40/2003

INHALT

Sakramente

Sakramente in geschichtlichem Wandel

von Dietrich Wiederkehr

 

Die absorbierende Aufmerksamkeit für die gesellschaftliche Umgebung und Situierung der Kirche liess die Kenntnis und das Verständnis der Sakramente als wesentliche Lebensvollzüge des Glaubens und der Kirche in den Hintergrund treten. Ohne von dieser «Wetterlage» abzusehen, hat Eva-Maria Faber eine systematische Einführung in die katholische Sakramentenlehre vorgelegt, die sich wieder einmal, und mit gutem Grund, diesem wesentlichen Kosmos christlichen und katholischen Glaubenslebens widmet.<1> Die katholische Sakramententheologie wird von ihr à jour nachgeführt, auch schon dort, wo sie informativ die geschichtlichen Etappen darstellt: von den biblischen Zeugnissen über die Alte Kirche des Westens und des Ostens, die Scholastik und das Konzil von Trient. In traditionsbewusster Rückschau und in gegenwärtiger Klärung wird dieser reiche und erdrückende Fundus im Licht von Vaticanum II gesichetet und geordnet. Wiederholt ist beim allgemeinen Verständnis der Sakramente wie auch bei den einzelnen Sakramenten der ökumenische Dialog aufgenommen, nicht in rechthaberischer Rechtgläubigkeit, sondern in einer selbstkritischen Korrektur biblischer Versäumnisse und Verkürzungen wie auch in einer konsequenten christologischen oder gnadentheologischen Flurbereinigung der katholischen Sakramentenlehre und -praxis.
Anders als in den vorkonziliären Handbüchern wird die allgemeine Sakramentenlehre nicht in einer abstrahierenden generalisierenden Begrifflichkeit geboten (Materie, Form u.a.), sondern es werden die durchgehaltenen theologischen Strukturen des sakramentalen Mysteriums sichtbar gemacht: die Begegnung von Gott und Mensch, die sakramentale Struktur von Schöpfung und Erlösung, die Sakramente als Gnadenzeichen und menschliche Selbstverpflichtung. Die Sakramente erhalten so ihre christologische Begründung in Inkarnation und Paschamysterium; sie werden ausgespannt auf die grosse heilsgeschichtliche und die individuelle lebensgeschichtliche Zeitachse. Natürlich zehren die allgemeinen und gemeinsamen Hauptlinien im Voraus von der Theologie der konkreten Sakramente. Die «Pflichtübungen» der allgemeinen Sakramentenlehre, wie die lehramtlichen und scholastischen Definitionen, stehen so nicht am Anfang, sondern am Ende des Weges, jetzt aber nicht mehr in abstrakter Formalisierung. Über die spaltende Alternative Wort­Sakrament hinaus führen Exkurse wie: Sakramente als Sprachhandlungen, als realsymbolische Wirklichkeit. Mehr als einmal werden die massgeblichen theologischen und anthropologischen Konzepte von Karl Rahner in ihrer Fruchtbarkeit gewürdigt, aber auch in ihren Engführungen respektvoll kritisiert und gegenbalanciert. Die Sakramente gehen gewiss auch aus der leib-seelischen und geschichtlichen Verfasstheit des geistigen und religiösen Menschen hervor; sie erhalten aber nur vom konkreten Christusereignis und -zeugnis her ihre eindeutige und verbindliche Gestalt. Regelmässig wird so die fachtheologische Diskussion in substanzieller Auswahl und in sachbezogener Ergänzung registriert; Literaturverweise und -angaben erfolgen in abgekürzter und so nicht hemmender Schreibweise.

Weiterführende Ansätze

Besonders fruchtbar erscheint in dieser noch allgemeinen Sakramentenlehre die Struktur der Vermittlung, für die sowohl aus theologischer wie auch grundsätzlich-anthropologischer Sicht Kriterien erstellt werden. Vonseiten Gottes soll Gott selber in seiner Unverfügbarkeit, aber auch in seiner welthaften und zeichenhaften Greifbarkeit dem Menschen begegnen können. Umgekehrt soll sich im sakramentalen Vollzug der Mensch als freie Person engagieren, aber auch in eine echte Gottesbeziehung eintreten können. Diese Kriterien gelingender Vermittlung sind in der Darstellung der einzelnen Sakramente sowohl auf die Lehrtradition wie auf die pastoral-liturgische Gestalt anzuwenden (25). Die Gestalt des Sakramentes lässt sich nicht in einer positivistischen Stiftung und Einsetzung begründen, sondern nimmt bedingende und ermöglichende sakramentale Strukturen aus Schöpfung und Heilsgeschichte auf. Dass besonders die Geschichte zwischen Gott und dem Volk Israel eine Fülle von zeichenhaften Vermittlungen und Beziehungen einübt, bildet auch einen gemeinsamen kulturgeschichtlichen Boden zwischen Jesus und dem Judentum. (Diese Situierung im jüdischen Bundesvolk und seiner Geschichte wird allerdings durch die starke Betonung des christologischen Ursprungs überdeckt.)
Wohltuend ist die Quellfassung der Sakramente nicht nur in einem isolierten Passionsgeschehen oder in der österlichen Präsenz des erhöhten Christus, sondern mehr «synoptisch» in den Handlungsgeschichten und -gebärden Jesu, in seinen Heilungen, in der Weg- und Tischgemeinschaft mit den Jüngern. Die Verschränkung verschiedener sakramentaler Analogien behält die Sakramente einerseits in ihrer menschlichen Zugänglichkeit und Gestaltbarkeit, sie wahrt aber ihre singuläre christologische Intensität und Einmaligkeit, die sich so zugleich «von unten» wie «von oben» begegnen (29f.). Eine ähnliche gegenseitige Durchdringung vollzog sich schon, als das platonische Bilddenken die vertikale Dimension sichtbar­unsichtbar in die christliche Theologie einbrachte, von dieser aber auf die horizontale geschichtliche Achse Gedächtnis­Vergegenwärtigung ausgezogen wurde (32). Das Aufeinanderzu von menschlicher Disposition und positiver Sinngebung durch Jesus oder durch die Kirche wird sowohl in der allgemeinen wie in der speziellen Sakramentenlehre von Faber immer wieder spannungsvoll und ausgewogen beschritten. Zum einen fallen die Sakramente nicht vom Himmel, sondern greifen vielfältige Gestalten menschlichen kommunikativen und zeichenhaften Handelns auf; anderseits bringen diese Zeichen ihre Heilsbedeutung auch nicht schon einfach mit oder aus sich selber hervor. Dieses Unterscheidungskriterium wäre in den gegenwärtigen oft unversöhnlichen Debatten zwischen «objektivem Sakrament» oder aber pastoraler kreativer Symbolisierung klärend wieterzuführen (47).
Die systematische christologische Begründung führt auch über die beidseitig positivistische Kontroverse hinaus, ob ein Sakrament von Christus eingesetzt sei oder nicht: so dass sowohl ein «dogmatisches» Ja wie ein «liberales» Nein den lebendigen Zusammenhang zerschneidet und verfehlt (49). Entkrampfend wirkt die Klärung, dass in der Eucharistie das Opfer Christi vergegenwärtigt wird, dies aber in der Gestalt des Mahls (111).
Mehrmals werden geschichtliche Durchgänge der sakramentalen Praxis und Theologie in ihrer Bedingtheit und Fragwürdigkeit kritisiert, so dass die faktische Prägung und «Inkulturation» nicht einfach eingeht in spätere dogmatische Verbindlichkeit und Unveränderlichkeit. Dies gilt etwa von der Übertragung platonischer Hierarchien oder sazerdotaler Opferkategorien auf das kirchliche Amt, von denen es bis heute seine Prägung und Spiritualität, aber auch seine Ideologie erhalten hat: «das priesterliche Denken (Traditio Apostolica, Cyprian u.a.) setzt sich aber nicht ohne Widerstand durch» (159). Nur müsste die Reinigung des Traditionsgemenges nicht nur in historischer Analyse erwähnt werden, sondern müsste systematisch ausgedehnt und weitergeführt werden bis in die vielfältigen lehramtlichen Verbindungen hinein, in die diese trüben Quellen eingeschmolzen und eingebunden wurden.
Die Darstellung mehrerer Sakramente setzt wiederholt fundamentaltheologisch ein mit einer weiten anthropologischen und kulturgeschichtlichen Kontextierung, so bei der Taufe (75), der Krankensalbung (142) und der Ehe (176). Damit sind immer schon auch die pastoralen Aspekte für die Hinführung und den glaubenden Vollzug erschlossen. Insofern ist das Buch nicht nur eine Einführung in die Sakramentenlehre, sondern bietet auch eine Sakramentspiritualität und -pastoral.

Weiterzugehende Schritte

Die folgenden kritischen Bemerkungen führen meistens da weiter, wo die Autorin mit guten Schritten entweder zu spät einsetzt oder zu früh aufhört. Zu einem noch früheren Beginn wäre sicher bei der Eucharistie zu raten: Die präzise beschriebenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem jüdischen Pessach und dem Abendmahl Jesu könnten bei einer weiter ausholenden Darstellung und «Abholung» die Geschichtshorizonte des jüdischen Pessach auch für die Eucharistie fruchtbar machen: Gedächtnis, aktuelle Vergegenwärtigung, eschatologische Verheissung. Es ist, grundsätzlich, der Ursprung Jesu aus der liturgischen Kultur des Volkes Israel bei allen Sakramenten konsequenter durchzuziehen als dies anerkennungswerterweise bei der «Reinigung und Initiation» geschieht (75). Die wiederholt erwähnte Verwurzelung der christlichen Sakramente in einer ältern und vorausgehenden Religiosität und Ritualkultur dürfte sich nicht nur in historischer Rückschau erschöpfen, sondern wäre bis in den nahen gleichzeitigen und umgebenden soziokulturellen Humus weiterzuführen. Bei aller kritischen Unterscheidung auf der bunten Wiese des Ritualbooms wäre das neue vitale Interesse an vor- oder nachchristlichen Ritualen zu konfrontieren mit dem Desiniteresse an den zu Sakramenten kristallisierten kirchlichen Ritualen. Die Autorin rechnet immerhin neben ihrem Verdacht der «Absicherung des Bestehenden» mit der «Sehnsucht nach dem Anderen» (50): Warum ist vielen Menschen dieses «Andere» in den Sakramenten nicht mehr erkennbar?
Die Aufbrechung und Überwindung der ethnischen, sozialen und gesellschaftlichen Ungleichheiten durch die Taufe in die neue Schöpfung hinein dürfte angesichts der andauernden Verhärtung der katholischen Disziplin bis in die Gleichstellung von Mann und Frau (Gal 3,28) hinein ausdrücklich auszuziehen sein (80).
Den Bedenken an den eingebürgerten Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionspendung wäre noch freier zuzustimmen, wenn sie nicht nur die theologische und liturgische Verkürzung einklagten, sondern wenn sie auch die schuldhafte kirchenamtliche Verantwortung für diese «gegenwärtig verbreitete Praxis» ausdrücklich, mit Ross und Reiter, namhaft machten. So erscheinen die Opfer dieser «Isolierung» zu Unrecht als die «Täter» (108): Wer verpflichtet denn die Gemeindeleiter/Gemeindeleiterinnen, die somatische Realpräsenz (Kommunion aus dem Tabernakel, der «sainte réserve») von umfassenden Geschehen zu isolieren (108), wenn ihnen wegen einer drohenden sakramentalen Verunklärung auch nur schon das Zitieren des Einsetzungsberichtes verwehrt bleibt?
Bei der Darstellung des Weihesakramentes läuft unvermeidlich jede und erst recht eine pastorale Sakramentenlehre wie die von Eva-Maria Faber in alle Messer. Eine grundsätzliche Sakramentenlehre dürfte aber den Freiheitsraum der systematischen Darstellung mehr ausnützen, auch wenn dabei die Diskrepanz zwischen den engen Kanälen des Weihesakraments und den pragmatischen beweglichen Bypasses (etwa der Institutio von Gemeindeleitern/Gemeindeleiterinnen) kritisch und befreiend ausgemessen wird. Es erweist sich zunehmend als inkonsequent, wenn zwar die Eucharistiefeier und -leitung in den gesamtekklesialen Zusammenhang integriert wird, wenn aber gerade diese Eucharistiekompetenz aus dem gleich lautenden Auftrag der Gemeindeleitung in der Institutio ausdrücklich ausgegliedert und vorenthalten wird.

Dienst in Wort, Sakrament, Leitung

Sowohl bei der Darstellung der Eucharistie wie bei derjenigen der Ordination vermisse ich auch, dass der nächstliegende theologiegeschichtliche Verdacht nie auftaucht und nie ausgesprochen wird; trotz allen schönen ganzheitlichen ekklesiologischen, personalen, heilsgeschichtlichen Integrationen der sakramentalen Realpräsenz hält sich heimlich und unausgesprochen wie ein hartnäckiges Relikt die dingliche Realpräsenz durch Wandlung (Transsubstantiation). Fatalerweise behauptet sich entsprechend innerhalb des weit ansetzenden Gemeindeauftrags noch immer die alte dingliche konsekratorische Wandlungsvollmacht des geweihten Priesters, ohne die dann doch «nichts» geschieht. Dafür allein und vor allem wird die so genannte «sakramentale Weihe» für notwendig gehalten, nicht aber für den hochgepriesenen integralen Dienst an der Gemeinde in Wort und Sakrament und Leitung. Die notwendige «sakramentale» Ordination ist es auch nicht, die allein die Verwiesenheit und Herkunft des Lebens der Kirche aus dem Christus ausserhalb und oberhalb der Kirche sichtbar macht und eingesteht: Diese zwar theologisch richtige Begründung reicht nicht aus und deckt nicht ab, eine eigene sakramentale Ordination von allen andern Leitungsaufträgen abzuheben (169­171).
Solche zwar ekklesiologisch richtige Begründungen für das sakramentale Amt leisten hier ­ unbewusst und missbraucht ­ den unredlichen Dienst der Ideologisierung der viel unwesentlicheren Weihedisziplin (Zulassungsbedingungen). Für eine solche Willkür ist weder die Ekklesiologie noch die Eucharistietheologie federführend, sondern die hartnäckige Verknüpfung des Eucharistieauftrags mit der Zölibatsverpflichtung und dem männlichen Geschlechtsmonopol der zu Ordinierenden. Wenn diese Nebensache erst zuletzt zur Sprache kommt (170), kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass doch von daher und daraufhin entschieden wird, welche Ordination als «sakramental» zu gelten hat und welche nicht. Es braucht dazu gar keine «neue Stufen des ordinierten Amtes», wie die Autorin, des Problems und des Verblendungszusammenhanges offensichtlich bewusst, offen lässt (166). Eine im Grossen und Ganzen ekklesial und pastoral orientierte Sakramententheologie sollte sich nicht länger für die akrobatische und willkürliche Zu- oder Ab-erkennung der sakramentalen Dignität und Qualität hergeben (165f.).
Dass schliesslich der Zölibat als «sinnvolle Verbindung» gewürdige wird, um «die charismatische Dimension des Amtes zu gewährleisten», lässt einmal mehr fragen, weshalb den so argumentierenden Theologen/Theologinnen, aber auch den Bischöfen und dem Papst anlässlich der «evangelischen Räte» und der rhetorischen Hochschätzung und Hochhaltung des priesterlichen Zölibates praktisch nie die jahrhundertealte Existenz des Ordensstandes in den Sinn kommt, der auf seine Weise das Charisma der Ehelosigkeit in der Kirche bewahrt, so dass es der pathetischen Sicherung durch den Pflichtzölibat nicht bedarf.
Abschliessend und dennoch: dem Buch sind viele Leser zu wünschen, alle in der kirchlichen Seelsorge tätigen Männer und Frauen, Theologen und Theologinnen. Aber es eignet sich auch durch seine transparente Gliederung und durch die durchgehaltene Mehrdimensionalität (Geschichte, Systematik, pastoraler Vollzug usw.) als Begleitlektüre für das akademische und das nebenberufliche Theologiestudium. Diese Leser/Leserinnen werden den Mut aufbringen, aus den vielen fundierten Ansätzen und Entwicklungslinien die theologischen und kirchenpraktischen Konsequenzen auch zu ziehen. Der gleiche Mut ist der Verfasserin zu wünschen: Sie möge die vielerorts von ihr ­ wissend! ­ deponierten Sprengladungen auch zünden. Die Erfahrung hat leider gezeigt, dass ein bloss impliziertes Veränderungspotential von den zuständigen Kirchenleitungen in der Orts- und in der zentralisierten «Welt»kirche überhört und übersehen und schliesslich auch unterdrückt wird: Auch implizit noch so einsichtige Wahrheiten müssen explizit gesagt und getan werden: Wer A sagt, muss auch B sagen ­ und tun.

 

Der Kapuziner Dietrich Wiederkehr ist emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.


Anmerkung

1 Eva-Maria Faber, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, 213 Seiten.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2003