20/2000

INHALT

Kirchliche Berufe

Die Ehe der Zölibatäre

von Roland Hinnen

 

Die allfällige Aufhebung des Zölibats für Weltpriester wird mancherorts als epochale Umwälzung ausgegeben. Schaut man genauer zu, worin denn in der Praxis das Eheleben besteht und wie gerade menschlich qualifizierte Weltpriester heute ihr Zusammenleben mit einer nahestehenden Frau gestalten, erweist sich die Differenz als gering. Bei meinem Vergleich habe ich allerdings eine Ehe von einer gewissen menschlichen Tiefe und Reife vor Augen.
Zwei für den Weltpriester auch persönlich einigermassen befriedigende Lösungen gibt es heute kaum mehr: Nur noch selten besorgt eine leibliche Schwester ihm den Haushalt; ebenso wenig finden sich menschlich und fachlich kompetente Frauen für die breit gefächerte, anspruchsvolle und schwierige Aufgabe, einem Pfarrhaushalt vorzustehen.

Lebensgemeinschaft

Jeder Zölibatäre, der nicht gerade zum Einsiedler oder Junggesellen berufen ist, sucht unausgesprochen als seine Haushälterin eine Person, die er menschlich schätzt, mit der er sich versteht und mit der zusammenzuleben auch ihn bereichert. Die Haushälterin teilt mit ihm ja praktisch den gesamten Seelsorgsalltag, sie lernt ihn bis in die verborgenen Charakterzüge hinein kennen, sie fühlt auch ohne Worte seine Probleme, sie hat von ihrem Arbeitsauftrag her Einblick in seine intimsten Bereiche (Wäsche besorgen!). Gerade heute, da kaum mehr ein Pfarrer mit ihm wohnende Mitarbeiter (geschweige denn Weltpriester) hat, wird die Pfarrköchin zu seiner vertrautesten Bezugsperson, zur Partnerin: Schliesslich muss er ja auch irgendwo die persönlichen und seelsorglichen Probleme aussprechen können, die ihn bedrücken. Nicht selten sind beide in der Seelsorge involviert, weil die Frau häufig vor allem als Sekretärin oder Katechetin fungiert. Es ergibt sich fast von selbst, dass immer häufiger die Zölibatäre mit ihrer zur Partnerin gewordenen Haushälterin auch ihre Freizeit, ihre Ausflüge und Ferien verbringen.
Auch von Seiten der Frau ergibt sich das Bedürfnis nach einer Lebensgemeinschaft von selbst: Gerade solche Frauen, die innerer Reichtum und menschliche Tiefe auszeichnet, mögen sich nicht damit begnügen, dem Seelsorger in Haushalt und Seelsorge zwar den Trabanten zu machen, aber von seinem persönlichen Leben ausgeschlossen zu sein. Viel weniger als der Mann vermag die Frau abzuspalten, was vom Wesen her zusammengehört. Je tiefer das Verständnis füreinander, der gegenseitige Austausch, das persönliche Einvernehmen und das gemeinsame Engagement sind, umso stärker drängt sich die natürliche Konsequenz auf, auch das persönliche Leben miteinander zu verbringen, zu gestalten und zu bewältigen.
So kennen wir nicht erst in unseren Tagen gerade in seelsorglich geschätzten Pfarrhäusern die Tatsache, dass Pfarrer und Pfarrhaushälterin in untrennbarer Zuneigung, Vertrautheit und Verbundenheit ihren Weg miteinander gehen, «bis der Tod sie scheidet»: Der eine wie die andere kann sich ein Leben ohne diese Partnerin/diesen Partner nicht mehr vorstellen. Solche seelische Partnerschaften finden sich erst recht überall bei jenen Zölibatären, die nur nebenamtlich in der Seelsorge stehen, irgendwo ein eigenes Heim haben und deshalb nicht exponiert wie in einem Pfarrhaus mit einer ihnen auch menschlich nahestehenden Frau zusammenleben (z.B. bei Professoren, Spezialseelsorgern, priesterlichen Mitarbeitern).<1>

Geborgenheit

Heutzutage müssten die meisten Weltpriester in grausamer Einsamkeit ihren Alltag verbringen, wollten sie sich angesichts der noch ständig zunehmenden beruflichen Überforderung und der entscheidend veränderten gesellschaftlichen Bedingungen den überkommenen Vorschriften unterziehen. Sie haben nicht einmal mehr jemand, der ihren Haushalt besorgt. Weder in der Pfarrei noch unter ihren Kollegen finden sie die nötige Geborgenheit. Bischöfliche Ankündigungen, vor allem Seelsorger der Seelsorger sein zu wollen, werden von der Praxis mehr als widerlegt. Den Zölibat hat aber kaum einer der Weltpriester um des Zölibats oder Himmelreichs willen gewählt. Erst recht ist nicht zum Eigenbrötler und Einsiedler geboren, wer, weil er Weltpriester werden wollte, die kirchenrechtliche Kopplung Zölibat akzeptierte (ein weltfremder Eigenbrötler taugte vielleicht als Opferpriester, aber keinesfalls als Seelsorger!).
Infolgedessen verwundert es nicht, dass weitherum die Weltgeistlichen in ihrem persönlichen Bekanntenkreis irgendwo eine Frau haben, die ihr konfliktreiches, überlastetes, ungeborgenes Leben als Seelsorger und Mensch überhaupt noch einigermassen erträglich macht. Gerade solchen Beziehungen ist es zu verdanken, dass doch eine rechte Anzahl Seelsorger trotz ihres Zölibats ein Gespür für die Probleme, Bedürfnisse und Anliegen der Christen-in-der-Welt entwickeln und deshalb in ihrem Amt menschlich verständnisvoll denken, reden und handeln. Nicht nur aus der Kirchengeschichte, sondern auch aus unserer Zeit sind übrigens genügend Beispiele bekannt, wie berühmte Theologen (sogar mit Ordensgelübde) auf Dauer engste, persönlichste Beziehungen zu einer Frau leben, mit der sie ihre innersten Regungen austauschen. Diese Lebenspartnerin übt auf den einen oder andern sogar einen so prägenden Einfluss aus, dass nicht einmal seine Theologie ohne diese Frau zu denken ist.

Was eine Ehe ausmacht

Meines Erachtens sind die geschilderten Lebenspartnerschaften als Ehen einzuschätzen. Wer dies abstreitet, bekundet damit eine seltsam weltfremde, schiefe Sicht von Ehe: Ein jeder, der lange Jahre in einer glücklichen und glückenden Ehe lebt, weiss, dass sexuelle Begegnungen zwar ein wichtiger Teil des Ehelebens sind, aber nicht das zentrale Wesen einer gelingenden Ehe ausmachen. Viel wichtiger ist, dass man in herzlicher Zuneigung und verlässlicher Treue gemeinsam den Weg durch den Alltag des Lebens bahnt, die täglichen Freuden und Sorgen in lebhaften gegenseitigem Austausch bewältigt und sich ganzmenschlich dem Partner öffnet und mitteilt. Was sich lebensfremde Kleriker unter Eheleben vorstellen, hat oft mit blosser Triebabfuhr und Prostitution viel, mit Ehe aber wenig zu tun. Für solche unreife Fixierung auf ungeformte, meist von Erotik und menschlichen Gebärden abgetrennte, apersonale Sexualität ist eben anfällig, wer vollmenschliche Beziehungen zur Frau a limine von sich fern halten muss. Immerhin hat das II. Vatikanum eine deutliche Korrektur am jahrhundertelangen, auf krude Sexualität fixierten klerikalen Eheverständnis vorgenommen: Die Ehe ist ein personaler Bund, die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe<2>.
Die personale Beziehung zu einer Frau, wie sie viele Zölibatäre heute auf Dauer leben, ist daher als Ehe einzustufen, selbst wenn öffentliche Urkunde und sexueller Austausch fehlen. Solche Beziehungen sind positiv zu beurteilen. Man kann davon ausgehen: Wenn sich irgendwo ein Priester in Verkündigung und Verhalten durch vollmenschliches Verständnis auszeichnet und deshalb von den Zeitgenossen als natürliche, kompetente Autorität akzeptiert wird, steht gewiss in seinem Leben die innige Beziehung zu einer Frau. Dass so menschennahe und menschenfreundliche Kleriker bei kirchenamtlichen Konflikten für eine offizielle Ehe «gefährdet» sind, kommt nicht von ungefähr.

Liturgie und Eheleben

Leider wird noch kaum beachtet, wie Liturgie und Eheleben wesentlich miteinander zu tun haben. Beide leben davon, dass der Mensch sich in ganzheitlichen, leibseelischen Gebärden personal auszudrücken vermag. Nicht umsonst korrelieren rationalistisches Messe-Lesen und dürre Leibfeindlichkeit. Wer in der Ehe seiner Partnerin/seinem Partner ganzmenschlich zu begegnen und in Gesten sein Innerstes auszudrücken lernt, wird auch die Liturgie so vollziehen, wie sie gemeint ist: als ganzheitliches Symbol, gefülltes Gleichnis, Sakrament.
Als ich seinerzeit für mein Pfarrhaus auf der Suche nach einer auch menschlich qualifizierten Pfarrköchin war, trat gleichzeitig mein früherer Chef vom Pfarramt zurück ­ er war zu Höherem befördert. In der Erwartung, seine Haushälterin Maria, die auch wir Vikare ungemein geschätzt hatten, werde nun frei, fragte ich Joseph an, ob sie nun zu mir kommen könnte. Seine Antwort war kurz und bündig: «Maria bleibt bei Joseph!»

 

Roland Hinnen, 1962 Priesterweihe, nach dem II. Vatikanum Weiterstudium in Theologie, später Zweitstudium zum Eidg. dipl. Psychologen/Berufsberater. 9 Jahre Pfarrer, 13 Jahre IV-Berufsberater. Seit 1980 verheiratet.


Anmerkungen

1 KIRCHE INTERN (März 1999, S. 22 Richard Picker und S. 32 Rudolf Schermann) spricht realistisch von einem dreigeteilten Klerus: (echt) Zölibatäre, mit einer Frau Liierte (Scheinzölibatäre) und Verheiratete (Amtsbehinderte).

2 Gaudium st spes. Nr. 42.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2000