5/2002 | |
INHALT |
Leitartikel |
Es ist zum katholisch werden», schimpft eine ältere Frau im
Roman «Der Stechlin» des Berliner Hugenottenabkömmlings
Theodor Fontane. So war es damals im protestantisch geprägten Preussen:
«Katholisch» galt als Schimpfwort. Ganz anders bei Johann Sebastian
Bach, das lutherische Urgestein aus dem thüringischen Eisenach. In
seiner grossen H-moll-Messe lässt er den Chor seinen Glauben an die
«unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam» strahlend
verkünden. Nochmals ganz anders: Franz Schubert, aus dem gemütvollen
katholisch-österreichisch-biedermeierischen Kleinbürgertum bei
Wien stammend, strich kurzerhand das «unam sanctam catholicam»
aus dem Credo was ihm natürlich ein Aufführungsverbot im
Kirchenraum eintrug. Er hatte wohl seine Krämpfe mit «katholisch».
Was ist da los? Wo ist das Problem? Das Problem ist folgendes: a) nicht
alle Leute wissen, was «katholisch» eigentlich bedeutet, und
b) viele setzen «katholisch» mit «römisch-katholisch»
gleich. Das griechische Wort heisst kat'holon und bedeutet ursprünglich
weltumspannend, alles umfassend, oder wie wir heute sagen: ökumenisch.
Schubert hatte den Unterschied wohl nicht beachtet, wogegen der theologisch
gebildete Bach «katholisch» als das verstand, was ursprünglich
gemeint war. Römisch-katholisch hätte er bestimmt nicht akzeptiert.
Seine lutherische Kirche aber war für ihn genauso katholisch wie die
römische ganz abgesehen davon, dass Martin Luther ja ursprünglich
keineswegs eine neue Kirche gründen, sondern eine bessere, eine re-formierte
wollte. Deshalb trat er an gegen Klerus-Verluderung und Ablass-Abusus und
gegen vieles mehr. Hätten die Gewaltigen in Rom doch ein bisschen mehr
Souplesse an den Tag gelegt! Doctor Martinus wäre vielleicht ein «doctor
angelicus» geworden wie Thomas von Aquin. Theologisch hätte man
die Kurve wohl irgendwie hingekriegt. Vor ein paar Jahren konnten sich Lutheraner
und der Vatikan ja auch über die Rechtfertigungslehre einigen, das
Herzstück der «Confessio Augustana», das Augsburger Bekenntnis
der Reformationszeit. Eigentlich eine Sensation. Nur interessiert sich heutzutage
niemand mehr dafür. Antworten auf Fragen, die gar nicht gestellt werden.
A propos Klerus. Ein Text von Giovanni Boccaccio (13121375) geht mir
nicht aus dem Sinn. In seinem «Decamerone» steht folgende Geschichte:
In Paris lebte einst ein frommer christlicher Kaufmann. Der war herzlich
befreundet mit einem frommen jüdischen Kaufmann. Der Christ wollte
nun partout, dass sein Freund katholisch würde. Der Jude dachte nicht
daran. Er fühlte sich wohl bei Tora und Talmud. Des Insistierens von
Seiten seines Freundes überdrüssig, entschloss er sich doch zu
einer Reise nach Rom, ins Zentrum der Christenheit. Der fromme Christ war
entsetzt: «Nein, nein, nicht nach Rom! Die Reise ist viel zu gefährlich,
und überhaupt Rom Bleib du in Paris. Es hat hier viele fromme
Mönche und erstklassige Theologen. Die werden dich das Christentum
lehren.» Der Jude liess sich nicht beirren.
Und so kam er nach Rom. Und was sah er da? Cloaca maxima (vgl. «Huttens
letzte Tage» von C. F. Meyer)! Er war entsetzt über so viel Arroganz
und Ignoranz, Hurerei, Völlerei, Scheinheiligkeit rund um den Lateran,
die frühere Residenz der Päpste. Doch dann die überraschende
Konsequenz: Wenn dieser Kirchenapparat nicht imstande war, die Kirche in
den Ruin zu führen, muss letztlich eine höhere Macht dahinter
stehen. Und er wurde auf der Stelle Christ.
Zur Zeit als sich die Geschichte Boccaccios abspielte, bestand die Kirche
erst seit rund tausend Jahren. Heute ist sie bereits doppelt so alt. Und
natürlich ganz anders. Der fromme jüdische Kaufmann wäre
womöglich um seine merkwürdige Konversion gekommen. Und sie bewegt
sich auch epurr' si muove. Langsam zwar, so langsam, dass es manchmal
tatsächlich fast zum katholisch werden ist. Ärgerlich ist für
viele vor allem das unterschiedliche Tempo der Entwicklung in unterschiedlichen
Bereichen: Rasche Antworten auf soziale Herausforderungen der Zeit («soziale
Frage») auf der einen Seite, auf der anderen Seite Unbeweglichkeit
in Fragen von Lehre und Kirchenverfassung.
Kehren wir zurück zum Hier und Jetzt. Ich bin und bleibe malgré
tout ein fröhlicher Katholik mit langem Atem und stelle mich als Fastenopfer-Mitarbeiter
gerne in den Dienst dieser Kirche. Sie ist wie keine andere religiöse
Gemeinschaft durchorganisiert bis fast in den hintersten Winkel des Globus.
Global total. Ein einzigartiges Netzwerk. Wo immer man hinkommt: Man versteht
sich auf überraschende Weise, und wäre es nur, weil sich die meisten
einig sind in ihrer grundsätzlichen Anhänglichkeit gegenüber
«Rom» bei gleichzeitigem Kopfschütteln gegenüber einem
als Anmassung empfundenen Dirigismus. Da denken die künftigen «Laienpfarrer»
im Seminar von Kinshasa samt ihren Frauen wohl genauso wie die Pastoralagentinnen
auf dem Altiplano von Peru und anderswo auf dem orbis catholicus.
Total global ist sie, die «kat'holische» weltumspannende,
ökumenische Kirche, und zweitausend Jahre alt. In vielen Ländern,
namentlich in Afrika, stellt sie heute überhaupt die einzige noch einigermassen
intakte Infrastruktur. Diese in den Dienst einer effizienten Projektarbeit
zu stellen, bietet eine unvergleichliche Chance für ein katholisches
Hilfswerk. Und dass unser Fastenopfer beides umfasst, Pastoralzusammenarbeit
und Entwicklungszusammenarbeit, unterstreicht noch zusätzlich unsere
katholische, gesamtheitliche Ausrichtung.
Der promovierte Historiker Men Dosch ist journalistischer Mitarbeiter von Fastenopfer. Katholisches Hilfswerk Schweiz.