Immanuel Kant

Immanuel Kant (1724–1804). Gemälde von Johann Gottlieb Becker, 1768. (Bild: Wikipedia)

 

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.

Königsberg in Preussen, den 30. Septemb. 1784.
Immanuel Kant*

 

* Zitiert aus: Kant, Immanuel, Werke in zwölf Bänden. Band XI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Frankfurt 1964, 53.

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Editorial

Der Kern jeder Ethik
 

«Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu.» So das Sprichwort, so die Umgangssprache. Jede und jeder wird zustimmen, wenn er/sie nur einigermassen klaren Sinnes ist, denn eigentlich es ist ja immer noch ein egoistischer Ansatz: Ich will, dass es mir gut geht, also … Wenn nun zusätzlich Religion ins Spiel kommt, verliert der Satz den Eigennutz: «Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.» Der Ansatz ist zunächst beim Nächsten, beim Gegenüber, nicht bei mir selbst. Nun geht es um die Gleichheit aller Geschaffenen vor ihrem Gott, da sie nach seinem «Abbild» entstanden und damit Bestandteil der abschliessenden Wertung sind: «Und alles war gut.» Viele Jahrhunderte später, exakt 1785, reflektiert der Königsberger Professor Immanuel Kant, wie er diese ethische Lehre auch unabhängig von Religion exakt begründen könnte. Und so kam er zur Formulierung, die bis heute als abschliessend zu beurteilen ist, wenn immer wir in einer offenen Gesellschaft leben: «Handle so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.» Und noch exakter: «Handle so, dass Du die Menschheit sowohl in Deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst.»


Heinz Angehrn