Gedanken zum Sonntag: Heilige Störenfriede

Zum Sonntag 7. Oktober 2018 – 27. Sonntag im Jahreskreis (Markusevangelium 10,2–16)

Jacqueline Keune*

In jedem Kinderzimmer hing bei uns daheim ein Bild von Jesus, umringt von Kleinen. Aber im Gegensatz zu Mama und Papa, denen wir sieben problemlos den letzten Nerv ausreissen konnten (wie es dann jeweils hiess), gelang das uns, beziehungsweise den Kindern auf den Bildern bei Jesus nie. Die konnten noch so viel auf seinen Knien herumturnen, an seinem Rocksaum zerren, an seinem Bart zupfen oder mit ihren staubigen Fingern in seine Wallemähne greifen – Jesus lächeltet unablässig süss-sanft von den Bildern auf unsere Betten hinab. Aber – so nachgiebig die Bilder, so unnachgiebig die Wirklichkeit.

Wenn die Schrift von Kindern spricht, dann kaum von unbeschwerten Tagen. Biblische Kinder sammeln Holz, hüten Vieh, arbeiten im Haus, sind krank, sterben. Verarmte Familien verpfändeten ihre Kinder in die Sklaverei oder verkauften sie für ein paar Sack Weizen. Kinder galten nichts in der Antike und standen für alle gesellschaftlich Kleingemachten, für alle ohne Einfluss und Ansehen.

Es erstaunt deshalb überhaupt nicht, dass die Jünger die Mütter, die ihre Kinder zu Jesus bringen wollen, wie lästige Fliegen zu verscheuchen versuchen. Aber «als Jesus das sah, wurde er zornig und sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes.» Solchen wie ihnen, die sich keinen Deut um Status scheren, die viel mehr Fragen denn Antworten haben, sich unheimlich gern beschenken lassen und unbändig wollen. Und wenn nicht geht, was sie wollen, dann wird gekämpft!

– Solchen wie ihnen, die über das Unscheinbarste staunen, die unbekümmert und mitfühlend, arglos und gern sich selber sind. Die ihre Gefühle zeigen, die kräftig wünschen, rasch vergeben und wie am Spiess schreien, wenn Unrecht geschieht. Solchen, die niemals liegenbleiben, wenn sie hingefallen und die in Gott sind wie der Fisch im Wasser.

Noch immer sammeln Kinder Holz, hüten Vieh, arbeiten in der Fabrik, sind krank, sterben. Täglich Zehntausende von ihnen – aus absolut vermeidbaren Gründen – noch vor ihrem fünften Geburtstag.

Und er auf dem Bild über unseren Betten, er will, dass wir sie in unsere Arme nehmen, dass wir sie auf Augenhöhe heben, sie mit unserer Zärtlichkeit, mit unseren Spenden, mit Ernährungssouveränität, mit Konzernverantwortungsinitiativen und Bildungsprogrammen segnen und uns erinnern: Solchen wie ihnen wird Gottes neue Welt gehören.

*Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und lebt in Luzern.

6. Oktober 2018 | 11:07
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