Gedanken zum Feiertag: So steht's geschrieben

Gedanken zum Feiertag, 5./8.Mai 2016 – Christi Himmelfahrt

So steht’s geschrieben

Ingrid Grave*

Gut, wenn etwas geschrieben steht! Das ist eine Absicherung: Schwarz auf weiss!
Dagegen aber steht die Redewendung, dass einer lügt wie gedruckt.

Die Bibel und alle heiligen Bücher sind etwas Geschriebenes und Gedrucktes. Und gerade in den biblischen Texten des Neuen Testamentes lesen wir auffallend oft, dass dieses oder jenes geschehen musste, damit die Schrift erfüllt wird; oder es heisst: Wie geschrieben steht in den heiligen Schriften. – Ist das die Garantie dafür, dass das Geschilderte wirklich wahr ist?
Der Evangelist Lukas legt Jesus das Wort in den Mund: So steht es in der Schrift: Der Messias wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen. Jesus äussert sich in dieser Weise kurz vor dem Ereignis, das wir in diesen Tagen als Fest begehen: Auffahrt Jesu (Lk 24, 46 – 53). Ist dieser Rückverweis auf das Geschriebene in der Tradition des Judentums der Beweis dafür, dass seine Auferstehung eine Tatsache ist?

In den Tagen nach dem schrecklichen Tod Jesu am Kreuz haben seine Jünger und Jüngerinnen sich in ihrer Verschrecktheit wiederholt getroffen, und Jesus hat sich ihnen – so wird berichtet – als der Lebendige, als der Auferstandene gezeigt. Um einen solchen Moment der Begegnung handelt es sich bei Lukas. Glauben ihm jene, die ihn «sehen»? Glauben sie, dass der Tote unerwartet als Lebender vor ihnen steht? Der Text lässt es offen. Sie schweigen, zeigen keinerlei Regung auf das hin, was er spricht. Dann ergreift Jesus die Initiative und führt sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Keine Worte mehr seinerseits, nur die Geste der erhobenen Hände, um jene zu segnen, die immer noch schweigen. Dann wird er selbst emporgehoben. Es ist ein Moment tiefster Bewegung. Sie scheinen erschüttert. Sie fallen nieder vor dem, der ihnen entschwindet.

Was ist geschehen? Wem glauben die Zurückbleibenden? Dem, was geschrieben steht? Dem, was sie innerlich erleben, wofür sie Bilder suchen, weil es in Worten nicht sagbar ist? Vor ihrem inneren Auge Worte der Weisheit und des Trostes aus ihren alten heiligen Schriften, die auf den zutreffen, der für sie nicht mehr fassbar ist. Die innere Gewissheit, dass er ihnen über Kreuz und Tod hinaus erhalten bleibt, lässt sie auf die Knie sinken und – unglaublich – sie sind voll Freude.

So steht es geschrieben. Für uns. Für unser inneres Auge.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie in der Ökumene und in der Seelsorge engagiert ist.

8. April 2016 | 10:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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