40/2003 | |
INHALT |
Sakramente |
Die absorbierende Aufmerksamkeit für die gesellschaftliche Umgebung
und Situierung der Kirche liess die Kenntnis und das Verständnis der
Sakramente als wesentliche Lebensvollzüge des Glaubens und der Kirche
in den Hintergrund treten. Ohne von dieser «Wetterlage» abzusehen,
hat Eva-Maria Faber eine systematische Einführung in die katholische
Sakramentenlehre vorgelegt, die sich wieder einmal, und mit gutem Grund,
diesem wesentlichen Kosmos christlichen und katholischen Glaubenslebens
widmet.<1> Die katholische Sakramententheologie
wird von ihr à jour nachgeführt, auch schon dort, wo sie informativ
die geschichtlichen Etappen darstellt: von den biblischen Zeugnissen über
die Alte Kirche des Westens und des Ostens, die Scholastik und das Konzil
von Trient. In traditionsbewusster Rückschau und in gegenwärtiger
Klärung wird dieser reiche und erdrückende Fundus im Licht von
Vaticanum II gesichetet und geordnet. Wiederholt ist beim allgemeinen Verständnis
der Sakramente wie auch bei den einzelnen Sakramenten der ökumenische
Dialog aufgenommen, nicht in rechthaberischer Rechtgläubigkeit, sondern
in einer selbstkritischen Korrektur biblischer Versäumnisse und Verkürzungen
wie auch in einer konsequenten christologischen oder gnadentheologischen
Flurbereinigung der katholischen Sakramentenlehre und -praxis.
Anders als in den vorkonziliären Handbüchern wird die allgemeine
Sakramentenlehre nicht in einer abstrahierenden generalisierenden Begrifflichkeit
geboten (Materie, Form u.a.), sondern es werden die durchgehaltenen theologischen
Strukturen des sakramentalen Mysteriums sichtbar gemacht: die Begegnung
von Gott und Mensch, die sakramentale Struktur von Schöpfung und Erlösung,
die Sakramente als Gnadenzeichen und menschliche Selbstverpflichtung. Die
Sakramente erhalten so ihre christologische Begründung in Inkarnation
und Paschamysterium; sie werden ausgespannt auf die grosse heilsgeschichtliche
und die individuelle lebensgeschichtliche Zeitachse. Natürlich zehren
die allgemeinen und gemeinsamen Hauptlinien im Voraus von der Theologie
der konkreten Sakramente. Die «Pflichtübungen» der allgemeinen
Sakramentenlehre, wie die lehramtlichen und scholastischen Definitionen,
stehen so nicht am Anfang, sondern am Ende des Weges, jetzt aber nicht mehr
in abstrakter Formalisierung. Über die spaltende Alternative WortSakrament
hinaus führen Exkurse wie: Sakramente als Sprachhandlungen, als realsymbolische
Wirklichkeit. Mehr als einmal werden die massgeblichen theologischen und
anthropologischen Konzepte von Karl Rahner in ihrer Fruchtbarkeit gewürdigt,
aber auch in ihren Engführungen respektvoll kritisiert und gegenbalanciert.
Die Sakramente gehen gewiss auch aus der leib-seelischen und geschichtlichen
Verfasstheit des geistigen und religiösen Menschen hervor; sie erhalten
aber nur vom konkreten Christusereignis und -zeugnis her ihre eindeutige
und verbindliche Gestalt. Regelmässig wird so die fachtheologische
Diskussion in substanzieller Auswahl und in sachbezogener Ergänzung
registriert; Literaturverweise und -angaben erfolgen in abgekürzter
und so nicht hemmender Schreibweise.
Besonders fruchtbar erscheint in dieser noch allgemeinen Sakramentenlehre
die Struktur der Vermittlung, für die sowohl aus theologischer wie
auch grundsätzlich-anthropologischer Sicht Kriterien erstellt werden.
Vonseiten Gottes soll Gott selber in seiner Unverfügbarkeit, aber auch
in seiner welthaften und zeichenhaften Greifbarkeit dem Menschen begegnen
können. Umgekehrt soll sich im sakramentalen Vollzug der Mensch als
freie Person engagieren, aber auch in eine echte Gottesbeziehung eintreten
können. Diese Kriterien gelingender Vermittlung sind in der Darstellung
der einzelnen Sakramente sowohl auf die Lehrtradition wie auf die pastoral-liturgische
Gestalt anzuwenden (25). Die Gestalt des Sakramentes lässt sich nicht
in einer positivistischen Stiftung und Einsetzung begründen, sondern
nimmt bedingende und ermöglichende sakramentale Strukturen aus Schöpfung
und Heilsgeschichte auf. Dass besonders die Geschichte zwischen Gott und
dem Volk Israel eine Fülle von zeichenhaften Vermittlungen und Beziehungen
einübt, bildet auch einen gemeinsamen kulturgeschichtlichen Boden zwischen
Jesus und dem Judentum. (Diese Situierung im jüdischen Bundesvolk und
seiner Geschichte wird allerdings durch die starke Betonung des christologischen
Ursprungs überdeckt.)
Wohltuend ist die Quellfassung der Sakramente nicht nur in einem isolierten
Passionsgeschehen oder in der österlichen Präsenz des erhöhten
Christus, sondern mehr «synoptisch» in den Handlungsgeschichten
und -gebärden Jesu, in seinen Heilungen, in der Weg- und Tischgemeinschaft
mit den Jüngern. Die Verschränkung verschiedener sakramentaler
Analogien behält die Sakramente einerseits in ihrer menschlichen Zugänglichkeit
und Gestaltbarkeit, sie wahrt aber ihre singuläre christologische Intensität
und Einmaligkeit, die sich so zugleich «von unten» wie «von
oben» begegnen (29f.). Eine ähnliche gegenseitige Durchdringung
vollzog sich schon, als das platonische Bilddenken die vertikale Dimension
sichtbarunsichtbar in die christliche Theologie einbrachte, von dieser
aber auf die horizontale geschichtliche Achse GedächtnisVergegenwärtigung
ausgezogen wurde (32). Das Aufeinanderzu von menschlicher Disposition und
positiver Sinngebung durch Jesus oder durch die Kirche wird sowohl in der
allgemeinen wie in der speziellen Sakramentenlehre von Faber immer wieder
spannungsvoll und ausgewogen beschritten. Zum einen fallen die Sakramente
nicht vom Himmel, sondern greifen vielfältige Gestalten menschlichen
kommunikativen und zeichenhaften Handelns auf; anderseits bringen diese
Zeichen ihre Heilsbedeutung auch nicht schon einfach mit oder aus sich selber
hervor. Dieses Unterscheidungskriterium wäre in den gegenwärtigen
oft unversöhnlichen Debatten zwischen «objektivem Sakrament»
oder aber pastoraler kreativer Symbolisierung klärend wieterzuführen
(47).
Die systematische christologische Begründung führt auch über
die beidseitig positivistische Kontroverse hinaus, ob ein Sakrament von
Christus eingesetzt sei oder nicht: so dass sowohl ein «dogmatisches»
Ja wie ein «liberales» Nein den lebendigen Zusammenhang zerschneidet
und verfehlt (49). Entkrampfend wirkt die Klärung, dass in der Eucharistie
das Opfer Christi vergegenwärtigt wird, dies aber in der Gestalt des
Mahls (111).
Mehrmals werden geschichtliche Durchgänge der sakramentalen Praxis
und Theologie in ihrer Bedingtheit und Fragwürdigkeit kritisiert, so
dass die faktische Prägung und «Inkulturation» nicht einfach
eingeht in spätere dogmatische Verbindlichkeit und Unveränderlichkeit.
Dies gilt etwa von der Übertragung platonischer Hierarchien oder sazerdotaler
Opferkategorien auf das kirchliche Amt, von denen es bis heute seine Prägung
und Spiritualität, aber auch seine Ideologie erhalten hat: «das
priesterliche Denken (Traditio Apostolica, Cyprian u.a.) setzt sich aber
nicht ohne Widerstand durch» (159). Nur müsste die Reinigung
des Traditionsgemenges nicht nur in historischer Analyse erwähnt werden,
sondern müsste systematisch ausgedehnt und weitergeführt werden
bis in die vielfältigen lehramtlichen Verbindungen hinein, in die diese
trüben Quellen eingeschmolzen und eingebunden wurden.
Die Darstellung mehrerer Sakramente setzt wiederholt fundamentaltheologisch
ein mit einer weiten anthropologischen und kulturgeschichtlichen Kontextierung,
so bei der Taufe (75), der Krankensalbung (142) und der Ehe (176). Damit
sind immer schon auch die pastoralen Aspekte für die Hinführung
und den glaubenden Vollzug erschlossen. Insofern ist das Buch nicht nur
eine Einführung in die Sakramentenlehre, sondern bietet auch eine Sakramentspiritualität
und -pastoral.
Die folgenden kritischen Bemerkungen führen meistens da weiter,
wo die Autorin mit guten Schritten entweder zu spät einsetzt oder zu
früh aufhört. Zu einem noch früheren Beginn wäre sicher
bei der Eucharistie zu raten: Die präzise beschriebenen Gemeinsamkeiten
und Unterschiede zwischen dem jüdischen Pessach und dem Abendmahl Jesu
könnten bei einer weiter ausholenden Darstellung und «Abholung»
die Geschichtshorizonte des jüdischen Pessach auch für die Eucharistie
fruchtbar machen: Gedächtnis, aktuelle Vergegenwärtigung, eschatologische
Verheissung. Es ist, grundsätzlich, der Ursprung Jesu aus der liturgischen
Kultur des Volkes Israel bei allen Sakramenten konsequenter durchzuziehen
als dies anerkennungswerterweise bei der «Reinigung und Initiation»
geschieht (75). Die wiederholt erwähnte Verwurzelung der christlichen
Sakramente in einer ältern und vorausgehenden Religiosität und
Ritualkultur dürfte sich nicht nur in historischer Rückschau erschöpfen,
sondern wäre bis in den nahen gleichzeitigen und umgebenden soziokulturellen
Humus weiterzuführen. Bei aller kritischen Unterscheidung auf der bunten
Wiese des Ritualbooms wäre das neue vitale Interesse an vor- oder nachchristlichen
Ritualen zu konfrontieren mit dem Desiniteresse an den zu Sakramenten kristallisierten
kirchlichen Ritualen. Die Autorin rechnet immerhin neben ihrem Verdacht
der «Absicherung des Bestehenden» mit der «Sehnsucht nach
dem Anderen» (50): Warum ist vielen Menschen dieses «Andere»
in den Sakramenten nicht mehr erkennbar?
Die Aufbrechung und Überwindung der ethnischen, sozialen und gesellschaftlichen
Ungleichheiten durch die Taufe in die neue Schöpfung hinein dürfte
angesichts der andauernden Verhärtung der katholischen Disziplin bis
in die Gleichstellung von Mann und Frau (Gal 3,28) hinein ausdrücklich
auszuziehen sein (80).
Den Bedenken an den eingebürgerten Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionspendung
wäre noch freier zuzustimmen, wenn sie nicht nur die theologische und
liturgische Verkürzung einklagten, sondern wenn sie auch die schuldhafte
kirchenamtliche Verantwortung für diese «gegenwärtig verbreitete
Praxis» ausdrücklich, mit Ross und Reiter, namhaft machten. So
erscheinen die Opfer dieser «Isolierung» zu Unrecht als die
«Täter» (108): Wer verpflichtet denn die Gemeindeleiter/Gemeindeleiterinnen,
die somatische Realpräsenz (Kommunion aus dem Tabernakel, der «sainte
réserve») von umfassenden Geschehen zu isolieren (108), wenn
ihnen wegen einer drohenden sakramentalen Verunklärung auch nur schon
das Zitieren des Einsetzungsberichtes verwehrt bleibt?
Bei der Darstellung des Weihesakramentes läuft unvermeidlich jede und
erst recht eine pastorale Sakramentenlehre wie die von Eva-Maria Faber in
alle Messer. Eine grundsätzliche Sakramentenlehre dürfte aber
den Freiheitsraum der systematischen Darstellung mehr ausnützen, auch
wenn dabei die Diskrepanz zwischen den engen Kanälen des Weihesakraments
und den pragmatischen beweglichen Bypasses (etwa der Institutio von Gemeindeleitern/Gemeindeleiterinnen)
kritisch und befreiend ausgemessen wird. Es erweist sich zunehmend als inkonsequent,
wenn zwar die Eucharistiefeier und -leitung in den gesamtekklesialen Zusammenhang
integriert wird, wenn aber gerade diese Eucharistiekompetenz aus dem gleich
lautenden Auftrag der Gemeindeleitung in der Institutio ausdrücklich
ausgegliedert und vorenthalten wird.
Sowohl bei der Darstellung der Eucharistie wie bei derjenigen der Ordination
vermisse ich auch, dass der nächstliegende theologiegeschichtliche
Verdacht nie auftaucht und nie ausgesprochen wird; trotz allen schönen
ganzheitlichen ekklesiologischen, personalen, heilsgeschichtlichen Integrationen
der sakramentalen Realpräsenz hält sich heimlich und unausgesprochen
wie ein hartnäckiges Relikt die dingliche Realpräsenz durch Wandlung
(Transsubstantiation). Fatalerweise behauptet sich entsprechend innerhalb
des weit ansetzenden Gemeindeauftrags noch immer die alte dingliche konsekratorische
Wandlungsvollmacht des geweihten Priesters, ohne die dann doch «nichts»
geschieht. Dafür allein und vor allem wird die so genannte «sakramentale
Weihe» für notwendig gehalten, nicht aber für den hochgepriesenen
integralen Dienst an der Gemeinde in Wort und Sakrament und Leitung. Die
notwendige «sakramentale» Ordination ist es auch nicht, die
allein die Verwiesenheit und Herkunft des Lebens der Kirche aus dem Christus
ausserhalb und oberhalb der Kirche sichtbar macht und eingesteht: Diese
zwar theologisch richtige Begründung reicht nicht aus und deckt nicht
ab, eine eigene sakramentale Ordination von allen andern Leitungsaufträgen
abzuheben (169171).
Solche zwar ekklesiologisch richtige Begründungen für das sakramentale
Amt leisten hier unbewusst und missbraucht den unredlichen Dienst
der Ideologisierung der viel unwesentlicheren Weihedisziplin (Zulassungsbedingungen).
Für eine solche Willkür ist weder die Ekklesiologie noch die Eucharistietheologie
federführend, sondern die hartnäckige Verknüpfung des Eucharistieauftrags
mit der Zölibatsverpflichtung und dem männlichen Geschlechtsmonopol
der zu Ordinierenden. Wenn diese Nebensache erst zuletzt zur Sprache kommt
(170), kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass doch von daher
und daraufhin entschieden wird, welche Ordination als «sakramental»
zu gelten hat und welche nicht. Es braucht dazu gar keine «neue Stufen
des ordinierten Amtes», wie die Autorin, des Problems und des Verblendungszusammenhanges
offensichtlich bewusst, offen lässt (166). Eine im Grossen und Ganzen
ekklesial und pastoral orientierte Sakramententheologie sollte sich nicht
länger für die akrobatische und willkürliche Zu- oder Ab-erkennung
der sakramentalen Dignität und Qualität hergeben (165f.).
Dass schliesslich der Zölibat als «sinnvolle Verbindung»
gewürdige wird, um «die charismatische Dimension des Amtes zu
gewährleisten», lässt einmal mehr fragen, weshalb den so
argumentierenden Theologen/Theologinnen, aber auch den Bischöfen und
dem Papst anlässlich der «evangelischen Räte» und
der rhetorischen Hochschätzung und Hochhaltung des priesterlichen Zölibates
praktisch nie die jahrhundertealte Existenz des Ordensstandes in den Sinn
kommt, der auf seine Weise das Charisma der Ehelosigkeit in der Kirche bewahrt,
so dass es der pathetischen Sicherung durch den Pflichtzölibat nicht
bedarf.
Abschliessend und dennoch: dem Buch sind viele Leser zu wünschen, alle
in der kirchlichen Seelsorge tätigen Männer und Frauen, Theologen
und Theologinnen. Aber es eignet sich auch durch seine transparente Gliederung
und durch die durchgehaltene Mehrdimensionalität (Geschichte, Systematik,
pastoraler Vollzug usw.) als Begleitlektüre für das akademische
und das nebenberufliche Theologiestudium. Diese Leser/Leserinnen werden
den Mut aufbringen, aus den vielen fundierten Ansätzen und Entwicklungslinien
die theologischen und kirchenpraktischen Konsequenzen auch zu ziehen. Der
gleiche Mut ist der Verfasserin zu wünschen: Sie möge die vielerorts
von ihr wissend! deponierten Sprengladungen auch zünden.
Die Erfahrung hat leider gezeigt, dass ein bloss impliziertes Veränderungspotential
von den zuständigen Kirchenleitungen in der Orts- und in der zentralisierten
«Welt»kirche überhört und übersehen und schliesslich
auch unterdrückt wird: Auch implizit noch so einsichtige Wahrheiten
müssen explizit gesagt und getan werden: Wer A sagt, muss auch B sagen
und tun.
Der Kapuziner Dietrich Wiederkehr ist emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.
1 Eva-Maria Faber, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, 213 Seiten.