Gedanken zum Festtag: Nur ein Hauchen

Zum 4. Juni 2017 – Pfingsten

Nur ein Hauchen

Ingrid Grave*

Es gibt Spektakuläreres als ein Hauchen. Und doch hat dieses Hauchen eine ganze Gruppe von Männern in Bewegung gesetzt.

Wenn wir vergleichen mit dem, was die Apostelgeschichte uns vom Pfingsttag berichtet, dann ist dieses Hauchen, das der Evangelist Johannes (20, 19 – 23) dazu überliefert, eine recht dünne Angelegenheit.

Gemäss Apostelgeschichte (2, 1-13) lassen sich unter lautem Brausen auf die verschüchterten Jünger Feuerflammen nieder. Das befeuert sie im wahrsten Sinne des Wortes. Bei Johannes ist alles viel stiller. Auch er weiss um den tiefen Schrecken, der die Jüngerschar hat erstarren lassen. Man trifft sich hinter verschlossenen Türen. Die Angst vor einer möglichen Verhaftungswelle sitzt tief. Schliesslich gehören sie zu den Gefolgsleuten des als Verbrecher Gekreuzigten.

Da geschieht es: Sie «sehen» ihn, ihren Meister, auf den sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Zugegeben, manchmal hatten etliche dieser Männer sich in recht dümmliche Erwartungen hineingesteigert: Errichtung eines neuen politischen Reiches durch Jesus; in ihrer Phantasie winkten erste Karriereposten. Damit war nun Schluss. Alle miteinander starrten in ein grosses schwarzes Loch.

Doch jetzt steht er da, der Auferstandene! Mitten im schwarzen Loch? Ist er das wirklich? Nach dem Evangelisten ist es so. Keine weiteren Beschreibungen. Kurz und knapp wird nur noch gesagt, was die Erscheinung tut: Jesus stellt sich in die Mitte der Versammelten, zeigt seine durchbohrten Hände und die Seitenwunde. Plötzlicher Stimmungswechsel: Sie freuten sich, dass sie ihren Herrn sahen. In ihre Verstörung hinein spricht Jesus das Wort: Friede sei mit euch. Dann folgt die persönliche, geradezu intime Zuwendung, das Anhauchen: Empfangt den Heiligen Geist.

Um genau diesen Geist geht es an Pfingsten. Ob er sich in Feuerflammen gezeigt haben soll oder durch Anhauchen vermittelt wurde, ist Nebensache. Über den genauen Hergang der Geschichte liegt kein Protokoll vor, und kein Journalist hat einen gut recherchierten Bericht abgeliefert. Wir kennen nur die Folgen dieser Ereignisse: Die Jünger, und darunter waren viele Frauen, haben sich durch nichts mehr einschüchtern lassen. Sie haben sich in der damals bekannten Welt zerstreut und die Botschaft Jesu weitergetragen. Ohne sie wüssten wir nichts oder sehr wenig von der Stärke göttlicher Geistkraft – in uns selbst. Allerdings gilt das nur, wenn wir diesem Geist in uns nachspüren.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie sich in der Seelsorge und Oekumene engagiert

 

 

 

4. Juni 2017 | 08:02
Teilen Sie diesen Artikel!