5/2003 | |
INHALT |
Kirchengeschichte |
Bistumsgeschichten scheinen derzeit Hochkonjunktur zu haben. 1999 erschien
das erste Heft der Geschichte des Bistums Basel, verfasst von Dr. P. Gregor
Jäggi OSB.<1> Es umfasst die Zeit
von den Anfängen bis zum Konzil von Basel, also das Mittelalter. Der
Autor geht grundsätzlich chronologisch vor, stellt aber einzelne Abschnitte
unter bestimmte Themen. Das erste Jahrtausend steht unter dem Titel: «Untergang
und Neuorganisation». Für das Hoch- und Spätmittelalter
greift der Autor folgende Themen auf: die Pfarrei als Ort des religiösen
Lebens; letzte Hoffnung Heiligenverehrung und Wallfahrt; der spätmittelalterliche
Klerus, Klöster und Stifte im Bistum Basel, das Konzil von Basel. Es
handelt sich um ein reich illustriertes Heft, sein Herausgeber ist die «Editions
du Signe» in Strassburg. Die Darstellung baut auf dem gegenwärtigen
Stand der Forschung auf und ist allgemein verständlich. Die Anschaulichkeit
wird durch eine reichhaltige Illustration erhöht. Text und Bilder machen
das Heft zu einer Informationsquelle ersten Ranges.
Vom gleichen Herausgeber erschien zwei Jahre darauf das erste Heft der Geschichte
des Bistums Chur.<2> Im Jahr 2001 feierte
dieses Bistum ein Jubiläum. Vor 1550 Jahren im Jahr 451
ist erstmals in den historischen Quellen ein Bischof von Chur, Asinio mit
Namen, nachgewiesen. Dem Brief einer Mailänder Provinzialsynode vom
Herbst 451 an Papst Leo I. den Grossen (440461) unterzeichnete der
Nachbarbischof Abundantius von Como zugleich im Namen seines abwesenden
Churer Amtskollegen Asinio.
Dieses Heft umfasst die Zeit von der Romanisierung des Alpenraumes und endet
mit dem Vertrag von Verdun 843. Verfasst ist es von Prof. Dr. Michael Durst,
dem Kirchenhistoriker und Patrologen der Theologischen Hochschule Chur.
In den ersten Kapiteln gibt Durst einen guten Einblick in den Prozess der
Romanisierung und Christianisierung des Bistumsgebietes, in die Entstehung
und Entwicklung des Bistums. Durst stellt die einzelnen Bischöfe und
das Leben der Bistumsheiligen vor, die frühen Klostergründungen,
die Kirchen und Pfarreien der Diözese. Er behandelt aber auch Aspekte
der Frömmigkeitsgeschichte.
Das Bistumsjubiläum war für die Theologische Hochschule Chur
Anlass, die alljährlich im Sommer stattfindende öffentliche Vortragsreihe
im Jahr 2001 der Churer Bistumsgeschichte zu widmen. Die Vorträge stiessen
auf grosse Resonanz beim Publikum. Jetzt sind die fünf Vorträge
im ersten Band der «Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur»
in leicht überarbeiteter Form herausgegeben und einer breiten Öffentlichkeit
übergeben worden.<3> Damit hat die
Theologische Hochschule Chur ein neues wissenschaftliches Publikationsorgan
eröffnet, das nicht nur die Drucklegung der alljährlichen öffentlichen
Sommervorträge ermöglichen, sondern auch für monographische
Veröffentlichungen und andere Publikationen aus dem Umfeld der Theologischen
Hochschule Chur offen stehen soll.
Michael Durst geht im ersten Vortrag aufgrund literarischer und archäologischer
Zeugnisse den Anfängen der Kirche im Bistum Chur nach. Chur wurde im
Rahmen der diokletianisch-konstantinischen Reichsreform Hauptstadt der Provinz
Raetia prima, deren Ausdehnung später dem Bistum Chur entsprechen sollte
(19). Obwohl erst 451 Bischof Asinio von Chur in den Mailänderakten
erwähnt wird, dürfte das Churer Bistum ein höheres Alter
haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es am Ende des 4. oder mindestens
zu Anfang des 5. Jahrhunderts gegründet worden. Erste Hinweise darauf
ergeben die Grabungen unter St. Stephan in Chur, denn diese Kirche lässt
sich als bischöflich errichtete Stephanusmemorie und als Bischofsgruft
deuten (41). Auch die Errichtung der Churer Andreasmemorie (Vorgängerbau
der St. Luciuskirche) setzt die Anwesenheit eines Bischofs in Chur im ausgehenden
4. oder spätestens im frühen 5. Jahrhundert voraus (45).
Das Hofareal, das als Kastell befestigt worden war, ist spätestens
seit dem 4. Jahrhundert besiedelt. Es war nicht nur Sitz der Munizipalverwaltung,
sondern auch des Statthalters und der Provinzverwaltung der Raetia prima.
Auch der Bischofssitz befand sich an der exponierten Lage des spätrömischen
Kastells. Grabungen haben eine Kontinuität des Standortes der Bischofskirche
vom 5. Jahrhundert an erwiesen (47).
Für die Anzeichen einer Ausbreitung des Christentums um 400 herum fehlen
literarische und urkundliche Quellen. Der Historiker ist auf archäologische
Funde, Hinweise und Evidenzen angewiesen. Mehrere archäologische Funde
erweisen die Präsenz von Christen oder christlichen Gemeinden an verschiedenen
Orten in der Raetia prima ausserhalb der Bischofsstadt Chur: Bonaduz, Schiers,
Schaan, Zillis, Sagogn, Hohenrätien (Hochrialt). Das Christentum hatte
also Eingang gefunden in den wichtigsten Siedlungsgebieten des damaligen
Bistums Chur: am Vorderrhein und Hinterrhein in der Nähe des Zusammenflusses,
in Schams, im Heinzenberger Gebiet im Prättigau und im liechtensteinischen
Rheintal. Die Ausbreitung des Christentums im Churer Bistumsgebiet muss
als Erfolg von intensiven und systematisch durchgeführten Missionsbemühungen
eingestuft werden, die eine Zentrale, das heisst letztendlich einen Bischof
von Chur um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert voraussetzen (57).
Ludwig Schmugge, ordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte
am Historischen Seminar der Universität Zürich, schreibt Kirchengeschichte
«von unten» und zeigt anhand grossenteils neu erschlossener
Quellen auf, wie der einfache Christ im Spätmittelalter seiner Kirche
im Bistum Chur begegnete. Aus verschiedenen Bereichen führt er interessante
Beispiele an, um zu zeigen, welche Probleme die Gläubigen mit ihrer
Kirche im Spätmittelalter hatten. Die Augen vieler Bündner waren
nach Rom gerichtet, um von dort Hilfe in ihren Nöten zu empfangen.
Unehelich geborene Männer, die die höheren Weihen empfangen und
eine Pfründe erhalten wollten, brauchten eine Dispens vom Makel der
unehelichen Geburt (63). Illegitime gab es damals zuhauf, vielleicht sogar
ein Viertel bis zu einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Aus dem
Bistum Chur sind zwischen 1447 und der Reformation 111 Bittschriften von
jungen Männern in den Registern verzeichnet.
Rom wurde angegangen, wenn neue Kirchen mit Seelsorgerecht errichtet werden
sollten (67). Die Gläubigen in abgelegenen Gegenden wollten die eigene
Pfarrkirche in der Nähe haben. Deshalb sollten Filialkirchen und Kapellen
mit Pfarrrechten ausgestattet werden. Man versicherte sich des kirchlichen
Heilsangebotes nicht zuletzt durch päpstliche Privilegien. Ablässe,
Reliquien und Pilgerfahrten, aber auch das Bestreben nach einer Privatisierung
der Frömmigkeitspraxis (z.B. das Recht, die Beichte nicht beim Ortspfarrer
ablegen zu müssen) spielten dabei eine wichtige Rolle (68).
Bisweilen strebten Geistliche mit Pfründen in Graubünden mit Hilfe
einer päpstlichen Dispens weg von ihrer Seelsorgestelle und liessen
sich zu Hause durch einen Vikar vertreten (72). Die Gläubigen schätzten
derartige Praktiken nicht und hielten ihre Geistlichen zur Residenz an.
Die römische Kurie war auch gerne als Karrieresprungbrett in Anspruch
genommen, da es für einfache Kleriker im Bistum Chur wenig Karrieremöglichkeiten
gab.
Die römische Kurie bekam es auch mit vielen gewaltsamen Übergriffen
auf Geistliche auch aus dem Bistum Chur zu tun (76). Ein bedeutender Teil
der Rechtsprechung des geistlichen Gerichts aber waren Eheprozesse, vor
allem wegen Ehehindernissen im Falle von Verwandtschaft (78). Ludwig Schmugge
weist am Schluss des Beitrags darauf hin, dass bereits im Spätmittelalter
eine antikirchliche Stimmung aufkam und «die leichte Durchsetzung
der Reformation in weiten Teilen Graubündens erklärbar macht»
(81).
Alt Nationalrat Dr. phil. Martin Bundi zeichnet den Weg der Einführung
der Reformation im Freistaat der Drei Bünde nach. Dieser Weg war zutiefst
geprägt von demokratischer Willensbildung und dem Bestreben, religiöse
«Toleranz» zu gewährleisten. Bundi charakterisiert den
Zeitgeist von damals mit den Worten: «Die Zeit um 1500 stellte für
die kleine Alpenrepublik der Drei Bünde eine Epoche eines gewaltigen
Aufbruchs dar. Parallel mit der politischen Staatsbildung und mit dem Ausbau
der demokratischen Willensbildung wuchs eine grosse Bereitschaft für
die Aufnahme humanistischen Gedankenguts und eine Offenheit für Renaissancegeist
sowie für die Ideen der kirchlichen Reformation.» Zur republikanischen
Souveränität der vollen politischen Mündigkeit bedurfte es
auch «der wirtschaftlichen Befreiung, das heisst der Ablösung
der am Boden haftenden grundherrlichen Abgaben... So wurde denn... zum Kampf
gegen die letzte Bastion der Feudalzeit, gegen die wirtschaftliche Vormachtstellung
und politische Mitbestimmung der Kirche geschritten» (83).
Dieses Anliegen leitete der Freistaat der Drei Bünde in den zwanziger
Jahren des 16. Jahrhunderts mit einer geradezu revolutionären Kirchengesetzgebung
ein. Grundlage davon sind zunächst die «Sieben Artikel des Grauen
Bundes» vom 20. April 1523. In ihnen greift der Staat «erstmals
massiv in das Kirchenleben» ein und regelt «die Kompetenzen
der Geistlichen neu». Der Graue Bund erhebt sich zum Sittenrichter
über unredliche Machenschaften und das ausschweifende Leben der Geistlichkeit.
Im Wesentlichen wird auch bereits das Schriftprinzip, das heisst die auf
der Bibel gegründete Verkündigung des Evangeliums postuliert (84).
Dem initiativen Vorgehen des Grauen Bundes folgte der Erlass der 18 Artikel
des Grauen Bundes und des Zehngerichtebundes, der Stadt Chur und der Landschaften
Fünf Dörfer und Domleschg vom 6. November 1523 und schliesslich
die «Ilanzer Artikel» von 1524 und 1526. Diese entmachteten
«die bischöfliche Gewalt in weltlichen Dingen fast vollständig»
(90). Die Ilanzer Artikelbriefe atmen eindeutig reformatorischen Geist.
Ilanz kann man als die Wiege der bündnerischen Reformation bezeichnen.
Parallel zum Prozess der revolutionären Landesgesetzgebung verlief
die Diskussion um die Einführung des neuen Glaubens. Das Wirken Comanders
und anderer neugläubiger Pfarrer zugunsten der Reformation führte
bereits Ende 1525 zum Übertritt einer Reihe von Landsgemeinden und
auch der Stadt Chur zum neuen Glauben (92).
Nach einem ersten Religionsgespräch von Ilanz vom 7.9. Januar
1526 galt das Schriftprinzip von Staats wegen als anerkannt und Comander
und seine Mitbrüder konnten nunmehr das Evangelium ungehindert verkünden.
Auf den Druck der inneren Orte der Eidgenossenschaft auf die Drei Bünde,
den neuen Glauben zu verbieten, proklamierten 14 Männer aus allen Drei
Bünden die «Religionsfreiheit», die sie einem Bundestag
zur Annahme vorschlugen. Diese Proklamation überliess jedem Individuum
des Dreibündestaates die freie Wahl zwischen der römisch-katholischen
und der reformierten Konfession. Sie bedeutete noch keine eigentliche Religionsfreiheit
im modernen Sinne, aber sie bildete «pionierhaft weltweit den ersten
liberalen Ansatz zur religiösen Toleranz» (95). Grosse Schwierigkeiten
bereitete die Durchführung und Umsetzung des Beschlusses in der Praxis.
Aber auf dieser Grundlage wurde es möglich, dass sich durch eine Reihe
von Ausführungsbestimmungen (z.B. Zuteilung von Kirchen an Minderheiten)
die ursprüngliche reformierte Minderheit in den Drei Bünden bis
zum Ende des 16. Jahrhunderts zu einer klaren Mehrheit entwickelte (100).
Albert Fischer, der Diözesanvizearchivar des Bistums Chur, behandelt
die Bemühungen um eine solide Ausbildung der Priester im Bistum Chur,
die nach dem Konzil von Trient ein zentrales Anliegen der Katholischen Reform
war.<4> Er geht aus von einem Gutachten,
das eine aus neun Prälaten zusammengesetzte Reformkommission 1537 an
Papst Paul III. (15341549) richtete. Im Gutachten wird unter anderem
Kritik laut wegen der vernachlässigten «Aufsicht und Vorsicht»
der Bischöfe bei der Auswahl von würdigen Alumnen zu Priestern,
mit der verheerenden Folge, «dass immer wieder zu höheren Weihen,
vorab zur Priesterweihe,...alle möglichen Leute zugelassen werden,
die ungebildet sind, von niederer Herkunft, fragwürdigem Lebenswandel
und ohne das nötige Lebensalter» (116).
Die Lösung, die auf dem Konzil von Trient gefunden wurde gegen diese
Missstände, ist im Dekret «Cum adolescentium aetas» formuliert,
bekannt unter dem Schlagwort «Seminardekret». Dieses darf trotz
einiger Mängel als die «Magna Charta» der Priesterbildung
in der Neuzeit der Kirche bezeichnet werden (120). Es forderte die Errichtung
von Seminarien, die zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche eine wichtige,
die höheren Schulen ergänzende Institution zur spezifischen Ausbildung
des künftigen diözesanen Seelsorgeklerus darstellten.
Die ersten erfolgreichen innerkirchlichen Reformbemühungen im Churer
Sprengel sind bis etwa 1590 geprägt von der Hilfe von aussen. Für
die Heranbildung einer reformorientierten Priestergeneration bemühte
sich in herausragender Weise Carl Borromäus (15381584). Am 1.
Juni 1579 öffnete das von ihm initiierte «Collegio Elvetico»
in Mailand seine Tore. Die Zahl der Freiplätze für Alumnen aus
dem Hoheitsgebiet der drei Bünde blieb im 17. Jahrhundert konstant
bei sechs; 1726 wurde die Zahl auf 12 erhöht. Churer Studenten studierten
an der von Jesuiten geleiteten Brera-Universität in Mailand oder an
der renommierten Universität in Pavia.
Neben Borromäus bemühte sich der Konstanzer Bischof und Kardinal
Mark Sittich von Hohenems (15611589) um Ausbildungsplätze für
Churer Priesteramtskandidaten. Er erwirkte für zwei Feldkircher Studenten
Freiplätze am deutschen Jesuitenkolleg, am Collegium Germanicum in
Rom. Die Churer Ordinarien besassen auch Anlaufstellen für ihre Alumnen
an den Jesuitenkollegien in Luzern, Freiburg i.Ü. und Wien, an den
philosophischen und theologischen Universitäten Freiburg i.Br., Ingolstadt,
Dillingen und Graz.
Nach 1590 wurde der Ruf nach einer eigenen Bildungsstätte auf Diözesangebiet
immer lauter. 1587 eröffnete der Disentiser Abt Nikolaus Tyron (15841593)
eine Lehranstalt in den Räumen des Klosters (127). Weil die finanziellen
Zuwendungen nach dem Tod Tyrons von Dominikanerkardinal Michele Bonelli
ausblieben, konnte die Lehranstalt nicht mehr weitergeführt werden.
Aber es war ein erster, zwar bescheidener, diözesaneigener Beitrag
im Bereich der Priesterausbildung, deren Schwerpunkt weiterhin im Ausland
lag. Die Churer Priesterausbildung führte im 17. Jahrhundert und darüber
hinaus über den sicheren Weg der Garantie von Studienfreiplätzen,
welche von geistlicher wie weltlicher Hand finanziert wurden. Die Gründung
eines eigenen Seminars gelang für Chur erst an der Schwelle des 19.
Jahrhunderts (1800 in Meran, 1807 Verlegung nach St. Luzi, Chur).
Im letzten Beitrag verfolgt Albert Gasser, der langjährige Professor
für Kirchengeschichte an der Theologischen Hochschule Chur, die Entwicklung
des Bistums Chur vom rätischen Fürstbistum zur schweizerischen
Diözese im 19. und 20. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit.
Die Umgestaltung der Schweiz zur Zeit Napoleons leitete eine neue Einteilung
der Schweizer Bistümer ein. Gaudenz von Planta, ein Chefbeamter während
der Helvetik, nahm am 3. März 1803 das Hochstift formell in Besitz.
Armutsgründe retteten das Bistum vor dem völligen Ruin, denn nach
eingehender Bestandsaufnahme schien es dem bündnerischen Kleinen Rat
rentabler, das «Erbe» auszuschlagen. Der Churer Hofbezirk behielt
eine eigene Rechtsprechung und Polizeigewalt, bis er 1852 in die Stadtgemeinde
Chur integriert wurde.
Die Auflösung des Bistums Chur in seinem bisherigen Umfang liess sich
indes nicht verhindern. Das Bistum wurde nun mit Ausnahme von Liechtenstein
eine rein schweizerische Diözese. Bei der Liquidierung des Bistums
Konstanz 1821 wurde der Bischof von Chur für kurze Zeit Apostolischer
Administrator des ehemaligen «Schweiz Quart». Dem Churer Bischof
unterstand die Region zwischen Rhein und Aare. Zürich kam 1819 administrativ
zum Bistum Chur. Im Jahr 1821 gingen die Kantone Luzern, Zug, Bern, Thurgau
und Aargau an das umgestaltete Bistum Basel über. Auch Schaffhausen
und Appenzell traten aus der Churer Interimsverwaltung aus; Schaffhausen
wurde dem Bistum Basel übergeben, Appenzell dem neu errichteten Bistum
St. Gallen. Der Nuntius hatte nämlich die Idee eines Doppelbistums
in Personalunion mit einem Bischof durchgesetzt, der alternierend in Chur
und in St. Gallen residieren sollte. Graubünden leistete gegen dieses
Gebilde Widerstand und erreichte 1836, dass Papst Gregor XVI. das Experiment
des Doppelbistums fallen liess.
Die Bistumszugehörigkeit der Zentralschweiz war nur provisorisch geregelt,
und das Thema beschäftigte noch lange die Gemüter (149). Verschiedene
Optionen wurden getroffen: Der Bischof betrieb den Anschluss der Urkantone.
Die Bündner Behörden zeigten aber zunächst die kalte Schulter.
Schwyz drängte auf raschen Abschluss des Anschlusses an Chur in der
Hoffnung, die beiden anderen Urkantone würden mitziehen. Am 3. August
1824 schlossen der Bischof und die Schwyzer Regierung eine Vereinbarung,
die Papst Leo XII. genehmigte. Die Anerkennung durch die Bündner Regierung
aber blieb aus. 1913 traten die Urkantone erneut in Verhandlungen mit der
Bündner Regierung. 1916 entstand ein Entwurf zu einem Bistumsvertrag.
Dieses Provisorium, zu dem auch Zürich und Glarus gehörten, wurde
faktisch definitiv. Aber in den Urschweizer Tälern blieb ein gewisser
Anti-Chur-Affekt. In Zürich regte sich kein Verlangen an einer definitiven
Bistumszugehörigkeit. 1956 erhielt es mit der Errichtung eines Generalvikariates
einen Sonderstatus.
In Zürich hatte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder katholisches
Leben zu regen begonnen (153). Ab 1817 wurde eine katholische Gottesdienstgelegenheit
in der St.-Anna-Kapelle eingerichtet. Dann wurde der wachsenden Katholikenzahl
das Schiff des Fraumünsters zur Verfügung gestellt. 1842 übergab
die Zürcher Regierung den Katholiken die Augustinerkirche in Miete.
1862 wurde das Benediktinerkloster Rheinau durch Beschluss des Parlamentes
des Kantons Zürich aufgehoben. Als «Gegenleistung» wurde
den Katholiken ein Teil des Vermögens zur Verfügung gestellt.
1863 wurde Zürich zur Kirchgemeinde erhoben. Am 8. Juni 1873 beschloss
die Mehrheit der allein stimmberechtigten Schweizer Bürger die Ablehnung
der Doktrin von der päpstlichen Unfehlbarkeit. Pfarrer Reinhard trug
demonstrativ das Allerheiligste aus der Augustinerkirche. Die romtreuen
Katholiken erbauten sofort in Aussersihl die Kirche St. Peter und Paul,
die bereits 1874 eingeweiht wurde. Die Zahl der Katholiken nahm kontinuierlich
zu, aber sie blieben bis 1963 ohne öffentlich-rechtliche Stellung.
Aus der ursprünglich spärlichen Zürcher Diaspora wurde eine
personalintensive Kernregion des Bistums. Die Zürcher Kirche wurde
die aktivste und kreativste, auch die finanzkräftigste in der Diözese
Chur.
Gasser schildert in seinem Beitrag auch einige bischöfliche Profile,
vor allem die von Georgius Schmid von Grüneck (18511932) und Christianus
Caminada (18761962). Der letzte Abschnitt gilt einigen Aspekten des
«Churer Investiturstreits» (19881998).
Alle drei vorgestellten Veröffentlichungen verdienen eine breite Leserschaft.
Die Leser und Leserinnen werden auf spannende Reisen durch die Geschichte
der Kirche mitgenommen und verwurzeln sie im religiös-kirchlichen Erbe
unseres Landes.
Dr. Sr. Zoe Maria Isenring ist Lehrbeauftragte für Kirchengeschichte am Theologischen Seminar des Dritten Bildungsweges.
1 Gregor Jäggi, Das Bistum Basel in seiner Geschichte. Mittelalter, Strasbourg 1999.
2 Michael Durst, Geschichte der Kirche im Bistum Chur. Von den Anfängen bis zum Vertrag von Verdun (843), Strasbourg 2001.
3 Michael Durst (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Bistums Chur (4512001), (Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur, Band 1), Freiburg Schweiz 2002.
4 Vgl. Michael Durst, Das Bistum Chur im Zeitalter der Katholischen Reform, in: SKZ 170 (2002) Nr. 39, S. 542ff.
Die Churer St. Luziuskirche hat vor kurzem in der Reihe des Kunstverlags Josef Fink einen kleinen Kunstführer erhalten, den Michael Durst verfasst und zu dem er eine Reihe von ausgezeichneten Fotos beigesteuert hat. Seiner Tätigkeit in Chur entsprechend legte er grosses Gewicht auf die Geschichte der Luziuskirche: er beginnt mit der Topographie und Archäologie, das heisst mit den spätantiken Bauten; anschliessend stellt er dar, was es über die karolingische Kirche zu wissen gibt; dann kommt er zu dem, was der Besucher und die Besucherin heute noch zu sehen bekommen: die Kirche der Prämonstratenser und die Kirche des Priesterseminars. Abschliessend wird die Ausstattung, aus dem 8. und dem 12./13. Jahrhundert ist praktisch nichts erhalten, dargestellt. Vom Priesterseminar St. Luzi herausgegeben, kann dieser kleine Kunstführer auch dort bezogen werden (Alte Schanfiggerstrasse 7/9, 7000 Chur).
Nach seiner Dissertation «Die Katholiken im Kanton Zürich 18621875 im Spannungsfeld zwischen Eingliederung und Absonderung» hat der Historiker Max Stierlin eine Gesamtdarstellung verfasst: nicht eine Zürcher Katholizismus- oder Kirchengeschichte, sondern ein Kaleidoskop der Spuren, die katholische Gläubige in der Zürcher Landschaft hinterlassen haben: «Der Weg der Katholiken im Kanton Zürich. Wegmarken und Etappen» (Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2002, 200 Seiten). Das reich illustrierte Buch will, wie René Zihlmann als Präsident der römisch-katholischen Zentralkommission schreibt, seine Leser und Leserinnen dazu anregen, «diese Wegmarken auf Wanderungen und Ausflügen zu finden». Es will aber auch dazu anregen, sich für die Geschichte der eigenen Pfarrei zu interessieren bzw. ihr nachzugehen. Eine wünschbare Gesamtdarstellung ist auf noch viele Vorarbeiten angewiesen!