Gedanken zum Sonntag: Unter Spannung

Zum Sonntag, 14. Oktober 2018 (Markusevangelium 10,17-30)

Thomas Wallimann-Sasaki*

Mit grosser Überraschung stellte ich fest, dass sich bei meinem Cello das Griffbrett von seiner Unterlage gelöst hatte. So konnte ich unmöglich weiterspielen – das Instrument könnte unter der Spannung der Saiten zerbrechen. Also brachte ich es zum «Cello-Doktor» und musste auf seine Klänge verzichten. Einige Wochen später konnte ich mein Instrument wieder abholen. Und es tönte schön.

Ich freute mich auf die Probe für ein kleines Konzert mit unserer Gruppe am nächsten Tag. Nun galt es das frisch «renovierte» Cello zu spielen. Voller Erwartung spielten wir die ersten Noten und es klang schrecklich! Das feucht-warme Sommerwetter liess die Stimmung der Orgel ansteigen. Nachstimmen war angesagt. Ich war frustriert, denn ich wollte ohne grossen Aufwand einfach spielen und die richtigen Töne haben.

So ähnlich muss es dem jungen Mann gehen, der – wie im heutigen Evangelium erzählt wird – zu Jesus kommt. Er will nur wissen, was er noch machen muss, um das ewige Leben zu haben. Er ging davon aus, alles richtig zu machen, da er ja die 10 Gebote einhalte – ganz wie auch ich davon ausging, dass das Cello spielbereit ist. Doch der junge Mann wird von Jesus wie ich durch die anders klingende Orgel in der Erwartung gestört.

Natürlich stimmen die 10 Gebote und das Cello. Doch Jesus verlangt vom jungen und reichen Mann, alles zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben. Er soll sich lösen von allem, was er hat. Es braucht nämlich in den Augen von Jesus noch etwas mehr als alles richtig zu machen und präzise Erwartungen zu haben, um das ewige Leben zu erreichen. Dies will Jesus zum Klingen bringen.

Vollkommenheit und Erlösung durch das ewige Leben scheinen das Gegenteil von Besitz und Haben zu sein. Dies realisieren nun auch die Jünger und erschrecken. Auch sie gingen davon aus, es reicht, das Richtige zu machen, um in den Himmel zu kommen. Wer also einzig im «Haben-Machen-Modus» lebt wird darum nie ein Kamel durch ein Nadelöhr bringen, nie Vollkommenheit erfahren. Nur Urvertrauen in Gott und das Leben kann dies möglich machen. Weil aber unser Leben als Menschen aus Haben und Machen sowie dem Sein als Sehnsucht nach Vollkommenheit besteht, will Jesus dem jungen Mann die Möglichkeit schenken, Urvertrauen zu erfahren.

Das heutige Evangelium lädt uns ein, dieses Urvertrauen im Leben zwischen Haben/Machen und Sein zu entdecken und diese Spannung immer wieder – wie bei meinem Cello – zu justieren. Jedes Mal, wenn ich das Cello in die Hand nehme, gilt es, die Spannung der Saiten neu einzustellen. Wenn ich mich darauf einlasse, erfahre ich das Spielen als himmlisch, gnadenvoll und wohltuend für meine Seele!

* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

13. Oktober 2018 | 09:19
Lesezeit: ca. 2 Min.
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