42/2002 | |
INHALT |
Ökumene |
Barfuss den Berg hinauf, Rosenkranz betend oder Marienlieder singend,
zu der Ruine des Schreins, der 1536 dem «Pilgrimage of Grace»
seinen Namen gab ... an der Hand eines Grossvaters, der einst schottischer
Presbyterianer war ... so lernt man am eigenen Leib, warum es unter britischen
Katholiken heisst: «die Konvertiten sind immer die Schlimmsten».
Von zwei solchen «schlimmen» Konvertiten handelt das vorliegende
Buch;<1> zwei aus der Anglikanischen Kirche
kommenden Kirchenmännern, die beide die Römisch-Katholische Kirche
im England des 19. Jahrhunderts stark geprägt haben und zu Kardinalswürde
gekommen sind. Aus ähnlichen Verhältnissen stammend, hatten die
zwei anglikanischen Geistlichen verschiedene Beweggründe für ihre
Konversion, und sie haben auch nachher in ihrer neuen kirchlichen Heimat
unterschiedlich gewirkt.
Henry Edward Manning war zur Zeit des Ersten Vatikanischen Konzils ein «Senkrechtstarter»
in der römischen Kirche, der massgeblich dazu beitrug, aus dem Nicht-Traktandum
der päpstlichen Unfehlbarkeit praktisch das Haupttraktandum des Konzils
zu machen. Schon andere Ultramontanisten seiner Zeit haben ihn weniger als
Theologen denn als «kirchlichen Staatsmann» bezeichnet. Er hatte
als Anglikaner sehr unter der Verstrickung zwischen Kirche und Staat gelitten,
in einer Kirche, in der die Bischöfe von Parlament bestimmt wurden
und ein weltlicher Monarch das Haupt der Kirche darstellte. Er sehnte sich
auch nach der Sicherheit einer garantierten Wahrheit, am sichersten wenn
von nur einem Menschen gelehrt. Er war ein Hauptexponent des Neo-Ultramontanismus
und betrachtete den Papst als neuen Petrus, dem man in allen Dingen gehorchen
soll; so war er auch sehr beliebt in Rom. Als «Kardinal des ersten
Vatikanums» ist er jetzt etwas in Ungnade gefallen, und die mündigen
britischen Katholiken von heute finden John Henry Newman ungleich sympathischer.
Newmans Weg zur römischen Kirche enthielt nicht so sehr staatskirchliche,
sondern theologische Gedanken. Er war zur Überzeugung gekommen, dass
die Kirche irgendwie fähig sein muss, unfehlbar auf drohende Häresien
zu reagieren, wenn nötig durch die Proklamation einer Doktrin. Diese
darf aber nicht «neu» sein, sondern muss eine Entwicklung dessen
darstellen, was schon am Anfang geglaubt wurde. Seine Reaktion zu der Proklamation
der päpstlichen Unfehlbarkeit war deswegen zunächst, dass sie
unnötig und kontraproduktiv sei. Überhaupt war er nicht so sicher,
ob der Papst allein und ohne Kirche unfehlbar wäre; er legte die Doktrin
minimalistisch aus und hat sie erst dann akzeptiert, als er sah, dass sie
auch in der Weltkirche angenommen wurde. Während Manning sein Augenmerk
hauptsächlich auf die Wirkung des Geistes in direkter hierarchischer
Linie durch den Papst richtete, war sich Newman mehr der menschlichen Auswirkungen
der «Unfehlbarkeit» bewusst. Er meinte, dass Gewaltentrennung
in der Kirche herrschen sollte: Es sei für einen Menschen wie
die weltliche Politik zeige eine zu grosse Versuchung, ihn gleichzeitig
zur obersten und alleinigen legislativen und exekutiven Gewalt zu machen.
Diese skeptische Einstellung, wobei die Rolle des Papstes nur ein Aspekt
des komplizierten Organismus namens Kirche war, brachte Newman in Rom wenig
Gnade, und er wurde erst von Leo XIII. zum Kardinal erhoben.
Adrian Lüchinger hat seine Materie gründlich durchforscht und
seinen Lesern nichts vorenthalten. Das Resultat ist entsprechend gewichtig,
obwohl flüssig, sogar spannend geschrieben. Man kann das Buch auch
mit Gewinn lesen, ohne die fast 1400 Fussnoten zu beachten; allerdings verpasst
man dabei einen faszinierenden Einblick in die Denkstrukturen der katholischen
Hierarchie des 19. Jahrhunderts. Die Fussnoten enthalten nämlich meistens
Zitate in der Originalsprache; ihr Inhalt wird im Text umschrieben, aber
gelegentlich findet man etwas, was nicht im Text erscheint, wie zum Beispiel
Talbot an Manning: «Was ist der Aufgabenbereich der Laien? Die Jagd,
das Schiessen, die Unterhaltung? Diese Dinge verstehen sie, aber sie haben
kein Recht, sich in kirchlichen Angelegenheiten einzumischen...» In
diesem Brief hat Talbot Newman als «den gefährlichsten Mann Europas»
bezeichnet, der die Laien «gegen» Manning brauchen könnte.
Sehr interessant ist Lüchingers Beschreibung der Geschehnisse beim
Ersten Vatikanischen Konzil, der Ränkespiele und geheimen Treffen,
und erschütternd ist sein Zitat aus Mannings Buch danach: «Es
gab weder auf der einen Seite noch auf der anderen Verheimlichung oder Intrige.»
Das in einem Buch, das den Titel «Die wahre Geschichte des Vatikanischen
Konzils» trug!
In den letzten Kapiteln seines Buchs versucht Lüchinger, die beiden
Kirchenmänner in den gemeinsamen Kontext ihrer Kirche in ihrer Zeit
zu stellen. Es gelingt ihm gut, obwohl auffällt, dass Adrian Lüchinger
keine Erfahrung aus der Zeit zwischen den zwei Konzilen hat. Er geht nicht
auf Mannings offensichtliches Verlangen nach Sicherheit ein, eine Sicherheit,
die «vorkonziliäre» Katholiken gut kannten: Man musste,
durfte nicht selber denken, was recht sei, sondern nahm Anweisungen des
Pfarrers an, die wiederum «von oben» kamen. Diese Einstellung
hat Newman nie geteilt: Ihm lag eher die Devise «sentire cum ecclesia»
als «sentire cum papa».
Nach der Lektüre dieses Buchs stellt man sich unweigerlich vor, wie
Henry Edward Manning und John Henry Newman in der Kirche von heute zurechtkommen
würden. Die Strömungen, die sie verkörperten, sind beide
noch vorhanden. Newman wäre sicher an der Seite aller, die sich einer
engen Auslegung von «Humanae vitae» widersetzen, während
Manning bei den begeisterten Verteidigern des Treueeids zu finden wäre.
Die Frage nach der Unfehlbarkeit des Papstes ist heute so aktuell wie je,
besonders in Westeuropa, wo das «sentire cum ecclesia» und das
«sentire cum papa» sich auseinander zu entwickeln scheinen.
In dieser Situation ist es von grossem Interesse, die Überlegungen
Mannings und Newmanns zu verfolgen, die sich für eine sehr autoritäre
römische Kirche entschieden haben, nicht trotz, sondern wegen ihrer
Autoritätsansprüche.
Jean Drummond-Young ist Redaktorin des Christkatholischen Kirchenblattes.
1 Adrian Lüchinger, Päpstliche Unfehlbarkeit bei Henry Edward Manning und John Henry Newman, (Ökumenische Beihefte zur Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Band 40), Universitätsverlag, Freiburg 2001.