das passiert sein soll, dann tue es ihm leid.

Auf die Kunstfreiheit ging auch Richterin Judith Simon ein. Sie erinnerte den Künstler daran, dass diese «nicht uferlos verfassungsrechtlich garantiert ist, weil sie Schranken in den Rechten Dritter findet». Sie sah den Straftatbestand des beschimpfenden Unfugs an einem Ort des Gottesdienstes als erwiesen an: «Wenn ein Altar einer Turnwand gleichgesetzt wird, dann wird objektiv Missachtung zum Ausdruck gebracht», so die Richterin.

Berufung gegen Urteil angekündigt

Simon verurteilt Karle wegen Hausfriedensbruch und Störung der Religionsausübung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 Euro, also 700 Euro. Zudem muss er die Verfahrenskosten tragen. Sein Verteidiger kündigt Berufung an.

Das Verfahren wird also eine Fortsetzung finden – genau wie der Dialog zwischen Kunst und Kirche. Der Saarbrücker Jugendpfarrer Christian Heinz findet zwar auch: «Liegestützen auf dem Altar sind für mich als Priester ein No-Go». Dennoch kündigt er an: «Wir machen in der Fastenzeit eine gemeinsame Aktion und diskutieren mit Jugendlichen über das Video.»

18. Januar 2017 | 11:07
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