Gedanken zum Sonntag: Provokation pur

Zum 7. Januar – Taufe des Herrn (Jesaja 42,2-3 u. 4-6; Apostelgeschichte 10,34-38; Evangelium nach Markus 1,7-11)

Provokation pur

Thomas Wallimann-Sasaki*

Wieder einmal werde ich als Träumer ohne Realitätsbezug bezeichnet. Nachdem ich mich für mehr Gerechtigkeit in der Steuerpolitik ausgesprochen hatte, rief mich ein Mann an und meinte, dass ich aufhören solle zu träumen! Schliesslich lande mehr Steuergeld in der Staatskasse, wenn wegen des tiefen Steuersatzes mehr reiche Leute bei uns wohnen werden.

Natürlich weiss ich, dass Menschen so wenig Steuern wie möglich bezahlen wollen und dass die Welt nicht heil ist. Auch weiss ich, dass wirtschaftliches Denken fast alle Lebensbereiche prägt und dass die Kirche keine Macht hat, die Steuergesetze zu bestimmen.

Gerade darum verspricht uns Jesaja in der Lesung, dass es Getreide, Wein und Milch ohne Bezahlung zu kaufen gibt! Darum steht ein Mann wie Johannes in der Wüste und darum lässt sich ein anderer Mann von ihm taufen!

Es ist Provokation pur. Alles, was am heutigen Sonntag in den biblischen Texten gelesen wird ist Provokation. Heute hat dieses Wort einen beunruhigenden Beigeschmack, es stört die Gewohnheit, das Bekannte und Traditionelle. Ursprünglich bedeutet pro-vocare «heraus-rufen», «anregen» oder «wecken».

Jesaja wie auch die Taufgeschichte Jesu drehen das «normale» Funktionieren unserer Welt um 180 Grad. Gerade in einer ökonomisierten und auf Nutzen und Kosten fixierten Welt leben wir in der Reihenfolge Machen-Haben-Sein. Zuerst gilt es, Hand anzulegen, zu machen, dann dreht sich alles um das Haben. Besitz, Schönheit, Partnerinnen, Fussballsiege, Sicherheit, hoher Lohn – all das gehört doch heute dazu, um erfolgreich zu sein. In dieser wirtschaftlich geprägten Welt geht es um das Machen, damit wir haben können. Ob das unserem Wesen, unserem Sein entspricht, kommt kaum zur Sprache. Und wenn sich dann die Seele meldet, Menschen sich ausgebrannt fühlen, selbst dann muss man «es» einfach anders «machen».

Ganz anders – wirklich provokativ – die Stelle im Buch Jesaja und die ersten Sätze im Markusevangelium: Zuerst geht es darum, wer wir sind. Es geht um etwas Inneres – und es geht darum, von unschätzbarem Wert zu sein ohne Rücksichtnahme auf das, was wir machen oder haben. Darin zeigt sich das christliche Verständnis der Beziehung Gottes zum Menschen, dass Gott ohne Bedingungen uns seine Liebe schenkt. Diese Beziehung hören wir in der Zusage Gottes: «Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn.»

Am ersten Sonntag dieses neuen bürgerlichen Jahres darf uns die Taufe Jesu daran erinnern, dass zuerst die Zusage Gottes ist, dass wir einen bedingungslosen Wert haben. – Und erst daraus heraus können wir die Kraft und Freude gewinnen, in dieser Welt zu handeln und den rechten Bezug zum Haben entwickeln.

* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

Thomas Wallimann-Sasaki | © zVg
6. Januar 2018 | 15:38
Lesezeit: ca. 2 Min.
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