Jacqueline Keune

Gedanken zum Palmsonntag: Gott auf dem Esel

Zum 25. März 2018, Palmsonntag (Mk 14,1 – 15,47)

Jacqueline Keune*

Bukephalos gilt als berühmtestes Pferd der ganzen Antike. Ein Streitross erster Güte, das nicht allein seinen gepanzerten Herrn, sondern auch seinen eigenen Panzer tragen und zugleich die gegnerischen Fusstruppen im Galopp in Grund und Boden stampfen musste. Ein Kriegsross edelster Zucht, das Alexander den Grossen durch alle seine Schlachten führte. Ihn, der in läppischen elf Jahren die ganze damalige Welt verändert hat.

Neben Alexander, dem Eroberer auf seinem Kriegstier, kann Jeschua, der Habenichts auf seinem Eselchen, zusammenpacken – zumindest scheinbar. Denn es bleibt zu fragen, welcher Ritt der Geschichte sich als der wegweisendere erwiesen hat.

Jeschua, sonst immer zu Fuss unterwegs, reitet auf einem Esel in Jerusalem ein. Und auf einmal Menschen, die sich drängen, Kleider, die fliegen, abgerissene Zweige, die hochleben lassen und Hoffnung, die sich vielstimmig hinausschreit: Hoschia’na! Hilf doch!

Vielleicht stehen auch einige da, denen er schon geholfen hat: die aufrechte Frau, die selbstsichere Tochter des Jaïrus, der Mann mit der heilen Hand, der Blindgeborene, der den Weg zum ersten Mal allein gegangen ist. Und Jeschua, der die ganze Aufmerksamkeit nicht etwa über sich ergehen, sondern sich gefallen lässt, ja, der sie gesucht haben muss. Denn andernfalls hätte er die Stadt durch irgendein Seitentor zu Fuss betreten können. Aber nein: Jeschua kommt durchs Haupttor, nicht in der Stretchlimo, sondern auf dem Velo. Und nicht, um die Menschen seine Ohnmacht, sondern seine Macht schauen zu lassen und die Verheissung des Propheten Sacharja zu erfüllen: «Juble, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und demütig, und reitet auf einem Esel …»

Aber was für ein König! Einer, dessen Krone auf dem Estrich verstaubt, dem ein Stall oder auch ein Stein genügen, um abends sein Haupt hinzulegen. Einer, dessen Insignien das Recht und die Liebe sind, der sein Heer nach Hause schickt und sich lieber verletzlich macht. Ein Barfusskönig an der Seite der Armen, dem es nicht um sich und sein privates Reich, sondern um das Reich Gottes geht. Und der nicht sich selbst, sondern einen neuen Himmel und eine neue Erde verwirklichen will – mit und durch uns alle. Eine neue Erde mit einer neuen Art zu hören, zu sehen, zu reden. Mit einer neuen Weise zu lesen, zu rechnen, zu regieren, zu richten, zu lieben.

Der grosse Alexander auf seinem Bukephalos und der kleine Gott auf seinem Esel.

Jeden einzelnen Tag zeigt es sich neu, welcher Ritt in die Freiheit führt.

*Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und lebt in Luzern.

Jacqueline Keune | © zVg
24. März 2018 | 08:03
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