Gedanken zum Sonntag: Gott lebendig machen

Zum Sonntag, 29. April 2018, 5. Sonntag der Osterzeit (Johannes 15,1-8)

Von Thomas Wallimann-Sasaki*

«Du weisst, dass sie nichts geglaubt hat!» sagte mir eine Bekannte im Anschluss an die Abdankungsfeier für ihre verstorbene Freundin. Sie meint wohl kaum, wir hätten nicht feiern dürfen, vielmehr höre ich hinter ihrer Aussage die Frage, warum wir überhaupt feiern. Dies erinnert mich an die Geschichte im Johannesevangelium vom Weinstock und den Rebzweigen, wo die unfruchtbaren abgeschnitten werden. Häufig wird dies als Urteil über die «richtigen» und «falschen» Gläubigen interpretiert. Doch es lässt sich auch anders sehen.

Drei Elemente machen den Kern des Gleichnisses vom Weinstock aus: Die Rebzweige, der Weinstock und der Wurzelgrund. Mit den Rebzweigen sind wir Menschen gemeint, die letztlich Früchte tragen. Der Wurzelgrund steht für die Kraft und den Geist Gottes, ohne den nichts zum Wachsen und Gedeihen kommt. «Ich bin der wahre Weinstock» sagt Jesus und bringt zum Ausdruck, dass er uns mit Gott verbindet und durch ihn Gottes Kraft wirkt.

Für Christinnen und Christen wird Jesus zum Vorbild für ihr Leben, den Alltag und für die Welt. Darum haben sie das Gebot der Feindes- und Nächstenliebe umgesetzt, zu Kranken geschaut, Gefangene besucht, Fremden Herberge oder Armen zu essen gegeben.

Auch heute sind wir herausgefordert, dem Vorbild Jesu gemäss zu leben. Unsere Welt ist komplex geworden. Wir wissen, dass es nicht nur darum geht, Armen zu helfen, sondern die Armut und ihre strukturellen Ursachen zu bekämpfen. Dieses gesellschaftliche Engagement schöpft seine Kraft aus dem gleichen Wurzelgrund wie Jesus. Als Wegweiser für dieses gesellschaftliche Handeln gelten für die Kirche, dass unsere Institutionen für die Menschen da sein müssen. Dabei gilt es vorrangig Rücksicht auf die Benachteiligten zu nehmen und das Wohl wirklich aller Menschen zum Ziel zu haben.

Die verstorbene Freundin meiner Bekannten hat gewiss wenig von traditionellen Formen gehalten, aber ihr Leben war Rebzweige voller Trauben. Nicht das richtige oder falsche Feiern macht uns zu Christinnen und Christen, sondern dass wir verbunden mit dem Wurzelgrund Gott in diese Welt bringen. Dann tragen wir Früchte!

*Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

Thomas Wallimann-Sasaki | © zVg
28. April 2018 | 11:55
Teilen Sie diesen Artikel!