Papst Franziskus geht in Auschwitz durch das Haupttor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei", 2016
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Und der Papst sagte kein einziges Wort

Oswiecim, 30.7.16 (kath.ch) Das Haupt gesenkt, die Miene versteinert. So schreitet der Mann in Weiss durch das Tor mit der Aufschrift «Arbeit macht frei». Langsam geht er auf dem Schotterweg voran. Kleine Steine liegen herum. Der 79-Jährige muss auf seine Schritte achten. Hier, am Ort des Massenmordes, wo es nichts zu beschönigen gibt, wurde auch für den Papst nichts schöner gemacht. Ganz allein machte sich Franziskus am Freitag auf zum schwersten Gang seiner Polen-Reise: das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz. Grösser könnte der Kontrast zum Weltjugendtags-Trubel in Krakau nicht sein.

Thomas Jansen

Und der Papst sagt kein einziges Wort, er schweigt, betet still und hört zu, anderthalb Stunden lang, im Stammlager Auschwitz und später in Auschwitz-Birkenau, dem Standort der Gaskammern. Ganz so, wie er es zuvor angekündigt hatte. Er wolle «an jenen Ort des Schreckens gehen ohne Reden, ohne Menschen, nur mit denen, die nötig sind», hatte Franziskus vor der Reise gesagt.

Wer könnte bestehen?

Nur mit einigen Holocaust-Überlebenden und Rettern von Juden wechselt er einige Worte, bevor er sie auf die Wange küsst und umarmt. Die einzigen Sätze, die an diesem Vormittag überhaupt laut gesprochen werden, tragen ein Rabbiner und ein katholischer Priester vor. Es ist der biblische Psalm 130: «Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?»

Franziskus ist der dritte Papst, der Auschwitz aufsucht. Aber der erste, der schweigt. Und er ist der erste Nachfolger Petri, der den Zweiten Weltkrieg nicht auf der Seite der Täter oder der Opfer miterlebt hat: Als die Rote Armee am 27. Januar 1945 die Häftlinge in Auschwitz befreite, war er gerade mal acht Jahre alt und lebte im fernen Buenos Aires.

Auch Stille ist eine Geste

Johannes Paul II., der im benachbarten Wadowice aufwuchs, kam 1979 als erster Papst und predigte in einem Gottesdienst. Sein Nachfolger Benedikt XVI. besuchte das ehemalige Vernichtungslager im Jahr 2006 und hielt dort eine Ansprache. Ausser dem Schweigen wich Franziskus im Programm kaum von seinen Vorgängern ab. Ebenso wie sie betete er in der Todeszelle von Pater Maximilian Kolbe, der vor 75 Jahren anstelle eines Familienvaters in den Tod ging und 1982 von Johannes Paul II. heiliggesprochen wurde.

Franziskus wird oft als Papst der Gesten bezeichnet. Das hat sich in Auschwitz wieder einmal bestätigt. Als Papst eine Rede an diesem Ort des Grauens zu halten, wäre womöglich auch für ihn ein heikles Unterfangen geworden. Benedikt XVI., der zudem noch aus dem Land der Täter kam, hat dies am eigenen Leib erfahren. Manche Kritiker warfen ihm vor, er habe die deutsche Schuld in seiner Ansprache verharmlost. Andere beanstandeten, er habe sich nicht für den katholischen Antijudaismus entschuldigt. Mit seinem Entschluss zu schweigen hat Franziskus eine solche Debatte von vornherein vermieden. Vor allem von jüdischer Seite gab es dafür bereits vor der Reise viel Lob.

Nicht für sich, für die Öffentlichkeit

Bartosz Hadryan und Natalia Nowak finden es gut, dass der Papst nach Auschwitz kommt. Auch sein Schweigen imponiert ihnen. Die beiden Jugendlichen kommen aus Oswiecim, dem früheren Auschwitz, und engagieren sich als freiwillige Helfer der Gedenkstätte. Sie haben den Ort des Massenmordes, an dem laut Historikern rund 1,1 Millionen Menschen getötet wurden, vor ihrer Haustür. Mit seinem Schweigen zeige er, «dass er es für sich und nicht für die Öffentlichkeit macht», sagt Hadryan. Nowak meint, jeder Papst sollte diesen Ort besuchen.

Der Papst wollte nicht nur schweigen. Er hoffe, dass Gott ihm die Gnade gebe, in Auschwitz zu weinen, hatte Franziskus vor der Reise gesagt. Zumindest die Kameras fingen am Freitag keine Tränen ein. Vielleicht hat der Papst unbemerkt in der fast lichtlosen Zelle von Maximilian Kolbe geweint, wo er vornübergebeugt minutenlang auf einem Schemel verharrte.

Die Tränen bleiben Spekulation. Sein Schweigen ist Gewissheit. Nur eine knappe schriftliche Botschaft hat Franziskus hinterlassen. In das Besucherbuch der Gedenkstätte schrieb er auf Spanisch. «Herr, erbarm dich über dein Volk! Herr, vergib so viel Grausamkeit!» (cic)

Jüdischer Weltkongress bezeichnet Papst als Verbündeten der Juden

Papst Franziskus geht in Auschwitz durch das Haupttor mit dem Schriftzug «Arbeit macht frei», 2016 | © KNA
30. Juli 2016 | 14:54
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Papst betet am Grab von polnischer Mystikerin

Zu Beginn des vierten Tages seiner Polen-Reise hat Papst Franziskus am Grab der Mystikerin und Heiligen Faustyna Kowalska (1905-1938) in Lagiewniki, Krakau, gebetet. Im «Heiligtum der göttlichen Barmherzigkeit» verharrte Franziskus am Samstag, 30. Juli, in der Kapelle der Heiligen für einige Momente mit gefalteten Händen in Stille. Begrüsst wurde Franziskus von Schwestern der Mutter Gottes der Barmherzigkeit.

Kowalska gilt als theologische Vordenkerin der Barmherzigkeit, die ein zentrales Anliegen von Papst Franziskus ist. Die in Polen sehr populäre Ordensfrau inspirierte Johannes Paul II. im Jahr 1993 zur Einführung eines «Sonntags der Barmherzigkeit», den die katholische Kirche seither am ersten Sonntag nach Ostern begeht. Im Jahr 2000 wurde sie von Johannes Paul II. heilig gesprochen.

Nach dem Besuch des Grabes wird Franziskus einen Gottesdienst mit Priestern und Ordensleuten im Heiligtum von Johannes Paul II. feiern. (cic)

Die jungen Leute werden ihre Eindrücke mit nach Hause nehmen