Gedanken zum Festtag: Gott braucht sich nicht zu schämen

Zum 11. Juni 2017 –  Dreifaltigkeitssonntag

Gott braucht sich nicht zu schämen

Von Josef Imbach*

Ein Einsiedler in zerlumpten Kleidern, der von seinen Bussübungen derart beansprucht ist, dass die Hygiene eindeutig zu kurz kommt, sucht Rat bei einem anderen Eremiten, der sich ebenso verwahrlost und nicht weniger übelriechend präsentiert. Er möchte wissen, warum Gott sich nicht zeigt. Die Antwort fällt knapp aus: «Weil er sich schämt.» Warum sich Gott denn schämen müsse? «Schau bloss uns zwei an; würdest du dich etwa nicht schämen, dich zu zeigen, wenn du uns erschaffen hättest?»

Hat Gott wirklich Hemmungen, sich zu zeigen? Hat er nicht durch Prophetenmund verkündet, dass er als «Schöpfer des Alls» in Erscheinung tritt (Jeremia 10,16) und dass sich sein Wirken in der Schöpfung widerspiegelt? Hat Jesus nicht zu verstehen gegeben, dass, wer ihn sieht, den «Vater sieht» (Johannes 14,9)? Und haben Menschen nicht immer wieder bezeugt, wie sie vom «Gottesgeist entflammt» wurden (Römer 12,11)?

Nicht dass damit das Mysterium des dreieinigen Gottes aufgeschlüsselt wäre. Zwar behauptet die christliche Theologie seit jeher, dass wir etwas zu erkennen vermögen von Gottes Wesen; sonst führte ja alles Nachdenken über Gott ins Leere. Wenn immer aber die Schriftgelehrten mit dem Hinweis auf die Bibel darauf beharren, dass Gott sich uns Menschen kundgetan hat, besagt das keineswegs, dass Gott aus seiner Rätselhaftigkeit heraustritt. Wenn Gott sich offenbart, zeigt er sich als der Unvorstellbare, als der Unerklärliche, als das heilige Geheimnis schlechthin. Das heisst, er durchleuchtet nicht das Mysterium; er beleuchtet es bloss. Diesen Sachverhalt umschreibt das Vierte Laterankonzil um 1215 (und in seinem Gefolge das Erste Vaticanum um 1870) so: «Gott ist unendlich erhaben über alles, was ausser ihm ist und gedacht werden kann.» Eine Äusserung dies, über die sich nachzudenken lohnt, bevor wir von (und mit) Gott überhaupt zu reden beginnen.

Dieser geheimnisvolle Gott zeigt sich nur in seinem Wirken und in seinen Werken. Wenn immer wir die Welt durch das Vergrösserungsglas des Glaubens betrachten, wird sie irgendwann durchsichtig auf das Göttliche hin, das in ihr west und in ihr waltet. Der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal hat das mit ein paar knappen Versen so ausgedrückt:

Ich löschte das Licht, um den Schnee zu sehen.

Und sah den Schnee durch das Fenster und sah den Neumond.

Doch dann sah ich, dass Schnee und Mond nur wieder Fenster sind,

Und durch diese Fenster sahst Du mich an.

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.

10. Juni 2017 | 12:36
Lesezeit: ca. 2 Min.
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