Schwester Ingrid Grave

Gedanken zum Sonntag: Rausch, Trunkenheit und Sorgen

Gedanken zum Sonntag, 2. Dezember 2018 – 1. Adventssonntag (Lukasevangelium 21,25-28, 34-36)

Ingrid Grave*

Ich mag keine Horrorfilme. Der reale Alltag bietet mir hinreichend Berührungen mit Szenarien des Horrors. Menschen, die im Alkohol versumpfen, Missbrauchsgeschichten aus Kirche und Familie, Berichterstattungen über Kriegsschauplätze unserer Tage – es ist genug. Und jetzt noch Horror aus der Bibel! Offensichtlich haben sogar die Evangelisten Freude an Schilderungen dieser Art: Das Meer wird tosen und donnern; die Menschen vergehen in Angst ob der Dinge, die da kommen werden. Und all das wird uns im katholischen Gottesdienst am ersten Adventssonntag vorgelesen, wo wir doch gerne etwas Idyllisches hören möchten. Etwas, das uns schon auf die Lieblichkeit des Weihnachtsfestes einstimmen könnte!

Advent heisst Ankunft. Es handelt sich um die Ankunft eines Kindes, das uns von der kirchlichen Tradition als Gottes Sohn vorgestellt wird. Jedoch, der Evangelist Lukas kündigt hier nicht ein Kind an, sondern er spricht von der Ankunft des Menschensohnes auf den Wolken. Ganz am Ende der Zeiten wird das geschehen.

An Weihnachten erfahren wir, dass Engel vom Himmel herabschweben auf die Schafweiden bei Bethlehem. Ohne Frage, die Hirten werden ihre Köpfe erhoben haben ob des wunderbaren Anblicks. Diese Engel verkünden ihnen die Geburt des göttlichen Kindes in einem Viehunterstand. So beschreibt es Lukas ziemlich am Anfang seines «Buches». Und genau dieses Kind ist es, das er am Ende der Zeiten als Menschensohn wiederkehren lässt. Bei dieser Wiederkehr, bei dieser zweiten Ankunft, werden die Kräfte der Erde erschüttert werden. Furchtbar!

Seit der ersten Ankunft ist viel Ungeheuerliches geschehen. Die Menschheit in unseren Tagen verliert sich in einer Art Geschwindigkeitsrausch. Dazu Völlerei und Trunkenheit. Gleichzeitig drohen wir in Angst und Sorgen zu ersticken ob der Dinge, die noch kommen könnten. Genau dagegen steht das Kind, der Menschensohn, von allen Evangelisten vorgestellt als der Retter der Menschheit.

An dem Punkt, wo bei Lukas das Chaos endgültig hereinzubrechen scheint, leitet er in seinem Text eine inhaltliche Kehrtwende ein. Dann, wenn Horror und Angst am grössten sind, dann – so sagt er – richtet euch auf, erhebt euer Haupt, denn eure Erlösung ist nahe.

Ob göttliches Kind im Stall, ob Menschensohn auf den Wolken… – da muss doch etwas Erlösendes dran sein!

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie sich in der Seelsorge engagiert.

Schwester Ingrid Grave | © zVg
1. Dezember 2018 | 16:55
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