Schwester M. Therese Frances Casey im Garten der Zürcher Niederlassung der Mutter Teresa-Schwestern
Schweiz

Zürcher Mutter Teresa-Schwestern bleiben an der Langstrasse

Zürich, 1.9.16 (kath.ch) An den Feierlichkeiten zur Heiligsprechung von Mutter Teresa in Rom nehmen sie nicht teil, und vielleicht haben sie nicht mal Zeit, die Zeremonie am Fernsehen anzuschauen. Denn die Zürcher «Missionarinnen der Nächstenliebe» wollen auch am kommenden Sonntag für Bedürftige im Langstrassenquartier da sein. Dort wirken sie seit bald 25 Jahren.

Barbara Ludwig

Im Treppenhaus des vierstöckigen Hauses an der Feldstrasse 136 im Zürcher Kreis vier trocknet Wäsche an einem Ständer. Aus dem Türspalt eines der Zimmer schaut eine dunkelhäutige Frau hervor und grüsst Schwester M. Therese Frances Casey (48). Die gebürtige Schottin trägt ein weisses Gewand, darüber einen Sari mit blauem Streifen, an der linken Schulter hängt ein kleines Kreuz. Sie führt durch einen Teil der Liegenschaft, die den Missionarinnen der Nächstenliebe gehört. Ein Stockwerk weiter unten ist ein Blick in eines der Zimmer möglich: drei Betten mit je einem Nachttisch, gelbe Vorhänge, gelber Bettüberwurf, an der Wand ein Kruzifix. Im Moment ist das Zimmer unbewohnt.

Mit Frauen in Not unter einem Dach

Im angebauten Haus nebenan, der Nummer 138, gibt es eine Küche mit Esstisch, wo die «ladies» sich Mahlzeiten zubereiten können. «Ladies», so nennt Schwester Therese Frances, die Oberin der kleinen Gemeinschaft, die Frauen, die hier wohnen. Es sind Frauen in Not, meist Ausländerinnen. Die Schwestern bieten ihnen für drei Monate einen Unterschlupf. Gratis und franko. In der Nummer 138 befindet sich auch die Kapelle der Ordensfrauen.

Der Raum von der Grösse einer Wohnstube wird von einem Kruzifix dominiert, daneben hängt die Aufschrift «Mich dürstet» – ein Wort Jesu, das nach einem mystischen Erlebnis von Mutter Teresa zum Leitspruch des Ordens geworden ist. Vor dem Altar stehen ein paar Bankreihen ohne Rückenlehne. Ein blauer Teppich auf grauem Linoleum kämpft vergeblich gegen die Kargheit der Kapelle.

Der einzige Ort in der Liegenschaft, an dem die «Missionarinnen der Barmherzigkeit» unter sich sein können, verbirgt sich hinter einer Tür mit der Aufschrift «Klausur». Auch dort ist Einfachheit angesagt, Individualismus ein Fremdwort. Die vier Schwestern schlafen alle im gleichen Raum, verrät die Oberin nach dem Rundgang durch die Liegenschaft. «Wir wollen so arm sein wie die Ärmsten der Armen.» Aus dem gleichen Grund gibt es bei den Missionarinnen der Nächstenliebe weder Fernsehen noch Radio, auch keinen Internetzugang; die Schwestern haben nicht mal eine eigene E-Mail-Adresse.

Bischof Haas rief sie wegen Drogenabhängigen in die Schweiz

Von der Feldstrasse zur Langstrasse, bekannt für ihr Sexmilieu, sind es wenige Minuten zu Fuss. Hierhin zogen die Missionarinnen der Nächstenliebe vor bald 25 Jahren. Zuvor waren sie in Zürich-Wollishofen. Aber länger als zwei Wochen hielt es sie dort nicht. «Die Schwestern fanden, das sei nicht unser Milieu. In Wollishofen hat es nicht so viele arme Leute auf der Strasse wie hier», erklärt Schwester Therese Frances.

In die Schweiz gekommen sind die Missionarinnen der Nächstenliebe 1992 auf Einladung des früheren Churer Bischofs Wolfgang Haas. «Wir eröffnen ein Haus nur, wenn wir vom Ortsbischof dazu eingeladen werden. Bischof Haas hat uns 1991 gerufen, um den Drogenabhängigen auf dem Platzspitz und dem Letten zu helfen.» Es war die Zeit der offenen Drogenszene, Hunderte von Süchtigen konsumierten täglich Drogen auf dem Platzspitz und nach dessen Räumung am stillgelegten Bahnhof Letten. Die Missionarinnen der Nächstenliebe seien jeden Tag dorthin gegangen, sagt Schwester Therese Frances und zeigt einen Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit.

1995 wurde die offene Drogenszene geschlossen. Die Zürcher Missionarinnen der Nächstenliebe haben aber heute noch Kontakt zu Drogenabhängigen. Jeden Tag holen sich drogenabhängige Menschen Sandwichs und Kuchen bei den Schwestern.

Beten auf der Langstrasse

Oder man trifft sich auf der Langstrasse. Jeden Dienstagabend gehen zwei der Schwestern zusammen an die Langstrasse, bis Mitternacht. Beim Spazieren auf Zürichs Partymeile kann es auch zu Begegnungen mit Frauen kommen. Mit Ausländerinnen, die vielleicht in Not sind, die vielleicht Prostituierte sind oder es zu werden drohen, weil sie Geld brauchen. Und es kommt vor, dass eine Frau die Schwestern um Hilfe bittet. Dies geschehe aber nicht jeden Tag, sagt Schwester Therese Frances. Die Missionarinnen der Nächstenliebe drängen sich nicht auf.

«Wir gehen und beten auf der Strasse. Langsam. Wir schauen die Ladies an. Wir gehen zu ihnen hin: Hallo, wie geht es? Wenn sie antworten, sprechen wir mit ihnen. Wenn sie nicht mit uns sprechen wollen, gehen wir weg.» Ist das Ziel der Schwestern, dass die Frauen aus der Prostitution aussteigen? Schwester Therese Frances: «Wir hoffen es. Aber unser erster Wunsch ist, dass sie wissen, dass sie nicht alleine sind, dass sie einen Freund haben, dass sie jemanden haben, der sie liebt und der sich um sie sorgt.» Dieser jemand sei Gott. «Wir sind berufen, ihnen Gottes Liebe zu geben.»

Schwestern sind keine Sozialarbeiterinnen

Die Oberin stellt klar, dass die Schwestern des von Mutter Teresa gegründeten Ordens keine Sozialarbeiterinnen sind. «Wir nennen uns Missionarinnen der Nächstenliebe. Wir wollen Gottes Liebe zeigen.» Um Gottes Liebe weitergeben zu können, müssten sie selber diese Liebe spüren. Vier Stunden täglich sind dem Gebet gewidmet, sechs Stunden dem Apostolat, also der Hilfe für Bedürftige. Im Falle der Zürcher Schwestern sind das Frauen und Familien in Not, Drogenabhängige, aber auch Flüchtlinge und alte Menschen.

Schwester Therese Frances erklärt: «Wir leben kontemplativ im Herzen der Welt. Der Bischof bat uns hierherzukommen, um eine Oase der Kontemplation zu sein und eine Zelle der Liebe. Mutter Teresa sagte immer: Wir tun kleine Dinge, wir haben keinen grossen Plan. Wir versuchen, kleine Dinge mit Liebe zu tun. Die Menschen hungern nicht so sehr nach Brot, aber sie hungern nach Liebe.»

Man sei da, um unmittelbar den Armen zu helfen, solange sie es brauchten und solange ihnen niemand anders hilft. «Wenn andere ihnen besser helfen können, ziehen wir uns zurück», sagt die Oberin.

Mittagstisch für Bedürftige am Tag der Heiligsprechung

So oder so: Den Schwestern scheint die Arbeit nicht auszugehen. Keine von ihnen wird zu den Feierlichkeiten der Heiligsprechung von Mutter Teresa am 4. September nach Rom fahren.  »Wenn wir Zeit haben, schauen wir die Zeremonie der Heiligsprechung vielleicht am Fernsehen, bei Bekannten», erklärt Schwester Therese Frances. Der Orden habe entschieden, dass aus jeder der weltweit 44 Provinzen zwei Mitglieder an den Feierlichkeiten teilnehmen werden. Die Schwestern in Zürich haben vor, am 4. September einen Mittagstisch für Bedürftige zu organisieren – «für die armen Leute, für unsere Freunde», sagt Schwester Therese Frances.

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Schwester M. Therese Frances Casey im Garten der Zürcher Niederlassung der Mutter Teresa-Schwestern | © Barbara Ludwig
1. September 2016 | 12:02
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Der Orden in der Welt und in der Schweiz

Die Gemeinschaft «Missionarinnen der Nächstenliebe» ist eine der erfolgreichsten Ordensgründungen des 20. Jahrhunderts. Die von Mutter Teresa von Kalkutta (Agnes Bojaxhiu, 1910-1997) in Indien gegründete Gemeinschaft erhielt 1950 vom Vatikan als Einrichtung diözesanen Rechts die offizielle Anerkennung. Die Gemeinschaft, die weltweit in 139 Ländern vertreten ist, zählt nach Vatikanangaben rund 5’300 Schwestern in weltweit 762 Häusern. Der Orden hat auch einen männlichen Zweig.

Sieben Schwestern mit Schweizer Nationalität

In der Schweiz unterhält der Orden zwei Niederlassungen, seit 1992 in Zürich und seit 1997 in Lausanne. Zur Zürcher Niederlassung gehören laut deren Oberin M. Therese Frances Casey fünf Schwestern, von denen vier permanent dort leben. Die fünf Schwestern sind zwischen 36 und 60 Jahre alt und stammen aus Indien, Grossbritannien, Frankreich und der Schweiz. Zunächst lebte die Zürcher Gemeinschaft in einer Wohnung an der Feldstrasse. Später erwarb der Orden eine Liegenschaft an derselben Strasse im Langstrassenquartier. In Lausanne leben laut Casey vier Schwestern. Insgesamt gehören sieben Schweizerinnen dem Orden an. (kna/bal)