26/2000 | |
INHALT |
Kirche in der Welt |
Rund 90 Personen, China-Spezialisten, Ordensleute, eine stattliche Zahl Schwestern aus Hongkong, Taiwan und Europa, aber auch chinesische Priester, Schwestern und Seminaristen, die in West-Europa studieren, Hilfswerkvertreter und Delegierte von China-Arbeitskreisen diskutierten Mitte September 1999 in der Nähe von Danzig während rund vier Tagen die Situation der Katholischen Kirche in China. In vier Arbeitsgruppen wurden die Themenkreise: die Ausbildung von Ordensschwestern, von Seminaristen und Priestern, soziale Aktivitäten und Projekte in China und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den dem Christentum nahe stehenden chinesischen Intellektuellen erörtert. Leider wurden den eingeladenen Bischöfen in China von den Behörden keine Ausreisebewilligung erteilt.
In Schwerpunktreferaten wurde von fundierten China-Kennern wie J. Heyndrickx,
J. Charbonnier, A. Lanzarotto, R. Malek, Sr. B. Leung, L. Tsui Kam die heutige
Situation der Katholischen Kirche dargelegt. Auch wenn es immer noch sehr
viele ungelöste Probleme gibt und die chinesische Regierung keineswegs
als christenfreundlich zu bezeichnen ist, so hat sich doch die Lage in den
letzten 20 Jahren gewaltig verbessert. Ein kurzer historischer Rückblick
kann den Unterschied «damalsheute» sehr deutlich aufzeigen.
Nach der Machtübernahme vor 50 Jahren mussten alle ausländischen
Missionare und Missionarinnen nach langen Demütigungen, Verhören
und Einkerkerungen China verlassen. Für die chinesische Kirche begann
ein langer und schmerzlicher Leidensweg. Ende der fünfziger Jahre wurde
die Gründung der «Katholischen Patriotischen Vereinigung»
(KPV) und der «Abbruch der Beziehungen mit dem Vatikan» durchgesetzt,
woran dieser durch sein unflexibles Verhalten nicht unschuldig war. Es folgte
eine Zersplitterung in eine patriotische, dem Regime hörige Kirche
und eine so genannte Untergrundkirche, die sich weigerte, die Beziehungen
mit dem Vatikan zu brechen. Während der Kulturrevolution (19651975)
folgte eine massive Kirchenverfolgung. Sämtliche Kirchen wurden geschlossen.
Jegliche religiöse Aktivitäten waren strikte verboten. Alle Bischöfe,
Priester, Schwestern der Patriotischen wie der Untergrundkirche wurden zu
20, 30 Jahren Gefängnis oder «Arbeitslager» verurteilt.
Am Ende dieser Schreckenszeit schien nach aussen die Kirche eliminiert zu
sein. Gott allein weiss, wie viele Christen und Christinnen in dieser Zeit
für ihren Glauben heroisch das Leben hingegeben und Jahrzehnte lang
Gefängnisstrafen und jahrelange Einzelhaft erduldet haben. Nach Mao
Tse-tungs Tod 1976 gab es in ganz China nur noch eine einzige offene Kirche,
die Süd-Kirche in Beijing, die auf internationalen diplomatischen Druck
für Botschaftspersonal offen gehalten wurde.
Mit Deng-Xioping, der Ende der siebziger Jahre eine Wirtschaftsreform
einleitete, begann auch für die Kirche eine neue Zeit, vor allem für
die offizielle Kirche. Als «offizielle Kirche» wird diejenige
bezeichnet, die sich als Kirche registriert hat und vom Regime anerkannt
wird. Sie muss sich aber an die «Drei-Selbst» halten: Selbstverwaltung
(unabhängig sein von Rom), Selbsterhaltung (Eigenfinanzierung) und
Selbstverbreitung (keine ausländische Missionare). Sie darf aber auch
öffentlich das Glaubensleben praktizieren, Kirchen eröffnen und
erbauen. Die «inoffizielle Kirche» (sehr oft auch Untergrundkirche
genannt), weigert sich nach wie vor, sich registrieren zu lassen und die
«Drei-Selbst» anzuerkennen. Sie ist als nicht-registrierte Organisation
«illegal» und wird daher schikaniert und unterdrückt, auch
heute noch!
Der Gesinnung nach ist wohl der grösste Teil der offiziellen Kirche
gegenüber dem Vatikan ebenso loyal wie die inoffizielle, nur darf sie
dies nicht öffentlich bekennen. Ein fundierter Kenner der kirchlichen
Szene sagte an der Konferenz, man kenne unter den chinesischen Bischöfen
keinen einzigen, der gegen den Heiligen Stuhl opponiere. Von der Rechtgläubigkeit
her bestehen überhaupt keine Probleme. Von einem Schisma der offiziellen
Kirche zu sprechen wäre völlig verfehlt, unkorrekt und eine Beleidigung
für die vielen Bischöfe und Priester, die unter den gegebenen
Umständen das Mögliche zu erreichen suchten und ebenso 10, 20
und mehr Jahre in Gefängnissen verbrachten.
Die Aufteilung der chinesischen Katholiken in eine «offizielle»
und eine «inoffizielle» Kirche darf aber nicht so verstanden
werden, als ob überall eine strikte Trennung dieser beiden Gruppen
Tatsache wäre. Es gibt Gegenden, wo man nach den gegebenen Möglichkeiten
geschwisterlich zusammenarbeitet. Es gibt aber auch das Gegenteil, ein Gegeneinander
und gegenseitige Anschuldigungen. China ist gross. Beides lässt sich
belegen. Es ist daher falsch, Einzelereignisse, seien sie positiv oder negativ,
zu verallgemeinern und als Wahrheit für Gesamtchina zu betrachten.
Leider wird dies noch zu oft getan, auch von kirchlichen Kreisen in Europa
und insbesondere in den USA.
Es darf heute von einer wunderbaren Aktivität kirchlichen Lebens gesprochen werden. Wohl die Mehrzahl der offiziellen Bischöfe hat die Legitimation des Vatikans eingeholt. Das kirchliche Leben blüht. Die tiefe Frömmigkeit der einfachen Gläubigen erheischt grossen Respekt, auch wenn die Form des Glaubenslebens in vielen Bereichen mit den nachkonziliären Erneuerungen der Kirche nicht Schritt gehalten hat. Wiedereröffnungen von Priesterseminaren, Priester- und Schwesternausbildung, Rückgabe und Renovation von Kirchen usw. zeugen von einem erstaunlichen Aufblühen der Katholischen Kirche in China. Einige Zahlen können dies belegen:<1>
Katholiken |
Offizielle ca. 3-4 Mio. |
Untergrund- ca. 3 Mio. 50 |
Viel wichtiger als diese «sichtbaren» Zeichen der Kirche sind die unsichtbaren, echte Glaubens- und Gebetsgemeinschaften in Hauskirchen und in den Familien, Engagement in karitativen Bereichen innerhalb der chinesischen Gesellschaft. Besucher staunen immer wieder über den grossartigen Einsatz und das Engagement einfachster Christinnen und Christen in China. Solche gelebten Zeugnisse sind wesentlichste Elemente der Kirche überhaupt. Und diese (tiefe Spiritualität, Glaubenskraft, gelebte Liebe) gilt es für uns (europäische Zusammenarbeit mit der chinesischen Lokalkirche) zu stärken und zu fördern, und zwar auf der ganzen Linie, sowohl in Europa für die Kirche in China und in China mit ihr zusammen.
Und nach Aussagen von verschiedenen China-Spezialisten an der Konferenz hegt das Regime nach wie vor starkes Misstrauen, hat sogar eine gewisse Angst vor der Katholischen Kirche, weil sie in der Vergangenheit in ihren Augen zu stark ein «Instrument des kolonialen Imperialismus» war. Auch in der neuesten Zeit sei ihrer Ansicht nach die Katholische Kirche wesentlich für den Zusammenbruch des Sozialismus in Ost-Europa mitverantwortlich. Darum das grosse Misstrauen und die Ablehnung einer «Kontrolle durch den Vatikan» für einen, wenn auch kaum beachtbaren Prozentteil der chinesischen Bevölkerung, der Katholiken. Einer Einmischung in «innere Angelegenheiten» will das Regime unter keinen Umständen zustimmen. Es wird noch viel Versöhnungsarbeit, vertrauensbildende Massnahmen und Kooperation brauchen, bis sich dieses Misstrauen der Regierung gegenüber der Kirche, aber auch der beiden Gruppierungen unter einander und einzelner westlicher Lokalkirchen gegenüber der offiziellen Kirche in China abgebaut hat. Hier liegen wichtige missionarische Ansätze für das dritte Millennium, für Kirchen wie auch für Einzelpersonen!
An der Konferenz wurden mehr Fragen gestellt als Antworten geben. Niemand, der China nur einigermassen kennt, wird den immer grösser werdenden Einfluss Chinas als Weltmacht im kommenden Jahrhundert negieren. Die Entwicklung der Grossmacht China wird wohl kaum ohne Krisen ablaufen. Schwierigkeiten sind nur schwer vorauszusehen. Wird China auch bald eine «ideologische Liberalisierung» zulassen? Wird die Regierung bald die Beziehungen mit dem Vatikan regeln? Wird sie der chinesischen Kirche eine Evangelisierung im grösseren Stil erlauben? Können ausländische Lokalkirchen wieder vermehrt mit der Kirche in China zusammenarbeiten? Wie und mit welchen Mitteln können sie dies tun? Welches sind die Schwerpunkte der Zusammenarbeit der Weltkirche mit der Lokalkirche in China. Welches sind die Aufgaben und Möglichkeiten der Kirche vor Ort für eine friedvolle Entwicklung Chinas? Was kann, was soll und was muss unsererseits für und mit der Lokalkirche Chinas getan werden? Was muss unbedingt vermieden werden? Sollen Seminaristen und Priester besser in China selber oder im Westen aus- und weitergebildet werden? Welche Voraussetzungen sind nötig, in der Vorbereitung in China, der Begleitung, der eigentlichen Ausbildung, wenn sie nach Europa und den USA kommen? Die gleichen Fragen der Priesterausbildung stellen sich auch für die Ordensschwestern, denen in der künftigen Evangelisierung in China, nicht nur «der halbe Himmel», sondern die «halbe Erde», also eine essentielle Rolle zukommen wird. Und «last but not least» erwähnt werden müsste unbedingt auch die Förderung der Laien (Ausbildung, Spiritualität usw.), die nicht nur in Asien, sondern in der Weltkirche uns herausfordern muss!
«Wenn nicht getan werden kann, was man möchte, soll wenigstens getan werden, was möglich ist», fasste ein China-Kenner die Aufgabe der westlichen Lokalkirchen zusammen. Aus der Fülle von Diskussionspunkten und Vorschlägen der verschiedenen Workshops sollen einige wichtige kurz erwähnt werden.
Die Verkündigung der Frohbotschaft muss die «Liebe Gottes, des Vaters, für alle Menschen und für die ganze Schöpfung» zentral in den Vordergrund stellen und nicht die westliche Kirchenstruktur nach China verpflanzen. Konkret geschieht dies in glaubenden, betenden und feiernden kleinen Gemeinschaften. Diese gilt es zu fördern und zu stärken und zu lebendigem Zeugnis in einer materialistischen Gesellschaft zu ermuntern.
Die Verantwortung für die Verkündigung liegt bei der Lokalkirche, beim Ortsbischof. Austausch und Zusammenarbeit mit andern in- und ausländischen Lokalkirchen soll nach dem Prinzip gepflegt werden: Nur wenn eine Lokalkirche personelle und materielle Hilfe ausdrücklich wünscht, soll sie von Partnerkirchen geleistet werden. Missionsmethoden alten Stils gehören der Vergangenheit an! Persönliche Begegnungen und Kontakte sind für beide Seiten hilfreich und wesentlich.
Jede Lokalkirche muss bestrebt sein, als Gemeinschaft in ihrer jeweiligen Gesellschaft integriert zu sein und ihren Teil zum Wohle des Ganzen zu leisten (Erziehung und Bildung, karitative Tätigkeit, Ethik usw.). Also nicht Entfremdung von der Gesellschaft (nach einem Schlagwort der Kolonialzeit: Ein Christ mehr ein Chinese weniger!), sondern Mitverantwortung, Mitgestaltung und Einsatz für die chinesische Gesellschaft.
Versöhnung hat prioritäre Bedeutung in China, aber nicht nur dort. Versöhnung meint dort nicht nur Versöhnung zwischen offizieller und inoffizieller Kirche, sondern zwischen Kirche und Regierung. Hier gilt es, viele gegenseitigen Vorurteile abzubauen und vertrauensbildende Massnahmen aufzubauen; Versöhnung aber auch zwischen der Kirche in China und westlichen Kirchen, inklusive Vatikan, sowie Abbau von Vorurteilen bei ausländischen Bischöfen und Priestern gegenüber der offiziellen Kirche. In dieser Versöhnungsarbeit sind auch die Medien in Verantwortung zu ziehen, die einseitig und tendenziös berichten. Es gelte die Devise von Deng Xiao-ping «Wahrheit der Tatsachen» sehr ernst zu nehmen.
Dieser Dialog spielt sich auf vielen und verschiedenen Ebenen ab: Dialog
mit ausländischen Partnerkirchen, gegenseitige Kontakte und Besuche
einfacher Christinnen und Christen, aber auch von erwünschten Fachleuten,
Austausch von Informationen, Offerten von Stipendien; Zusammenarbeit mit
der Regierung in konkreten sozialen Projekten (Kinderheime, Betagtenwesen,
Strassenkinder, Obdachlose usw.), im Bildungswesen (Sprachlehrer, Informatiker
usw.) im Gesundheitswesen, Umweltbereich, in Ethikfragen; Förderung
von Übersetzungen christlicher Bücher oder Fachwerke durch Intellektuelle,
die dem Christentum wohl gesinnt sind, Professorenbegegnungen und -austausch;
Konferenzen; gemeinsames Engagement verschiedener Religion in bestimmten
Bereichen, Projekten und Veranstaltungen.
All diese Möglichkeiten der konkreten Zusammenarbeit sind wichtige
Schritte zu vertrauensbildenden Massnahmen, die unbedingt vermehrt gepflegt
werden müssen. Für die Lokalkirche Schweiz heisst das wohl und
vorerst: Sich gründlich, sachlich und möglichst objektiv informieren,
China und die Kirche in China kennen lernen durch Besuche, Einladungen und
Begegnungen, durch Unterstützung von Stipendiaten (Schwestern, Seminaristen,
Priester) und entsprechende menschliche und spirituelle Betreuung und Begleitung
hier in der Schweiz, was ausserordentlich wichtig ist, Unterstützung
von gezielten kirchlichen und staatlichen Projekten in China selber. China
darf der Schweizer Kirche nicht gleichgültig sein. Ein vermehrtes Engagement
scheint mir absolut nötig.
Wer sich in diese notwendige Auseinandersetzung und Begegnung begeben will,
hat genügend Möglichkeiten. Das in absehbarer Zeit veröffentlichte
Vortragsmaterial dieser 3. China-Konferenz durch das SVD-China-Zentrum in
St. Augustin, Deutschland, bietet eine Fülle von Informationen, Hinweisen
und Anregungen. Es sei allen China-Interessierten Christinnen und Christen,
vor allem kirchlichen Kreisen, wärmstens empfohlen!
Peter Baumann ist Projektleiter Asien bei der Bethlehem Mission Immensee.
1 China heute, Nr. 698, 1998.