20/2000 | |
INHALT |
Kirchliche Berufe |
Die allfällige Aufhebung des Zölibats für Weltpriester
wird mancherorts als epochale Umwälzung ausgegeben. Schaut man genauer
zu, worin denn in der Praxis das Eheleben besteht und wie gerade menschlich
qualifizierte Weltpriester heute ihr Zusammenleben mit einer nahestehenden
Frau gestalten, erweist sich die Differenz als gering. Bei meinem Vergleich
habe ich allerdings eine Ehe von einer gewissen menschlichen Tiefe und Reife
vor Augen.
Zwei für den Weltpriester auch persönlich einigermassen befriedigende
Lösungen gibt es heute kaum mehr: Nur noch selten besorgt eine leibliche
Schwester ihm den Haushalt; ebenso wenig finden sich menschlich und fachlich
kompetente Frauen für die breit gefächerte, anspruchsvolle und
schwierige Aufgabe, einem Pfarrhaushalt vorzustehen.
Jeder Zölibatäre, der nicht gerade zum Einsiedler oder Junggesellen
berufen ist, sucht unausgesprochen als seine Haushälterin eine Person,
die er menschlich schätzt, mit der er sich versteht und mit der zusammenzuleben
auch ihn bereichert. Die Haushälterin teilt mit ihm ja praktisch den
gesamten Seelsorgsalltag, sie lernt ihn bis in die verborgenen Charakterzüge
hinein kennen, sie fühlt auch ohne Worte seine Probleme, sie hat von
ihrem Arbeitsauftrag her Einblick in seine intimsten Bereiche (Wäsche
besorgen!). Gerade heute, da kaum mehr ein Pfarrer mit ihm wohnende Mitarbeiter
(geschweige denn Weltpriester) hat, wird die Pfarrköchin zu seiner
vertrautesten Bezugsperson, zur Partnerin: Schliesslich muss er ja auch
irgendwo die persönlichen und seelsorglichen Probleme aussprechen können,
die ihn bedrücken. Nicht selten sind beide in der Seelsorge involviert,
weil die Frau häufig vor allem als Sekretärin oder Katechetin
fungiert. Es ergibt sich fast von selbst, dass immer häufiger die Zölibatäre
mit ihrer zur Partnerin gewordenen Haushälterin auch ihre Freizeit,
ihre Ausflüge und Ferien verbringen.
Auch von Seiten der Frau ergibt sich das Bedürfnis nach einer Lebensgemeinschaft
von selbst: Gerade solche Frauen, die innerer Reichtum und menschliche Tiefe
auszeichnet, mögen sich nicht damit begnügen, dem Seelsorger in
Haushalt und Seelsorge zwar den Trabanten zu machen, aber von seinem persönlichen
Leben ausgeschlossen zu sein. Viel weniger als der Mann vermag die Frau
abzuspalten, was vom Wesen her zusammengehört. Je tiefer das Verständnis
füreinander, der gegenseitige Austausch, das persönliche Einvernehmen
und das gemeinsame Engagement sind, umso stärker drängt sich die
natürliche Konsequenz auf, auch das persönliche Leben miteinander
zu verbringen, zu gestalten und zu bewältigen.
So kennen wir nicht erst in unseren Tagen gerade in seelsorglich geschätzten
Pfarrhäusern die Tatsache, dass Pfarrer und Pfarrhaushälterin
in untrennbarer Zuneigung, Vertrautheit und Verbundenheit ihren Weg miteinander
gehen, «bis der Tod sie scheidet»: Der eine wie die andere kann
sich ein Leben ohne diese Partnerin/diesen Partner nicht mehr vorstellen.
Solche seelische Partnerschaften finden sich erst recht überall bei
jenen Zölibatären, die nur nebenamtlich in der Seelsorge stehen,
irgendwo ein eigenes Heim haben und deshalb nicht exponiert wie in einem
Pfarrhaus mit einer ihnen auch menschlich nahestehenden Frau zusammenleben
(z.B. bei Professoren, Spezialseelsorgern, priesterlichen Mitarbeitern).<1>
Heutzutage müssten die meisten Weltpriester in grausamer Einsamkeit
ihren Alltag verbringen, wollten sie sich angesichts der noch ständig
zunehmenden beruflichen Überforderung und der entscheidend veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen den überkommenen Vorschriften unterziehen.
Sie haben nicht einmal mehr jemand, der ihren Haushalt besorgt. Weder in
der Pfarrei noch unter ihren Kollegen finden sie die nötige Geborgenheit.
Bischöfliche Ankündigungen, vor allem Seelsorger der Seelsorger
sein zu wollen, werden von der Praxis mehr als widerlegt. Den Zölibat
hat aber kaum einer der Weltpriester um des Zölibats oder Himmelreichs
willen gewählt. Erst recht ist nicht zum Eigenbrötler und Einsiedler
geboren, wer, weil er Weltpriester werden wollte, die kirchenrechtliche
Kopplung Zölibat akzeptierte (ein weltfremder Eigenbrötler taugte
vielleicht als Opferpriester, aber keinesfalls als Seelsorger!).
Infolgedessen verwundert es nicht, dass weitherum die Weltgeistlichen in
ihrem persönlichen Bekanntenkreis irgendwo eine Frau haben, die ihr
konfliktreiches, überlastetes, ungeborgenes Leben als Seelsorger und
Mensch überhaupt noch einigermassen erträglich macht. Gerade solchen
Beziehungen ist es zu verdanken, dass doch eine rechte Anzahl Seelsorger
trotz ihres Zölibats ein Gespür für die Probleme, Bedürfnisse
und Anliegen der Christen-in-der-Welt entwickeln und deshalb in ihrem Amt
menschlich verständnisvoll denken, reden und handeln. Nicht nur aus
der Kirchengeschichte, sondern auch aus unserer Zeit sind übrigens
genügend Beispiele bekannt, wie berühmte Theologen (sogar mit
Ordensgelübde) auf Dauer engste, persönlichste Beziehungen zu
einer Frau leben, mit der sie ihre innersten Regungen austauschen. Diese
Lebenspartnerin übt auf den einen oder andern sogar einen so prägenden
Einfluss aus, dass nicht einmal seine Theologie ohne diese Frau zu denken
ist.
Meines Erachtens sind die geschilderten Lebenspartnerschaften als Ehen
einzuschätzen. Wer dies abstreitet, bekundet damit eine seltsam weltfremde,
schiefe Sicht von Ehe: Ein jeder, der lange Jahre in einer glücklichen
und glückenden Ehe lebt, weiss, dass sexuelle Begegnungen zwar ein
wichtiger Teil des Ehelebens sind, aber nicht das zentrale Wesen einer gelingenden
Ehe ausmachen. Viel wichtiger ist, dass man in herzlicher Zuneigung und
verlässlicher Treue gemeinsam den Weg durch den Alltag des Lebens bahnt,
die täglichen Freuden und Sorgen in lebhaften gegenseitigem Austausch
bewältigt und sich ganzmenschlich dem Partner öffnet und mitteilt.
Was sich lebensfremde Kleriker unter Eheleben vorstellen, hat oft mit blosser
Triebabfuhr und Prostitution viel, mit Ehe aber wenig zu tun. Für solche
unreife Fixierung auf ungeformte, meist von Erotik und menschlichen Gebärden
abgetrennte, apersonale Sexualität ist eben anfällig, wer vollmenschliche
Beziehungen zur Frau a limine von sich fern halten muss. Immerhin hat das
II. Vatikanum eine deutliche Korrektur am jahrhundertelangen, auf krude
Sexualität fixierten klerikalen Eheverständnis vorgenommen: Die
Ehe ist ein personaler Bund, die innige Gemeinschaft des Lebens und der
Liebe<2>.
Die personale Beziehung zu einer Frau, wie sie viele Zölibatäre
heute auf Dauer leben, ist daher als Ehe einzustufen, selbst wenn öffentliche
Urkunde und sexueller Austausch fehlen. Solche Beziehungen sind positiv
zu beurteilen. Man kann davon ausgehen: Wenn sich irgendwo ein Priester
in Verkündigung und Verhalten durch vollmenschliches Verständnis
auszeichnet und deshalb von den Zeitgenossen als natürliche, kompetente
Autorität akzeptiert wird, steht gewiss in seinem Leben die innige
Beziehung zu einer Frau. Dass so menschennahe und menschenfreundliche Kleriker
bei kirchenamtlichen Konflikten für eine offizielle Ehe «gefährdet»
sind, kommt nicht von ungefähr.
Leider wird noch kaum beachtet, wie Liturgie und Eheleben wesentlich
miteinander zu tun haben. Beide leben davon, dass der Mensch sich in ganzheitlichen,
leibseelischen Gebärden personal auszudrücken vermag. Nicht umsonst
korrelieren rationalistisches Messe-Lesen und dürre Leibfeindlichkeit.
Wer in der Ehe seiner Partnerin/seinem Partner ganzmenschlich zu begegnen
und in Gesten sein Innerstes auszudrücken lernt, wird auch die Liturgie
so vollziehen, wie sie gemeint ist: als ganzheitliches Symbol, gefülltes
Gleichnis, Sakrament.
Als ich seinerzeit für mein Pfarrhaus auf der Suche nach einer auch
menschlich qualifizierten Pfarrköchin war, trat gleichzeitig mein früherer
Chef vom Pfarramt zurück er war zu Höherem befördert.
In der Erwartung, seine Haushälterin Maria, die auch wir Vikare ungemein
geschätzt hatten, werde nun frei, fragte ich Joseph an, ob sie nun
zu mir kommen könnte. Seine Antwort war kurz und bündig: «Maria
bleibt bei Joseph!»
Roland Hinnen, 1962 Priesterweihe, nach dem II. Vatikanum Weiterstudium in Theologie, später Zweitstudium zum Eidg. dipl. Psychologen/Berufsberater. 9 Jahre Pfarrer, 13 Jahre IV-Berufsberater. Seit 1980 verheiratet.
1 KIRCHE INTERN (März 1999, S. 22 Richard Picker und S. 32 Rudolf Schermann) spricht realistisch von einem dreigeteilten Klerus: (echt) Zölibatäre, mit einer Frau Liierte (Scheinzölibatäre) und Verheiratete (Amtsbehinderte).
2 Gaudium st spes. Nr. 42.