17/2002

INHALT

Leitartikel

Aufbruch in die Gegenwart

von Thomas Binotto

 

Die gute Nachricht zum Mediensonntag lautet: Der Internet-Boom ist vorbei. Die schlechte: Noch haben es nicht alle gemerkt. Der «Tages-Anzeiger» lässt nur noch gegen Gebühr in seinem Archiv stöbern, die Post hat ihren Versuch, ein digitaler Riese zu werden, brüsk abgebrochen, und «gechattet» ­ und leider auch «ge-sms-elt» ­ wird zur Hauptsache wieder im Zug. Es macht sich Normalität breit im Internet, und das ist gut so. Der Goldrausch, welcher suggerierte, nur schon die Präsenz im Internet bringe weltweite Aufmerksamkeit und womöglich sogar noch das grosse Geld, ist der nüchternen Einsicht gewichen, dass auch der Cyberspace seine Grenzen hat. In erster Linie ist das Internet damit wieder das geworden, was es schon immer war: ein monströses Lexikon, dessen Durchforstung Raffinesse und die Unterscheidung der Geister verlangt. Und beim Mailverkehr setzt sich endlich durch, dass man nicht sicherheitshalber einen Telefonanruf hinterherschicken muss. Die Technologie, die dahinter steckt, sie bleibt zwar nach wie vor bahnbrechend und wird unseren Alltag mehr und mehr mitprägen, aber sie tut es je länger je unbemerkter. So wie wir in den Zug einsteigen, ohne von den technischen Hintergründen auch nur die leiseste Ahnung zu haben, genauso werden wir zu Online-Nutzern, ohne es zu merken.
Ich gebe gerne zu, dass das die Einschätzung eines selbst Ernüchterten ist. Drei Jahre lang habe ich am Cyberspace «mitgebastelt», wollte nicht nur Techniker sondern auch Mitgestalter des jungen Mediums sein, um schliesslich geläutert wieder das zu werden, was ich vorher schon war, ein schreibender Journalist.
Als Webmaster habe ich in kirchlichen Kreisen immer wieder zwei Hoffnungen vernommen: Erstens ist das Internet jenes niederschwellige Angebot, durch das wir die Kirchenfernen erreichen, und zweitens werden wir dank dem Medium der Jugend endlich die Jugend selbst zurückgewinnen. Und die dritte Hoffnung hegte ich selbst, dass nämlich durch die Konzeptarbeit an kirchlichen Internetauftritten auch unser Selbstverständnis als Kirche diskutiert würde. Alles Hoffnungen, die schon damals Illusionen waren, und es auch in Zukunft bleiben werden.
In Wirklichkeit begegnen wir nämlich im Internet noch mehr als im alltäglichen Leben genau jenen Inhalten, die wir suchen, und stolpern so kaum zufällig in kirchliche Räume hinein. Ich bin sicher, dass immer noch mehr Touristen auf ihren Ferienreisen ein Kirchenportal durchschreiten, als das kirchenferne Surfer im Internet tun. Niederschwellig ist das Angebot der Kirche allenfalls in seiner Gastfreundlichkeit, sobald es aber darum geht, ein aktiver Teil dieser Kirche zu werden, wird es hochschwellig. Manchmal sind die weit geöffneten Tore deshalb nichts weiter als eine Mogelpackung, weil sich hinter interessierten Besuchern die Türen sofort schliessen ­ und schon liest man in der Bibelgruppe, nimmt an der Chrabbelfyr teil und denkt im Pfarreirat mit.
Die Jugend ihrerseits hat nicht einmal wahrgenommen, dass die Kirche im Internet ganz plötzlich ganz trendig geworden war.
Und schliesslich wäre es nach wie vor sinnvoll, wenn kirchliche Institutionen, die einen Internet-Auftritt diskutieren, auch darüber nachdenken würden, was sie eigentlich zu verkündigen gedenken, und wie sie das tun wollen. In Wirklichkeit ist das Internet aber nach wie vor eine Wiederverwertungsanstalt, die alles schlucken muss, was eh schon im Computer ist, bestenfalls neu gestaltet, aber nur in den wenigsten Fällen auch neu durchdacht.
Trotz Internet ­ und notabene trotz den erstaunlich hohen Einschaltquoten vieler kirchlicher Angebote ­ hat sich in der Kirche wenig verändert. Dabei waren die Visionen so rosig: seine eigene Redaktion bilden, sich nach Lust und Laune ausbreiten können, endlich ein authentisches Kirchenbild präsentieren, ganz nah an die Menschen herankommen ­ Schluss mit den Randnotizen in der säkularisierten Medienwelt, in der selbst zehn Zeilen genügen, die gute Sache auf den Kopf zu stellen, Schluss mit dem schlechten Image durch der bösen Medienwelt Ungnaden.
Die päpstliche Botschaft zum Sonntag der sozialen Kommunikationsmittel trägt den Titel «Internet: Ein neues Forum zur Verkündigung des Evangeliums.» Das lässt befürchten, dass auch der Vatikan zu jenen gehört, die noch nicht ausgenüchtert sind, die das Internet immer noch als effiziente Abkürzung in Verkündigungsfragen betrachten, als Vehikel, um verlorene Marktanteile zurückzuerobern, damit schliesslich endlich wieder jene Pracht und Macht zur Entfaltung kommt, die einem zusteht.
In genau dieser Hinsicht wird man von der Botschaft wohltuend enttäuscht. Der gute Rat lautet: Mit «Realismus und Zuversicht» solle man sich dem neuen Medium nähern. Bei aller Ermutigung, das Internet einzusetzen, werden auch die heiklen Punkte nicht ausgeklammert: Das Internet ist ein Mittel und kein Selbstzweck; es verändert unsere Beziehung zu Zeit und Raum; es kann den direkten menschlichen Kontakt nicht ersetzen; es wird nur ungenügend für den Ausgleich zwischen Nord und Süd eingesetzt; es ist nur so menschenfreundlich wie seine Macher.
Ich kann mich dem ­ in meiner Sprache und mit meinen Erfahrungen ­ nur anschliessen:
Am Beispiel der Internet-Seelsorge wird deutlich, wie absurd es werden kann, wenn man sich nur von technischen Möglichkeiten leiten lässt und zu wenig über sachgerechten Medieneinsatz nachdenkt. Bislang konnte mir nämlich niemand einsichtig erklären, dass die SMS-Seelsorge gegenüber der Telefonseelsorge einen entscheidenden Qualitätssprung bringt. Was soll daran bahnbrechend sein, auf einer Handy-Tastatur mühsam Kurznachrichten einzutippen, wenn schon mit einer dreistelligen Wahl die «Dargebotene Hand» erreicht werden kann?
Wir sehr uns der Internet-Boom beeinflusst hat, zeigt die Tendenz, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage grotesk zu verdrehen. Es ist das Angebot, welches uns Nutzer unter Druck setzt und unsere Nachfrage geradezu erzwingt: Das Internet bietet eine ungeheure Fülle an Informationen, also haben wir auch die Pflicht, uns rund um die Uhr zu informieren. Warten und verzichten können, als Einzelfall nicht dabei zu sein, das sind nicht die Tugenden, die uns das Internet lehrt.
Schnelligkeit und Masse sind die Faktoren, welche den Puls des Internets bestimmen. Umso dringender wäre es deshalb, endlich das Gesetz der Geschwindigkeit durch das Gesetz der Relevanz zu ersetzen, und nach dem ersten Freudenschrei über die ungeheure Masse an Informationen, die das Internet liefert, kritisch nachzufragen, was uns alles vorenthalten wird.
Gefragt sind deshalb mehr denn je Mediennutzer, die Zusammenhänge herstellen und die auswählen können. Menschen, die das Internet nicht maximal, sondern optimal einsetzen. Die päpstliche Botschaft formuliert es noch vorsichtig: «Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Greifbare, das Nützliche, das unmittelbar Verfügbare; möglicherweise fehlen Anregungen zu Meditation und Reflexion.» Man darf das ruhig unterstreichen: Genau so ist es. Wir haben inzwischen gelernt, alles Mögliche zu downloaden, zu printen und zu cachen ­ jetzt sollten wir auch noch lernen, es zu übersetzen und zu verdauen. Und eine bewusste und provokative «Informations-Armutsbewegung» würde uns von Zeit zu Zeit auch gut tun.
Damit ich richtig verstanden werde: Die Kirche soll das Internet nutzen ­ je professioneller sie das tut, desto besser. Ebenso wichtig ist aber auch, dass wir uns bewusst bleiben, dass mit dem Internet allein kein einziges kirchliches Problem gelöst wird. Internet-Seelsorge mag eine sinnvolle Ergänzung zur so genannt traditionellen Seelsorge sein, aber sie ist genau wie diese nicht deswegen erfolgreich, weil sie sich eines modernen Mediums bedient, sondern weil es ihr gelingt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Mit anderen Worten: Eine papierene Seelsorge bleibt auch papieren, wenn man sie digitalisiert ­ eine menschenfreundliche Seelsorge wird ihr «Publikum» immer erreichen.
Das Internet kann und soll zwar den christlichen Glauben, die frohe Botschaft verkünden, aber es ist wie alle anderen Medien bloss Sprachrohr. Dass wir als Kirche nicht nur per Modem, sondern auch im wirklichen Leben vernetzt sind, ist und bleibt entscheidend. Dafür schadet es sicher nicht, wenn wir uns bewusst werden, dass Vernetzung auch Verbindlichkeit bedeuten könnte. Wenn also die Kirche eine Chance wittert, über sich selbst authentisch berichten zu können, muss sie in erster Linie dafür besorgt sein, authentisch zu leben. So gesehen ist der Cyberspace vor allem eine Herausforderung an unseren ganz alltäglichen Lebensraum.

 

Thomas Binotto war in der Aufbauphase des Internetportals «kath.ch» Webmaster und ist jetzt Redaktor beim «forum», dem Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002