Gedanken zum Sonntag: ...verleugne sich selbst!

Zum Sonntag: 16. September, Eidgenössischer Dank-, Buss- und Bettag (Markusevangelium 8, 27-35)

Thomas Wallimann-Sasaki*

Es sollte einer der heissesten Tage dieses Sommers werden, als uns beim Zmorgen eine junge Pilgerin ihre Geschichte erzählt. Als ausgebildete Innendekorateurin mit einer guten Arbeit in einer erfolgreichen Firma – so Judith – habe sie versucht, ihr Pensum zu reduzieren, unterschiedliche Aufgaben zu übernehmen oder von zu Hause aus zu arbeiten. Doch all dies veränderte ihr Gefühl von Unerfülltheit nicht, auch die Motivation wurde nicht besser und die Zukunftsangst eher noch grösser. Auf einmal habe sie realisiert, dass sie ihren Job aufgeben müsse – ohne neuen Plan! Und sie brach auf und begann zu laufen. Judith macht etwas, wovon das heutige Evangelium erzählt: verleugnet sich, nimmt ihr Kreuz und folgt Jesus nach.

Dabei tönt «sich verleugnen» in unserer heutigen ich-orientierten Zeit unglaublich hart. Werfen wir einen Blick auf die Bedeutung und Herkunft des Begriffs, dann steht er für anders handeln, als es den (bisherigen) eigenen oder gesellschaftlichen Verpflichtungen und Verbindlichkeiten entspricht. Dieses Wagnis ist Judith eingegangen – wider viele Gründe und ohne Sicherheitsgarantien. Wie sieht das bei uns selber aus? Was würde uns dazu bringen, ein solches Risiko einzugehen?

Ähnlich ist es auch mit dem Kreuztragen. «Was mache ich falsch, wenn ich nicht leide – wenn ich kein Kreuz zu tragen habe?» fragte einmal ein Studienkollege ungeduldig. Doch Kreuztragen ist keine Lösung für das Leben – vielmehr ist es die Akzeptanz gegenwärtiger Probleme und Leiden. Es ist Annehmen, dass wir nicht im Himmel, sondern auf der Erde mit ihren vielen Unvollkommenheiten leben. Dies lässt Judith das Wagnis eingehen, alles aufzugeben. Mutig akzeptiert sie ihre Situation – ohne sofortige Lösung für ihre Fragen.

Wohin führt dieses Wagnis? Jesus verspricht im heutigen Evangelium: Folge mir nach und du findest neues Leben! Es ist die Einladung, in unsere Seele, unser Innerstes hineinzuhören und das Wesentliche, unseren Lebenszweck, zu erkennen. So kann gelingen, in der Spannung zwischen den Begrenzungen des Lebens und den Träumen des Himmels zu leben.

Judith will nicht einen Beruf finden, sondern ihre Berufung: «Ich will herausfinden, was der Zweck meines Lebens auf dieser Erde ist. Ich weiss, dass ich nicht in einem Büro arbeiten kann und ich will etwas tun, das den Menschen dient und die Welt etwas besser macht.»

Wir feiern heute auch den Bettag, den einzigen Feiertag, den die Eidgenossenschaft «erfunden» hat. Damit zeigt unser Staat, dass er auf die christliche Wertorientierung angewiesen und auch auf sie gebaut ist. Wir dürfen uns darum auch Zeit nehmen und nach der Berufung des Staates und unserem Beitrag dazu zu fragen, damit die Welt eine bessere wird.

* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

 

15. September 2018 | 08:47
Lesezeit: ca. 2 Min.
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