17/2002 | |
INHALT |
Leitartikel |
Die gute Nachricht zum Mediensonntag lautet: Der Internet-Boom ist vorbei.
Die schlechte: Noch haben es nicht alle gemerkt. Der «Tages-Anzeiger»
lässt nur noch gegen Gebühr in seinem Archiv stöbern, die
Post hat ihren Versuch, ein digitaler Riese zu werden, brüsk abgebrochen,
und «gechattet» und leider auch «ge-sms-elt»
wird zur Hauptsache wieder im Zug. Es macht sich Normalität breit
im Internet, und das ist gut so. Der Goldrausch, welcher suggerierte, nur
schon die Präsenz im Internet bringe weltweite Aufmerksamkeit und womöglich
sogar noch das grosse Geld, ist der nüchternen Einsicht gewichen, dass
auch der Cyberspace seine Grenzen hat. In erster Linie ist das Internet
damit wieder das geworden, was es schon immer war: ein monströses Lexikon,
dessen Durchforstung Raffinesse und die Unterscheidung der Geister verlangt.
Und beim Mailverkehr setzt sich endlich durch, dass man nicht sicherheitshalber
einen Telefonanruf hinterherschicken muss. Die Technologie, die dahinter
steckt, sie bleibt zwar nach wie vor bahnbrechend und wird unseren Alltag
mehr und mehr mitprägen, aber sie tut es je länger je unbemerkter.
So wie wir in den Zug einsteigen, ohne von den technischen Hintergründen
auch nur die leiseste Ahnung zu haben, genauso werden wir zu Online-Nutzern,
ohne es zu merken.
Ich gebe gerne zu, dass das die Einschätzung eines selbst Ernüchterten
ist. Drei Jahre lang habe ich am Cyberspace «mitgebastelt»,
wollte nicht nur Techniker sondern auch Mitgestalter des jungen Mediums
sein, um schliesslich geläutert wieder das zu werden, was ich vorher
schon war, ein schreibender Journalist.
Als Webmaster habe ich in kirchlichen Kreisen immer wieder zwei Hoffnungen
vernommen: Erstens ist das Internet jenes niederschwellige Angebot, durch
das wir die Kirchenfernen erreichen, und zweitens werden wir dank dem Medium
der Jugend endlich die Jugend selbst zurückgewinnen. Und die dritte
Hoffnung hegte ich selbst, dass nämlich durch die Konzeptarbeit an
kirchlichen Internetauftritten auch unser Selbstverständnis als Kirche
diskutiert würde. Alles Hoffnungen, die schon damals Illusionen waren,
und es auch in Zukunft bleiben werden.
In Wirklichkeit begegnen wir nämlich im Internet noch mehr als im alltäglichen
Leben genau jenen Inhalten, die wir suchen, und stolpern so kaum zufällig
in kirchliche Räume hinein. Ich bin sicher, dass immer noch mehr Touristen
auf ihren Ferienreisen ein Kirchenportal durchschreiten, als das kirchenferne
Surfer im Internet tun. Niederschwellig ist das Angebot der Kirche allenfalls
in seiner Gastfreundlichkeit, sobald es aber darum geht, ein aktiver Teil
dieser Kirche zu werden, wird es hochschwellig. Manchmal sind die weit geöffneten
Tore deshalb nichts weiter als eine Mogelpackung, weil sich hinter interessierten
Besuchern die Türen sofort schliessen und schon liest man in
der Bibelgruppe, nimmt an der Chrabbelfyr teil und denkt im Pfarreirat mit.
Die Jugend ihrerseits hat nicht einmal wahrgenommen, dass die Kirche im
Internet ganz plötzlich ganz trendig geworden war.
Und schliesslich wäre es nach wie vor sinnvoll, wenn kirchliche Institutionen,
die einen Internet-Auftritt diskutieren, auch darüber nachdenken würden,
was sie eigentlich zu verkündigen gedenken, und wie sie das tun wollen.
In Wirklichkeit ist das Internet aber nach wie vor eine Wiederverwertungsanstalt,
die alles schlucken muss, was eh schon im Computer ist, bestenfalls neu
gestaltet, aber nur in den wenigsten Fällen auch neu durchdacht.
Trotz Internet und notabene trotz den erstaunlich hohen Einschaltquoten
vieler kirchlicher Angebote hat sich in der Kirche wenig verändert.
Dabei waren die Visionen so rosig: seine eigene Redaktion bilden, sich nach
Lust und Laune ausbreiten können, endlich ein authentisches Kirchenbild
präsentieren, ganz nah an die Menschen herankommen Schluss mit
den Randnotizen in der säkularisierten Medienwelt, in der selbst zehn
Zeilen genügen, die gute Sache auf den Kopf zu stellen, Schluss mit
dem schlechten Image durch der bösen Medienwelt Ungnaden.
Die päpstliche Botschaft zum Sonntag der sozialen Kommunikationsmittel
trägt den Titel «Internet: Ein neues Forum zur Verkündigung
des Evangeliums.» Das lässt befürchten, dass auch der Vatikan
zu jenen gehört, die noch nicht ausgenüchtert sind, die das Internet
immer noch als effiziente Abkürzung in Verkündigungsfragen betrachten,
als Vehikel, um verlorene Marktanteile zurückzuerobern, damit schliesslich
endlich wieder jene Pracht und Macht zur Entfaltung kommt, die einem zusteht.
In genau dieser Hinsicht wird man von der Botschaft wohltuend enttäuscht.
Der gute Rat lautet: Mit «Realismus und Zuversicht» solle man
sich dem neuen Medium nähern. Bei aller Ermutigung, das Internet einzusetzen,
werden auch die heiklen Punkte nicht ausgeklammert: Das Internet ist ein
Mittel und kein Selbstzweck; es verändert unsere Beziehung zu Zeit
und Raum; es kann den direkten menschlichen Kontakt nicht ersetzen; es wird
nur ungenügend für den Ausgleich zwischen Nord und Süd eingesetzt;
es ist nur so menschenfreundlich wie seine Macher.
Ich kann mich dem in meiner Sprache und mit meinen Erfahrungen
nur anschliessen:
Am Beispiel der Internet-Seelsorge wird deutlich, wie absurd es werden kann,
wenn man sich nur von technischen Möglichkeiten leiten lässt und
zu wenig über sachgerechten Medieneinsatz nachdenkt. Bislang konnte
mir nämlich niemand einsichtig erklären, dass die SMS-Seelsorge
gegenüber der Telefonseelsorge einen entscheidenden Qualitätssprung
bringt. Was soll daran bahnbrechend sein, auf einer Handy-Tastatur mühsam
Kurznachrichten einzutippen, wenn schon mit einer dreistelligen Wahl die
«Dargebotene Hand» erreicht werden kann?
Wir sehr uns der Internet-Boom beeinflusst hat, zeigt die Tendenz, das Verhältnis
von Angebot und Nachfrage grotesk zu verdrehen. Es ist das Angebot, welches
uns Nutzer unter Druck setzt und unsere Nachfrage geradezu erzwingt: Das
Internet bietet eine ungeheure Fülle an Informationen, also haben wir
auch die Pflicht, uns rund um die Uhr zu informieren. Warten und verzichten
können, als Einzelfall nicht dabei zu sein, das sind nicht die Tugenden,
die uns das Internet lehrt.
Schnelligkeit und Masse sind die Faktoren, welche den Puls des Internets
bestimmen. Umso dringender wäre es deshalb, endlich das Gesetz der
Geschwindigkeit durch das Gesetz der Relevanz zu ersetzen, und nach dem
ersten Freudenschrei über die ungeheure Masse an Informationen, die
das Internet liefert, kritisch nachzufragen, was uns alles vorenthalten
wird.
Gefragt sind deshalb mehr denn je Mediennutzer, die Zusammenhänge herstellen
und die auswählen können. Menschen, die das Internet nicht maximal,
sondern optimal einsetzen. Die päpstliche Botschaft formuliert es noch
vorsichtig: «Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Greifbare, das
Nützliche, das unmittelbar Verfügbare; möglicherweise fehlen
Anregungen zu Meditation und Reflexion.» Man darf das ruhig unterstreichen:
Genau so ist es. Wir haben inzwischen gelernt, alles Mögliche zu downloaden,
zu printen und zu cachen jetzt sollten wir auch noch lernen, es zu
übersetzen und zu verdauen. Und eine bewusste und provokative «Informations-Armutsbewegung»
würde uns von Zeit zu Zeit auch gut tun.
Damit ich richtig verstanden werde: Die Kirche soll das Internet nutzen
je professioneller sie das tut, desto besser. Ebenso wichtig ist aber
auch, dass wir uns bewusst bleiben, dass mit dem Internet allein kein einziges
kirchliches Problem gelöst wird. Internet-Seelsorge mag eine sinnvolle
Ergänzung zur so genannt traditionellen Seelsorge sein, aber sie ist
genau wie diese nicht deswegen erfolgreich, weil sie sich eines modernen
Mediums bedient, sondern weil es ihr gelingt, ein Vertrauensverhältnis
aufzubauen. Mit anderen Worten: Eine papierene Seelsorge bleibt auch papieren,
wenn man sie digitalisiert eine menschenfreundliche Seelsorge wird
ihr «Publikum» immer erreichen.
Das Internet kann und soll zwar den christlichen Glauben, die frohe Botschaft
verkünden, aber es ist wie alle anderen Medien bloss Sprachrohr. Dass
wir als Kirche nicht nur per Modem, sondern auch im wirklichen Leben vernetzt
sind, ist und bleibt entscheidend. Dafür schadet es sicher nicht, wenn
wir uns bewusst werden, dass Vernetzung auch Verbindlichkeit bedeuten könnte.
Wenn also die Kirche eine Chance wittert, über sich selbst authentisch
berichten zu können, muss sie in erster Linie dafür besorgt sein,
authentisch zu leben. So gesehen ist der Cyberspace vor allem eine Herausforderung
an unseren ganz alltäglichen Lebensraum.
Thomas Binotto war in der Aufbauphase des Internetportals «kath.ch» Webmaster und ist jetzt Redaktor beim «forum», dem Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich.