Gedanken zum Sonntag: Zuerst das Kompliment

Zum 22.Oktober 2017 – 29. Sonntag im Jahreskreis

Zuerst das Kompliment

Ingrid Grave *

Haben wir nicht genau das gelernt im Rahmen von Kommunikation und Gesprächsführung? Zuerst sage ich meinem Gegenüber, «was ich an dir gut finde, was du gut machst…»! In einem weiteren Schritt dann zu dem überleiten, was der oder die Angesprochene noch verbessern könnte. Und das soll in echtem Wohlwollen geschehen.

«Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst… ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person…» Mit diesem Kompliment eröffnen die Pharisäer und ihre Schüler das Gespräch mit Jesus (Mt 22, 15 – 22).

Wahrlich, ein total positiver Einstieg mit einem starken Kompliment!  Wer wagt es schon, immer die volle Wahrheit zu sagen?  Ohne Rücksicht auf Personen, die einem gefährlich werden könnten!

Die Pharisäer liegen genau richtig mit ihrer Einschätzung der Person Jesu. Doch in ihren Absichten sind sie verschlagen und hinterhältig. Sie möchten ihm eine Stellungnahme entlocken, die ihm politisch oder religiös zum Verhängnis werden könnten. Und das – so scheinen sie zu glauben – könne ihnen gelingen, wenn sie bei ihm auf eine gewisse Naivität und Eitelkeit setzen. Beides aber ist bei Jesus nicht gegeben.

Was tun sie?

Sie legen ihm eine Münze vor mit der Frage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser in Rom Steuern zu zahlen. Der Kaiser steht für Macht. Sein Bildnis ist den Münzen eingeprägt.  In seinen Statthaltern herrscht er über das jüdische Volk, dessen Gott er nicht anerkennt.

Jede eingezahlte Steuermünze ist für den Kaiser ein Machtzuwachs, für das jüdische Staatsgebilde dagegen eine Schwächung. Das ist der politische Aspekt.

Im Bereich des Religiösen kommt es einer Gotteslästerung gleich, wenn sich jüdische Menschen bereichern durch Münzen, auf denen der gottähnliche Kaiser abgebildet ist. Es gibt nur einen Gott: Jahwe, den Gott der Juden.

Ist es unter diesen Gesichtspunkten erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen?

Egal, wie Jesus die Frage beantworten wird, mit Ja oder Nein, beides ist verfänglich. Entweder handelt er sich eine Verurteilung durch die religiöse Behörde ein, oder er gerät in Konflikt mit dem römischen Machtapparat. Äusserst raffiniert, wie die Fragesteller vorgehen!

Und Jesus?

Er weist hin auf das Bildnis des Kaisers: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.» Und er bezeichnet die Komplimentemacher als Heuchler.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie in der Seelsorge und in der Oekumene  engagiert ist.

 

 

21. Oktober 2017 | 08:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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