12/2001 | |
INHALT |
Leitartikel |
Vor etwa fünf Jahren hat Ulrich Ruh in der Herder-Korrespondenz
einen Beitrag über Priester und Priesternachwuchs in Europa überschrieben
mit dem Titel: «Prekäre Perspektiven»<1>.
Eine sehr treffende Formulierung! Denn einerseits teile ich nach fast dreissigjähriger
praktischer Erfahrung als Priester mit vielen Mitbrüdern im Amt noch
immer die feste Überzeugung, dass der Beruf des Priesters, zumal des
Gemeindepfarrers, von seiner Anlage her sicher der schönste Beruf ist,
den die katholische Kirche zu vergeben hat eben wegen seiner grossen
Gestaltungsmöglichkeiten und seiner Menschennähe.
Anderseits jedoch ist es unübersehbar, wie dieser Beruf, vielleicht
auch weil er so weit gespannt und so unspezifisch ist, in vielen Fällen
immer schwieriger gut auszufüllen ist. Er scheint bei uns strukturell
an seine Grenzen zu stossen.
Die Stichworte sind ja allbekannt: die permanent umstrittene und ungelöste
Frage nach den Zulassungsbedingungen, die ja auf jeden Fall (ob man sie
bejaht oder kritisiert) mitverantwortlich sind für den immer härter
spürbaren Priestermangel und die damit verbundene zunehmende Überalterung;
oder die Überlastung vieler Priester wegen ihrer Verantwortung für
mehrere Gemeinden, wodurch die theologisch höchst sinnvolle Zuordnung
von einem Priester zu einer Gemeinde (eben als ihr «Presbyter»)
praktisch infrage gestellt wird; oder die (weniger dogmatische als praktische)
Unklarheit des eigenen Berufsprofils angesichts des begrüssenswerten
und notwendigen pastoralen Einsatzes anderer kirchlicher Berufe, die allerdings
häufig den Priester auch ersetzen müssen und so auch selbst nur
schwer ein eigenes Profil entwickeln können. Von dieser prekären
Situation her bekommt das Fragen nach realistischen Perspektiven einen etwas
bangen Unterton: Welche Perspektiven lassen sich denn überhaupt gegenwärtig
für diesen Beruf noch aufzeigen, so dass jüngere wie ältere
Priester aus diesem Beruf heraus und durch ihn menschlich-geistlich erfüllt
leben können (und nicht neben ihm her oder gar gegen ihn)?
Wie können wir als Priester innerhalb der uns strukturell vorgegebenen
und sich aller Voraussicht nach auch nicht so bald ändernden Möglichkeiten
(innerkirchlich wie gesamtgesellschaftlich) so leben, dass wir die alte
Verheissung Gottes an Abraham auch an uns heute noch gerichtet erfahren
können: «Du sollst ein Segen sein!» Ein Segen für
die Menschen hier in der kulturellen Situation der europäischen Moderne
mit ihren ganzen Ambivalenzen; ein Segen, der den Menschen unseres Kulturkreises,
den Kirchennahen wie den Kirchenfernen die heilende Nähe Gottes erfahrbar
machen kann.
Unter diesem Leitmotiv möchte ich nur zwei Aspekte zum Thema «Priestersein
heute» herausgreifen, die einerseits die theologischen Vorgaben zum
Amtsverständnis als bekannt und akzeptiert voraussetzen und die anderseits
die (innerkirchlich wie kulturell gegebene) Zeitsituation ernst nehmen.
Aus dieser Verbindung von Theologie und Zeitdiagnose werde ich dann einige
Perspektiven andeuten, oder bescheidener: einige Entwicklungslinien prognostizieren,
die sich bereits anbahnen und eine mögliche künftige Akzentsetzung
des Priesterberufes hier in unserem Kulturkreis ahnen lassen. Dabei möchte
ich vor allem dazu ermutigen, diese Entwicklung (bei allen offensichtlichen
Ambivalenzen) auch als Chance und Herausforderung zu sehen, damit wir uns
offensiv und nicht bloss defensiv auf sie einstellen können.
Es geht bei diesen beiden Aspekten, die ich behandeln möchte, um das
Priestersein sowohl «ad extra» (also mehr auf die kulturbedingte
Glaubenssituation bezogen) als auch «ad intra» (mehr auf die
innergemeindliche Situation bezogen). Beides steht in einer deutlichen Spannung
zueinander; aber es lassen sich wohl auch mögliche Konvergenzen aufzeigen.
Ich beginne mit dem bekannten Phänomen, das unserer Kirche und unseren
Gemeinden immer bedrängender auf den Leib rückt und das auch eine
Anfrage an unsere Identität als Priester stellt; unter dieser Rücksicht
will ich hier etwas darauf eingehen. Es geht um das Faktum, dass die Assymetrie
zwischen aktiven Gemeindechristen und inaktiven getauften Kirchenmitgliedern
immer krasser wird. Nach neuesten religionssoziologischen Aussagen liegt
das Verhältnis im Bundesdurchschnitt bei etwa 18% : 82%; dieses Verhältnis
verschlechtert sich seit einigen Jahren jährlich etwa um ein 12% zu
ungunsten der aktiven Gemeindechristen, wobei natürlich grosse regionale
Unterschiede zu berücksichtigen sind.<2>
Das bedeutet: Im Bewusstsein von 45 aller getauften Katholiken ist die Kirche
kaum mehr (wie sie sich selbst versteht) eine Glaubensgemeinschaft, die
als Zeichen und Werkzeug des Heilswillens Gottes für das Heil der Menschen
bedeutsam und notwendig ist. Sie wird vielmehr wahrgenommen als eine gesellschaftliche
Grossorganisation für religiöse Dienstleistungen; und zwar vor
allem (1) an den Grenzen des menschlichen Daseins, also bei Geburt und Tod
(da ist der Kontakt mit der Kirche weitaus am stärksten!), aber (2)
auch bei bestimmten biografisch-familiär wichtigen Wendepunkten (wie
Hochzeit, Erstkommunion und Firmung der Kinder) und (3) schliesslich bei
kirchlichen Festen, die zum kulturellen Gemeineigentum geworden und zugleich
emotional-erlebnismässig sehr angereichert sind (wie Weihnachten, St.
Martin, Nikolaus, Kirchweih, vielleicht sogar die Karwoche, wenn ihr Symbolreichtum
voll zum Tragen kommen kann usw.).
Ich stelle nun die Frage: Was bedeutet dieses Phänomen für das
theologische und existentielle Selbstverständnis der Priester hierzulande?
Es kann ja wohl nicht bei dieser Grössenordnung und der damit gekoppelten
hohen zeitlichen Beanspruchung als Randphänomen abgetan werden, gleichsam
als zwar notwendiger, aber theologisch unbedeutender und existentiell eher
lästiger Tribut an die Zeitsituation nach dem Motto: «Man muss
halt als Priester heute auch noch öffentlicher Religionsdiener sein...».
Ich sehe darin mehr und mehr eine echte Herausforderung, denn es ist eindeutig,
dass diese Christen im Priester nicht den Gemeindeleiter oder die geistliche
Integrationsfigur einer oder mehrerer Gemeinden suchen; mit Gemeinde wollen
sie über diese bestimmte kurze Begegnungszeit hinaus in der Regel nicht
viel zu tun haben. Sie sehen und suchen in ihm auch nur höchst selten
den Seelsorger, mit dem sie ihre Probleme besprechen können, oder von
dem sie konkrete Lebenshilfe oder gar geistliche Begleitung erbeten. Ebenso
wenig ist er als Verkündiger des Evangeliums gefragt, das eine grundlegende
Lebensorientierung anbietet. Nein, diese Christen sehen und suchen im Priester
meines Erachtens am ehesten noch die sakrale oder mystagogische Kompetenz
der Kirche.<3> So diffus, so magisch-ritualistisch
oder deistisch oder auch gnostisch-naturmystisch der Transzendenzbezug einer
kulturell akzeptierten Religiosität auch sein mag die Menschen
scheinen gerade an Grenz-, Wende- oder Höhepunkten ihres Lebens oder
auch nur an herausgehobenen Zeiten im Jahresrhythmus doch die Endlichkeit
ihres Daseins, seine Ausgesetztheit und Ungesichertheit zu spüren.
Wohl deswegen wenden sie sich noch immer an die Kirche, um in ihrem rituellen
Rahmen eine gewisse religiöse Stabilisierung in der nicht völlig
zu verdrängenden Zerbrechlichkeit des Lebens zu finden. Sie möchten
sich dabei theologisch gesprochen des Segens Gottes für
ihr Leben vergewissern, eines Gottes, der ihnen weithin fremd ist, von dem
sie aber doch vage hoffen, dass es ihn als irgendwie schützende Macht
über ihrem Leben und dem ihrer Kinder geben möge. Und für
die Berechtigung dieser Hoffnung stehen in ihrem Bewusstsein noch immer
die Kirche, gerade auch ihre Priester ein.
Wie gehen wir mit solchen Erwartungen um? Wenn wir nicht ganz auf die Präsenz
der Kirche, des christlichen Menschenbildes und Ethos in unserer kulturellen
Öffentlichkeit verzichten wollen und uns damit abfinden, eine katholische
Variante von Freikirche zu werden, die sich nur noch auf die wenigen «richtig
Überzeugten» stützt, dann müssen wir uns diesem Phänomen
ernsthaft stellen und vor allem versuchen, ihm positiv gerecht zu werden,
also daraus etwas Gutes zu machen. Es ist in diesem Zusammenhang jetzt zweitrangig,
ob wir auf diese Erwartungen weiterhin generell mit unseren Sakramenten
antworten oder ob wir dafür nicht eher die Möglichkeit von differenzierten
Segensfeiern stärker ausschöpfen sollen (was ich persönlich
bevorzuge, trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten). In diesem Rahmen
kommt es mir nur darauf an, die Überlegung anzustossen, was dieser
Sachverhalt für unser eigenes Selbstverständnis als Priester auf
Dauer bedeuten kann. Denn darin liegen ja auch Chancen und Herausforderungen,
die Gott uns gerade durch diese kulturelle Situation anbieten mag: Gehört
nicht eine richtig verstandene «sakrale Kompetenz» wesentlich
zum sakramentalen «Heiligungsdienst» des Priesters, für
den er schliesslich auch und sehr zentral geweiht wird?
Mit «sakraler oder mystagogischer Kompetenz» meine ich die aus
persönlicher Vertrautheit erwachsene Befähigung, die Dimension
des Heiligen in unserer Wirklichkeit offen zu halten, dessen also, was der
Gegenstand des spezifisch religiösen Aktes ist, in dem Menschen sich
dem verborgenen und doch sich auch immer wieder (gerade in Grenzerfahrungen)
entbergenden Geheimnis unserer Wirklichkeit nähern wollen, sei es in
Furcht vor der undurchschaubaren Fremdheit, sei es in der Hoffnung auf gewährte
Nähe (vgl. die berühmte Charakterisierung des Heiligen durch R.
Otto: «Mysterium tremendum et fascinosum»). Diese Dimension
des «heiligen Geheimnisses» wird traditionell vor allem in bestimmten
liturgischen Zeichen, Gesten, Handlungen und Erzählungen vergegenwärtigt.
Wenn nicht alle Beobachtungen der gegenwärtigen religiösen Situation
täuschen, scheint genau dies für einen grossen Teil unserer Zeitgenossen,
gerade für die 80% getauften Kirchenfernen ein wichtiger Anknüpfungspunkt
ihres lockeren Kontaktes mit der Kirche und damit auch mit den Priestern
zu sein. Die Suche nach dem Priester im traditionellen religionsgeschichtlichen
Sinn, also nach dem «Mittler des Heiligen», bei dem sie durchaus
auch eine persönliche Vertrautheit mit dem Heiligen (und nicht bloss
eine rituelle) voraussetzen, scheint in unserer religiös so diffusen
Gegenwartskultur auch bei Christen wieder stärker zu werden; und zwar
sowohl bei den im traditionellen Sinn «Frommen» als auch bei
den Kirchenfernen.
Wir tun uns sicher schwer mit solchen eher von aussen kommenden, kulturell
bedingten und kirchlich nur wenig zu steuernden Entwicklungen. Denn sie
laufen vielen berechtigten innerkirchlichen und theologischen Entsakralisierungsbemühungen
im Priesterbild der nachkonziliaren Kirchenepoche zuwider. Die drohende
Gefahr einer neuerlichen, vom Konzil doch endlich überwundenen Reduzierung
des Priesters auf seine sakral-kultische Rolle ist nicht zu übersehen.
Schliesslich setzt das innergemeindlich erwartete Priesterbild weithin andere
Akzente (eben viel eher auf Integration, Partizipation, Kommunikation u.Ä.).
Und dennoch: Das alles berechtigt uns nicht, vor dieser uns möglicherweise
sehr störenden Entwicklung die Augen zu verschliessen, sie zu diskriminieren
und damit zu verdrängen.
Die besondere Herausforderung und Chance sehe ich hier besonders in zwei
Punkten:
Dass das 2. Vatikanische Konzil die alte patristische und scholastische
Lehre vom gemeinsamen Priestertum wieder neu entdeckt und ins Zentrum seiner
Ekklesiologie gestellt hat, gehört sicher zu den revolutionärsten
und folgenreichsten Schritten des Konzils. Stichworte wie: Subjektwerdung
der Gemeinde, Aufbau synodaler Strukturen, Entstehung vieler neuer pastoraler
Berufe, Gemeindeleitung in Kooperation usw. machen deutlich, wie weit inzwischen
das nachtridentinische Kirchenbild überwunden ist. Aber die Kehrseite
der Medaille lässt sich auch nicht leugnen: eben eine gewisse Verunsicherung
bei den Priestern selbst wie bei den Gemeinden, vor allem den aktiven, mitverantwortlichen
(haupt- und ehrenamtlichen) Gemeindemitgliedern hinsichtlich der Frage,
was denn nun das Spezifische des «besonderen Priestertums» sei,
warum es das geweihte Priesteramt denn noch geben müsse.
Ich möchte hier nur ganz kurz den theologischen Konsens in dieser Frage
resümieren, um dann mehr auf die situationsbedingte Problematik dieser
Frage einzugehen und auch hier eine mögliche Perspektive bzw. Entwicklung
anzudeuten. Theologisch wird auf die gestellte Frage heute generell so geantwortet:
Das besondere, in der Weihe sakramental verliehene Priestertum ist das amtlich-repräsentative
«Zeichen und Werkzeug» für das gemeinsame Priestertum aller
Glaubenden; es wird ganz in dessen Dienst gestellt. Zu welchem Dienst aber?
Nun, das sakramental geweihte Priestertum innerhalb des gemeinsamen Priestertums
soll «in persona ecclesiae» und «in persona Christi capitis»
zugleich die (in Taufe, Firmung und Eucharistie verliehene) Teilhabe der
ganzen Kirche an dem einen und einzigen heilswirksamen Priestertum Christi
vergegenwärtigen. Dass die Selbsttranszendenz der Kirche auf Christus
hin gelingen kann und sie so wirklich sein «Sakrament des Heils»
für die Menschen, sein Leib bleibt, dafür soll das besondere Priestertum
sorgen; dafür soll es gleichsam die sakramental-strukturelle «Möglichkeitsbedingung»
sein; das heisst zwar notwendig, aber eher im Hintergrund (wie es einer
«Möglichkeitsbedingung» entspricht...)<4>.
Die Frage geht aber noch einen Schritt weiter: Wie kann diese theologische
Ortsbestimmung praktisch so realisiert werden, dass sie sowohl für
den Priester selbst als auch für die anderen Glaubenden als eindeutiges
und plausibles Identitätszeichen des Priesters sichtbar wird? Als reine
«transzendentale» Möglichkeitsbedingung allein kann man
ja wohl auch nicht leben...Darauf wird im Rahmen einer weithin akzeptierten
Communio-Ekklesiologie heute meist so geantwortet: Die dem geweihten Amt
des Priesters, vor allem auch des Bischofs zu eigene, ihm seine konkrete
Identität verleihende Aufgabe liegt im Dienst der «Koinonia»,
also in der verantwortlichen Integration, in der konzentrischen Bündelung
der Grundvollzüge der Kirche bzw. des Priestertums Christi (eben der
Martyria, der Liturgia und der Diakonia)<5>.
In all diesen Grundvollzügen sollen Bischof und Priester notwendig
mittätig sein; keineswegs andere ausschliessend, sondern sie in weitest
möglichem Mass einbeziehend, selbst bei der Leitungsaufgabe der Integration.
Aber bei aller Partizipation und Kooperation sie stehen als «Hirten»
für die Einheit der Koinonia: in der Ortskirche, in den einzelnen Gemeinden
und damit auch im Kontext der einen universalen Kirche.
So weit das theologische Resümee. Die Ausgangsfrage aber bleibt dennoch
virulent: Wie kann dieser Koinonia-Dienst unter den zunehmend erschwerten
Bedingungen (s.o.) konkret ausgeübt werden? Passt das Konzept nicht
eher auf die ideale Situation, die mehr und mehr zur Ausnahme wird, dass
nämlich ein Priester als «Presbyter» einer Gemeinde oder
zumindest einem noch gut überschaubaren Gemeindeverband zugeordnet
wird? Wie aber ist der geistliche Dienst der Integration und Leitung angemessen
zu vollziehen, wenn die pastoralen Zuständigkeitsräume immer grösser
und die verantwortlichen Priester immer weniger und immer älter werden?
Hier möchte ich eine Zwischenbemerkung einschieben: Es macht auf Dauer
wenig Sinn, in diesem Dilemma sich ständig an den Zulassungsbedingungen
zum Amt zu reiben und darin vor allem die Schuld zu sehen. Ich bin überzeugt:
Auch wenn sie etwa in Richtung «viri probati» und «mulieres
probatae» (zumindest als Diakoninnen) geändert würden, was
zweifellos auch weltweit immer dringlicher not-wendig ist, brächte
das zwar sicher eine spürbare Erleichterung und Entspannung der gesamten
pastoralen Situation in sehr vielen Ortskirchen der Welt. Aber das kulturell
bedingte Grundproblem der mittel- und westeuropäischen Kirchen, eben
die weitgehende Aufkündigung der aktiven, gemeindebezogenen Mitgliedschaft
der Getauften, wird dadurch nicht gelöst; die grösseren «pastoralen
Räume» werden darum kommen, so oder so. Der Priestermangel ist
bei uns vermutlich nur 15 bis 20 Jahre früher und härter zu spüren
als der sich bereits deutlich anbahnende «Gemeindemangel» aufgrund
des Fehlens genügend aktiver Mitglieder. Nur da, wo Gemeinden oder
Dekanate es systematisch einüben, die Gläubigen im grossen Stil
an der Verantwortung für die pastorale Sorge zu beteiligen, werden
sie auch unter künftig erschwerten Bedingungen lebendig (und nicht
bloss formal) weiterbestehen können. Einen Beweis für diese These
liefert meines Erachtens die bereits viel weiter in dieser Richtung vorangeschrittene
Situation der personell recht opulent ausgestatteten evangelischen Kirchen
hier in West- und Mitteleuropa.
Darum noch einmal die Frage: Wie wird unter diesen sich schon deutlich anbahnenden
Bedingungen der geistliche Dienst der Koinonia menschlich und theologisch
verantwortbar zu leisten sein? Hier möchte ich in aller Vorsicht einige
Prognosen wagen: Voraussichtlich immer stärker abnehmen wird leider
die Integration durch eine unmittelbare seelsorgerliche Präsenz der
Priester in den verschiedensten Lebensbereichen der Menschen und damit auch
in den verschiedensten Grundvollzügen der Kirche. Das ist wohl der
schmerzlichste Abschied, der den meisten Gemeindepriestern auf längere
Sicht zugemutet wird; es wird ihnen (ähnlich wie den Bischöfen)
wohl nur noch punktuell, exemplarisch oder in einem klar umgrenzten Feld
eine seelsorgerliche Tätigkeit unter den Gläubigen möglich
sein. Umgekehrt wird eine primär organisatorische, mehr oder weniger
mit der formalrechtlichen Letztentscheidungsbefugnis agierende Integration
auch nicht sehr zukunftsträchtig und identitätsstiftend sein;
sie bleibt bei aller partiellen Berechtigung dem Priesterberuf
zu äusserlich und fremdbestimmt.
Statt dessen sehe ich vor allem zwei Akzentsetzungen, die in Zukunft wohl
immer grössere Bedeutung erlangen werden und die unlösbar miteinander
gekoppelt werden müssen, um allzu krassen Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Es sind Akzente des priesterlichen Dienstes, die gleichsam den «harten
Kern» des katholischen Priesterbildes vor und nach dem 2. Vatikanischen
Konzil betreffen; bekanntlich gewinnt gerade in Notzeiten so ein «harter
Kern» des Selbstverständnisses an Gewicht.
Die Gruppe der aktiv das pastorale Leben (haupt- oder ehrenamtlich) tragenden
und dafür verantwortlichen Christen wird sich wohl immer deutlicher
als die «Primärgruppe» des priesterlichen Koinonia-Dienstes
herauskristallisieren, also als der Ort seiner «unmittelbaren»
Seelsorge («Seelsorge für die Seelsorger/Seelsorgerinnen»).
Hier ist vor allem seine kommunikative und spirituelle Kompetenz gefragt,
also die dialogisch-kooperative Leitung und die spirituelle Begleitung dieser
Gruppe. In dieser Akzentuierung dürfte der «harte Kern»
des vom 2. Vatikanischen Konzil geprägten «Presbyterbildes»
bleibend zur Geltung kommen. Allerdings kann auf längere Sicht, das
heisst bei zunehmender Grösse der «pastoralen Räume»
und zugleich abnehmender Zahl der Priester meines Erachtens diese Aufgabe
strukturell nur dann gut erfüllt werden, wenn in dem jeweiligen, relativ
«grossflächig» angelegten pastoralen Leitungsteam (wie
etwa in der Ortskirche von Paris) auch mehrere Priester vertreten sind;
wenn also wenigstens annähernd die altkirchliche und vom 2. Vatikanischen
Konzil wieder neu entdeckte Struktur des Presbyterkollegiums auch auf der
Ebene der alltäglichen pastoralen Arbeit innerhalb eines grösseren
Seelsorgebereichs realisiert wird (ob mit oder ohne die Lebensform einer
strikten «vita communis»). Denn so liessen sich am ehesten die
verschiedenen priesterlichen Kompetenzen der Einzelnen (ob Leitung im strikten
Sinn oder mehr geistliche Begleitung, ob mehr sakramentaler oder mehr diakonischer
Einsatz in den verschiedenen Gemeinden) etwas stärker ausdifferenzieren
und profilieren, so dass nicht alles doch wieder irgendwie «letztverantwortlich»
an einem Priester hängen bleiben muss. Dies käme durchaus auch
der Profilierung der anderen haupt- und ehrenamtlichen Dienste innerhalb
eines solchen Leitungsteams zugute, die dann eben nicht ständig dazu
gebraucht würden, den Priester zu «vertreten».
Eine solche mehr kollegiale Ausübung des priesterlichen Amtes kostet
allerdings noch viel mehr als bisher den hohen und sicher auch sehr bedenklichen
Preis des zunehmenden Verzichts auf eine flächendeckende, einigermassen
ausgeglichene Präsenz eines Priesters in allen künftig noch existierenden
grösseren oder kleineren Gemeinden eines Bistums. Da wir diesen Preis
aber bei weiterem unbeweglichem Festhalten an den geltenden Zulassungsbedingungen
vermutlich eh zahlen müssen, scheint mir eine kollegiale Zuordnung
mehrerer Priester zu grösseren (und darum wenigeren) «Seelsorge-Einheiten»
generell dann doch eine bessere Perspektive für diesen Beruf zu sein,
als der gegenwärtig bei uns weithin praktizierte (aber wohl letztlich
aussichtslose) Versuch, flächendeckend für alle Gemeinden so lange
wie möglich wenigstens einen Priester bereitzustellen (natürlich
in «kooperativer Gemeindeleitung» mit anderen verantwortlichen
Diensten, unter anderem auch gelegentlich mit einem Kaplan oder einigen
pensionierten Priestern). Denn hierbei scheint mir die steigende strukturelle
Überforderung und somit auch Unattraktivität des Berufs eines
Gemeindepriesters vorprogrammiert zu sein.<6>
Soweit zu dem ersten Akzent, der vor allem die zukünftige Rolle des
Priesters im Kreis der pastoral Verantwortlichen betrifft. Nun zum zweiten
Akzent, bei dem es um die künftige Beziehung des Priesters zu den Gläubigen
insgesamt geht.
Im Hinblick auf die Gemeinschaft der Gläubigen insgesamt wird vermutlich
am ehesten wieder die traditionelle «real-symbolische» Integration
durch den Priester aufgewertet werden. Das bedeutet konkret: Die Eucharistie
als wirksames Realsymbol der Communio und der Bündelung aller kirchlicher
Grundvollzüge wird noch viel stärker als bisher die hervorgehobene
Weise des priesterlichen Integrations- und Leitungsdienstes sein, ohne dass
er darauf reduziert werden kann und darf. Die Gründe dafür sind
vielfach: primär das Gewicht der diesbezüglichen kirchlichen Tradition
seit dem 3. Jahrhundert, das sich in Notzeiten noch viel stärker bemerkbar
macht als ohnehin schon; dann aber auch die erneuerte und allgemein rezipierte
Communio- und Eucharistie-Theologie des 2. Vatikanischen Konzils; ebenso
die in der Gemeinde-Spiritualität fast aller Ortskirchen der Welt weiterhin
ungebrochen geltende Verbindung von Priester und Eucharistiefeier; und schliesslich
die relative Eindeutigkeit, mit der dieser Dienst in der kirchlichen Öffentlichkeit
von allen wahrgenommen und als priesterlicher Dienst identifiziert werden
kann. All das wird meines Erachtens dazu beitragen, dass für die künftige
Glaubenssituation bei uns die Eucharistie (samt den damit unmittelbar verbundenen
sakramentalen und kerygmatischen Diensten) sehr dominant als das Proprium
des priesterlichen Dienstes hervortreten wird jedenfalls viel mehr
als uns von der konziliaren und nachkonziliaren Amtstheologie und unserer
gewohnten Praxis her vertraut und lieb ist. Aber ob es uns passt oder nicht;
ich bin ziemlich sicher, dass es so kommen wird, allein schon vom Blick
auf die Kirchen in der so genannten «Dritten Welt» her. Diese
Kirchen müssen schon lange mit sehr viel weniger Priestern und bedeutend
grösseren pastoralen Räumen leben als wir und sind im Ganzen doch
recht lebendige, kreative Kirchen. Ihr pastoraler Einfluss auf uns hier
in Europa wird in Zukunft sicher stärker sein als umgekehrt.
Wiederum stellt sich die Frage: Wie stellen wir uns darauf ein? Es hat auch
da wenig Sinn, diese Entwicklung nur zu schmähen, nur die (zweifellos
bestehende) Gefahr einer Reduzierung des Priesters auf den klassischen Messpriester
oder Kultdiener zu beschwören, der herumreist und nur aus dem Messkoffer
lebt. Völlig d'accord! Aber ich denke, es liegen auch hier Chancen
und Herausforderungen, die wir mit pastoraler und liturgischer Fantasie
aufgreifen könnten.
Um der genannten Gefahr zu entgehen, wird es vor allem wichtig sein, die
konziliare Eucharistie-Theologie lebendig zu halten: dass die Eucharistie
eben nicht wieder bloss auf die Darbringung und «Wandlung» der
Opfergaben durch den Priester reduziert wird, sondern in einem weiten ekklesiologischen
Kontext angesiedelt bleibt; eben als einheitsstiftende Mitte des Volkes
Gottes, das als ganzes Subjekt dieser Feier ist; als sakramentale Ermöglichung
und konzentrische Bündelung aller wichtigen Lebensvollzüge der
Kirche usw. Gerade wenn sich diese real-symbolische Integration in Zukunft
immer weniger auf eine bestimmte Ortsgemeinde bezieht, sondern auf grössere
pastorale Räume, wird dieser ekklesiologische Rahmen als Kriterium
ausserordentlich wichtig sein: nämlich bei der Unterscheidung der Geister,
wie oft am Sonntag am selben Ort eine Eucharistiefeier im Dienst dieser
kirchlichen Communio sinnvoll gefeiert werden soll, oder wo, in welcher
Kirche und für welches «Einzugsgebiet» sie stattfinden
soll.<7>
Wenn wir uns heute schon auf diese Entwicklung wohlwollend und kritisch
zugleich einstellen wollen, gehört dazu neben der unaufgebbaren
ekklesiologischen Verortung der Eucharistie ganz entscheidend eine
liebe- und fantasievolle Pflege der Eucharistiefeier sowohl durch die Priester
wie auch durch möglichst viele andere Mitwirkende und durch alle Mitfeiernden.
Zwei Dinge sind nach meiner Erfahrung da besonders wichtig:
Ich möchte es bei diesen Andeutungen belassen. Die beiden bescheidenen Perspektiven oder Entwicklungslinien für den priesterlichen Dienst «Segensdienst» ad extra und «Koinonia-Dienst» ad intra stehen offensichtlich in Spannung zueinander; aber in einer Hinsicht konvergieren sie auch auf das hin, was man sakrale, mystagogische oder sakramentale Kompetenz nennen kann. Diese Befähigung nicht nur nicht zu vernachlässigen, sondern sie fantasievoller zu pflegen und daraus ein menschlich und geistlich lebbares Profil für den priesterlichen Dienst zu gewinnen (ohne ihn darauf zu reduzieren!), das ist das Anliegen dieser Ausführungen.
Der Jesuit Medard Kehl ist Professor für Dogmatik an der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt a.M. Der hier veröffentlichte Beitrag erschien zuerst in W. Schreer, G. Steins, Auf neue Art Kirche sein. Wirklichkeiten Herausforderungen Wandlungen. Festschrift für Bischof Dr. Josef Homeyer, München 1999, 167177.
1 HK 50 (1996) 251254.
2 Vgl. M. N. Ebertz, Kirche im Gegenwind, Freiburg i.Br. 1997, 64f.
3 M. N. Ebertz, aaO. 65f.; ders., Ein Ordnungsruf. Zur sakralen und funktionalen Autorität, in: Pastoralblatt 50 (1998) 58f.
4 Vgl. M. Kehl, Die Kirche, Würzburg 31994, 105115; 432438.
5 Vgl. E. Kunz, Die Lehre von der Eucharistie. Unveröffentlichtes Vorlesungsmanuskript, Frankfurt a.M. 1997, 69.
6 Vgl. dazu auch meine Überlegungen hinsichtlich der Tendenz zu Mittelpunktsgemeinden oder «Kristallisationspunkten» des kirchlichen Lebens, in: Wohin geht die Kirche? Freiburg i.Br. 61997, 131ff.
7 Vgl. dazu den Fastenhirtenbrief von Bischof Franz Kamphaus: Unser Sonntagsgottesdienst (Limburg 12.2.1998).