Gedanken zum Feiertag: Das Fronleichnamsfest als Chance lebendigen christlichen Brauchtums

Stephan Leimgruber*

Gottesdienste im Freien mitten in der Stadt an schönen Plätzen, Prozessionen mit bis zu vier blumengeschmückten Altären, berittene Umgänge mit Musik, interkulturelle und intergenerationelle Gemeinschaftserfahrungen, Spielnachmittag für Erstkommunikanten. Das sind Stichpunkte zu diesem volkstümlichen, typisch katholischen Fest. Doch: Um was geht es eigentlich?

Das Hochfest Fronleichnam zielt auf die Herzmitte des christlichen Glaubens: auf Jesus Christus selbst, und zwar als Befreier von Angst und Elend, Erlöser der Menschheit und als Erneuerer der Schöpfung. Es geht um seine Gegenwart im konsekrierten Brot und Wein. Er schenkt sich den Glaubenden selbst als «Brot des Lebens», als Kraft für den Alltag. Er stiftet Gemeinschaft und lädt zur Weggefährtenschaft ein.

Entstanden ist Fronleichnam aus der mittelalterlichen Frömmigkeit des Schauens und des Zeigens (Monstranz) der erhobenen Hostie, der Bildgeschichten und der Imitation des Kreuzweges des Herrn. Die Augustinernonne Juliane von Lüttich (1192-1258) gab den Anstoss zu einem besonderen Fest der Verehrung der Eucharistie. Papst Urban IV. schrieb es 1264 gesamtkirchlich vor. Thomas von Aquin verfasste auf dessen Wunsch die Texte für die Messe und das Brevier. Erstmals bezeugt ist die Feier im Jahre 1274 in Köln. Etymologisch meint das althochdeutsche «vron» oder «fron» Herr und «lichnam» nicht etwa Leichnam, sondern den lebendigen Leib. Das Hochfest Fronleichnam will somit Wertschätzung und Verehrung des lebendigen Leibes Jesu Christi. Im Zeichen der Aufwertung der Kommunion unter beiden Gestalten wird es heute im Direktorium als «Hochfest des Leibes und Blutes Christi» bezeichnet.

Die gelegentlich überschäumende Volksfrömmigkeit (zum Beispiel mit Blumenteppichen und Böllerschüssen) erzeugte Unbehagen, weil das Wesen des Festes verdunkelt wurde. Martin Luther war kein Fest so «feind» wie diesem. Die Ritenkongregation sah sich 1959 veranlasst, das Fest in die Zuständigkeit der Bischofskonferenzen zu verlegen, damit sie überlegen, welche Akzente das Fest zehn Tage nach Pfingsten am Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag haben soll. Folgende Punkte sind wesentlich:

Alles Brauchtum und aller Schmuck an diesem Fest stehen im Dienste der christologischen Orientierung des Festes. Nichts darf abgespalten und verselbständigt werden. Der Tabernakel und eine Prozession mit der Monstranz sollen den Zusammenhang zur Eucharistie und zum Wort Gottes wahren. Kindern kann der Sinn für die Gegenwart Gottes im heiligen Brot katechetisch dadurch erschlossen werden, dass diese Gegenwart mit dem Leben und Schicksal Jesu Christi in Zusammenhang gebracht wird (Weiterführung und Vertiefung der Erstkommunion-Eucharistiekatechese).

Das Fronleichnamsfest soll biblisch ausgerichtet sein, wobei der «Tisch des Wortes» ebenso reich gedeckt sei wie der «Tisch des Brotes». Die Lesungen thematisieren die Mahlpraxis Jesu, die johanneischen Zeichen-Erzählungen von der Brotvermehrung, die alttestamentlichen typologischen Vorbildgeschichten. Bei einer Prozession wird an den Altären je der Beginn eines Evangeliums vorgetragen. – Fronleichnamsfeste im Freien legen nahe, Jesus insoweit zu sehen, als er die gesamte Schöpfung erneuert und belebt. Allenfalls vier Altäre zeigen in die vier Himmelrichtungen und betonen, dass Gott die ganze Welt «erschaffen» hat und mit ihr in Beziehung getreten ist. Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega.

Im Fronleichnamsfest (und eigentlich in jedem Gottesdienst) kommt die Sinnenhaftigkeit und Leibhaftigkeit der katholischen Variante des christlichen Glaubens zum Ausdruck. In der Kommunion «schmeckt» und berühren die Gläubigen Jesus Christus. Sie hören sein Wort und sehen seine verborgene Gegenwart. Die heilige Kommunion ist ein «Viaticum», das heisst eine Stärkung für den Weg und die Reise des Lebens.

Statt einer konfessionalistischen Demonstration aus den Zeiten des Milieukatholizismus legt sich heute eine ökumenische Einladung an die reformierten Geschwister nahe, vielleicht einmal ein Impuls einer reformierten Vertreters über die evangelische Praxis das Abendmahls. Stets empfiehlt sich eine Kooperation mit den anderssprachigen Missionen, wodurch es zu bereichernden interkulturellen Begegnungen kommen kann – auch in der liturgischen Feier selbst. Schliesslich kann die meditative Verehrung und Anbetung Jesu Christi in der Gestalt des geheiligten Brotes neu entdeckt und als Herausforderung fruchtbar gemacht werden.

Fronleichnam ist mehr als ein freier Tag mit Ausblick auf ein verlängertes Wochenende. Das Fest bietet Chancen zum intergenerationellen Treffen unter den Glaubenden und zur Begegnung mit Jesus Christus selbst, dem letzten Grund des christlichen Lebens und Glaubens. «Empfangt ihr den Leib Christi, werdet ihr Leib Christi» (Augustinus). (sl)

Stephan Leimgruber ist Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung im Bistum Basel zuständig.

 

30. April 2016 | 10:19
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