Gedanken zum Sonntag: Lebensversicherung

Zum 15. Juli 2018 – 15. Sonntag im Jahreskreis (Markusevangelium 6,7–13)

Von Jacqueline Keune*

Ich stelle mir vor, ich gehe auf Reisen und verlasse mein Daheim nur mit dem, was ich grad am Leib trage: ein Kleid und Sandaletten an den Füssen. Ich nehme kein weiteres Kleid mit, keine festen Schuhe, kein Geld, kein Abo, keinen Ausweis, nichts zu essen. – Ich stelle mir vor, wie ich so einige Stunden gehen und an einem Brunnen trinken kann. Vielleicht liegen ein paar Äpfel unter einem Baum. Es ist heiss und meine Haut fühlt sich klebrig an. Ich denke an eine Dusche, eine Zahnbürste, ein Bett, als es dunkel und kälter zu werden beginnt und ich mich an einen Waldrand setze. Morgen gibt es Regen, denke ich, bevor ich einschlafe.

Der Rabbi schickt die Seinen fort, um für die Menschen heilsam zu sein und ihnen Gegengeschichten zu erzählen, Geschichten vom Reich Gottes. «Und er gebot ihnen, ausser einem Wanderstab nichts mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füssen nur Sandalen.»

Warum durften sie sich nicht wenigstens etwas Proviant mitnehmen und ein Köfferchen mit dem Nötigsten? In Bibelkommentaren lese ich, damit sie ganz frei und verfügbar für die Menschen wären und denke: Sowas können sich auch nur gut Genährte in geheizten Stuben ausstudieren. Zumindest ich wüsste nicht, wie ich mich im verdreckten Kleid, in nassen Sandalen, mit staubigem Haar und stechendem Hunger frei und verfügbar für andere fühlen könnte.

Aber was ich weiss: Dass ich in 50 Jahren nie erlebt habe, dass mir keiner geholfen hat, wenn ich Hilfe gebraucht, und mich keine mitgenommen hat, wenn ich mal Autostopp gemacht und sich immer gute Gespräche ergeben haben. Dass es eine wichtige, ja gar wunderbare Erfahrung sein kann, andere nötig zu haben, von anderen leben zu dürfen und das Beschenkt-Werden nicht mit einem Gegengeschenk verdanken zu können. Und dass einander vertrauen, füreinander sorgen und miteinander teilen, auch sein Innerstes – im Gegensatz zu allem Geld auf einem Konto – ein unerschöpflicher Vorrat ist. Und es keine grössere Sicherheit gibt denn in Beziehung und Teil einer starken Gemeinschaft zu sein.

Und ich stelle mir vor, wie sich der Rabbi, als die Seinen endlich aufgebrochen sind, ins Gras unter einen Olivenbaum legt, die Augen schliesst und denkt: O nein, frei ist nicht, wer viel hat. Frei ist, wer wenig braucht. Nicht bloss Münzen im Beutel, sondern auch Macht und Ansehen.

Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und lebt in Luzern.

Jacqueline Keune | © zVg
14. Juli 2018 | 12:06
Lesezeit: ca. 2 Min.
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