13/2001 | |
INHALT |
Lesejahr C |
Nie im Kirchenjahr wird das Thema «Juden und Christen» akuter
als in der Karwoche, die mit den Gottesdiensten am Palmsonntag beginnt.
Die Passionsberichte der Evangelien (besonders Joh) belasten «die
Juden», indem sie sie massgeblich verantwortlich machen für die
Verurteilung Jesu und das Stigma des «Gottesmordes» haftet
dem Judentum an. Kirchliche Verlautbarungen (besonders des 2. Vatikanums
und des gegenwärtigen Papstes) betonen die jüdischen Wurzeln des
Christentums und halten fest, man könne die Ereignisse von Jesu Leiden
«weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen
Juden zur Last legen. Darum sollen alle dafür Sorge tragen, dass niemand
bei der Predigt etwas lehre, das mit der evangelischen Wahrheit und dem
Geiste Christi nicht im Einklang steht. Im Bewusstsein des Erbes, das sie
mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche alle Hassausbrüche,
Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner
Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben» (Vat.
II, Nostra Aetate 4).
Diese wichtigen und in den letzten Jahren (leider!) wieder aktuell gewordenen
Aussagen verlangen besondere Sorgfalt bei der Gestaltung der Gottesdienste
in der Karwoche. So empfiehlt es sich, mit einer kurzen Einleitung zur Lesung
der Passion darauf aufmerksam zu machen, dass negative Aussagen über
«die Juden» heute nicht unkritisch übernommen werden dürfen
und dass das jüdische Volk (leider oftmals unter Mitwirkung von Christen)
in seiner Geschichte immer wieder zum «gekreuzigten Volk» geworden
ist.
Darüber hinaus ist es wichtig zu betonen, dass auch Jesus nicht nur
als Jude geboren wurde, sondern auch als Jude starb. Die Menschwerdung Gottes
in Jesus Christus ist unauflöslich mit seinem Judesein verknüpft
nicht das Kreuz (eine typisch römische Hinrichtungsart), sondern
das Heil kommt von den Juden (vgl. Joh 4,22). Auf diesen Sachverhalt macht
der Lesungstext aus dem Philipperbrief aufmerksam, der eine andere Sicht
auf Leben, Tod und Auferstehung eröffnet als die Passionserzählungen.
Phil 2,611 ist ein Hymnus, den Paulus aus der Liturgie der Gemeinde
übernommen hat. Allgemein anerkannt ist die Annahme, dass Paulus lediglich
die Formulierung «bis zum Tod am Kreuz» eingefügt und den
Text durch den Zusammenhang, in den er ihn stellt, neu akzentuiert hat:
Handelt es sich ursprünglich um ein Christus-Lied, macht Paulus daraus
die Begründung für Mahnungen zu einem rücksichtsvollen, solidarischen
und achtsamen Umgang miteinander: «Seid untereinander so gesinnt,
wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht». Beachtet man diesen
Zusammenhang, ist es umso trauriger und unverständlicher, dass der
Tod Jesu am Kreuz gerade gegenüber den jüdischen Schwestern und
Brüdern Jesu nicht zur Quelle der Solidarität, sondern von Hass
und Gewalt geworden ist.
Die Bewegung des Hymnus geht aus vom Präexistenten, der ganz von Gott
bestimmt ist, aber nie darauf aus, Gottes Gottsein anzutasten, sondern sich
gehorsam ganz auf das Menschsein einlässt. Dazu gehört die Sklavenexistenz
und damit die Unterordnung unter die Mächte dieser Welt, die am schärfsten
und brutalsten erfahrbar wird im Tod.
Wird dieser Weg der «Entäusserung» und «Erniedrigung»
als freies Handeln des Präexistenten geschildert, so bringt die Gegenbewegung
die grosse Wende (V. 9). Jetzt wird der freiwillig Sich-Erniedrigende zum
Objekt göttlichen Handelns: Der Gott Israels erhöht ihn. Er wird
als «Herr» eingesetzt, wobei der Text auf das Ritual einer Throneinsetzung
anspielt: Präsentation (Erhöhung), Proklamation (Namensverleihung)
und Akklamation (Kniebeuge und Bekenntnis).
Für das Verständnis dieser Bewegung des Hymnus vom Sein-bei-Gott
(Präxistenz) über die Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz zur Erhöhung
sind folgende Hinweise wichtig:
Der Philipperhymnus ist zwar kein historischer Bericht über den Leidensweg und den gewaltsamen Tod Jesu, aber er hält eine nicht nur theologisch, sondern auch politisch sehr präzise Deutung von Kreuz und Auferweckung bereit, die die jüdischen Wurzeln des Christentums ebenso ernst nimmt wie die Tatsache, dass der Glaube an die erlösende und befreiende österliche Macht Gottes alle Formen unterwerfender Macht kritisiert. Die den Hymnus einleitende Forderung des Paulus, die Gesinnung der christlichen Gemeinde und Kirche solle «dem Leben in Christus Jesus entsprechen» (Phil 2,5), hat bis heute ein kritisches Potenzial: Die Erinnerung an Erniedrigung und Tod Jesu soll uns weder in die Depression stürzen noch Leid und Unterdrückung oder gar Diskriminierung anderer (z.B. des jüdischen Volkes) rechtfertigen, sondern uns in unserer Verbundenheit mit der lebendigen Macht Gottes bestärken.
Literatur: J. Gnilka, Der Philipperbrief, (HThK. NT X.3), Freiburg 1968; K. Marti, Gedanken zur Weiblichkeit Gottes, in: Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde, Stuttgart 2000, 161166.
Text lesen Gemeinsam auf einem grossen Blatt eine schematische Darstellung der Bewegung des Textes entwickeln (Erniedrigung Erhöhung) den einzelnen Stationen dieser Bewegung nachgehen, diese diskutieren und kommentieren (vgl. «mit dem Text unterwegs»).
Der hymnische Charakter legt ein gemeinsames Lesen/Rezitieren nahe Den Text mehrmals gemeinsam sprechen Mutige Gruppen können versuchen, eine Art Melodie/Sprechgesang zu entwickeln Gespräch über die Wirkung dieses Lesens/Rezitierens/Singens.
Ausblick auf die kommende Karwoche: Wie können wir sie für uns persönlich, aber auch liturgisch so gestalten, dass sie unsere Verbundenheit mit der lebendigen Macht Gottes stärkt? Eventuell Besinnung zum Text oder anderen Beitrag für die Palmsonntagsliturgie gestalten.