Interreligiöser Gottesdienst in der Grossen reformierten Kirche in Zürich-Altstetten
Schweiz

Über Gott und die Liebe: interreligiöser Gottesdienst am Festival der Religionen

Zürich, 1.11.15 (kath.ch) Einen interreligiösen Gottesdienst der besonderen Art erlebten die Besucher der Grossen Kirche Altstetten anlässlich des Festivals der Religionen in Zürich am Sonntag, 1. November. Vertreter von Christentum, Judentum und Islam äusserten sich zu Liebe, Nächstenliebe und Gottesliebe.

«Das habe ich in der Kirche noch nie erlebt, dass drei Religionen miteinander Gottesdienst feiern, sagte Ulrike Müller, reformierte Pfarrerin in der Grossen Kirche Altstetten, mitten im Gottesdienst. Die drei abrahamitischen Religionen – wie sie die Pfarrerin bezeichnete – also das Christentum, das Judentum und der Islam feierten gemeinsam einen Gottesdienst.

Keinen Mischmasch machen

«Wir wollen die Unterschiede nicht vertuschen und keinen Mischmasch machen», erklärte Pfarrerin Müller und betonte: «Vielmehr wollen wir uns von Unterschieden überraschen lassen.

Aufgelockert durch lupfige Klezmermusik und Kirchenlieder aus dem reformierten Gesangbuch wurde nun das Thema Liebe, Nächstenliebe und Gottesliebe behandelt.

Das eigentliche Trippel-Gebot «Liebe Gott, deinen Nächsten und dich selbst», sei wie ein genetischer Code des Christentums, sagte die reformierte Pfarrerin – und relativierte nach einer kurzen Pause ihre Aussage gleich wieder. Die Sätze stammten aus dem Alten Testament. Wenn man also nach deren Erfinder frage, müsse man antworten: nicht wir Christen. Gleichzeitig erklärte Müller dem Kirchenpublikum, so eine Aufforderung führe zu Fragen, etwa, wie weit der erwähnte Nächste denn reiche, ob man sich auch tatsächlich selber liebe und ob man auf Befehl hin lieben könne.

Jesus gebe dazu keine Antwort, erklärte Müller, sondern er erzähle die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Diese zeige, so Müller: «Man ist nicht ein für alle Mal ein Nächster, man wird es in bestimmten Situationen.»

Judentum: Nächstenliebe als Nicht-Gebot

«Nächstenliebe ist auch ein wichtiges Gebot der Thora», sprach Reuven Bar-Ephraim, Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde zu den Anwesenden. Doch die Thora bringe dieses als Nicht-Gebot. Man solle dem Nächsten nicht antun, was man selber nicht angetan haben wolle. Durch die eigenen Gefühle wüssten wir gut, was wir nicht wollten, dass uns angetan würde, erklärte Bar-Ephraim. Und da auch für den Rabbiner das Nächstenliebe-Gebot nicht ganz einfach umzusetzen ist, zitiert er einen anderen Rabbiner, der sinngemäss gesagt habe: Besuche die Kranken, ernähre die Hungrigen, tröste die Traurigen, kleide die Nackten und beerdige die Toten. «Wir sollten die Nächsten mit Taten unterstützen», ist Bar-Ephraims Fazit. Dabei komme die Liebe zu Gott zum Ausdruck. «Wenn jeder seinen Nächsten wirklich lieben würde, wäre die Welt sicher friedlicher», schloss der Rabbi.

Islam: Gott als Quelle der Liebe

«Gemäss islamischem Verständnis ist Gott die Quelle der Liebe», erklärte Rifa’at Lenzin, Fachreferentin Islam des Zürcher Lehrhauses. «Liebe ist den Menschen nicht einfach verfügbar, Liebe geht von Gott aus», so Lenzin. Deshalb heisse es in der Sure: Jenen, die glauben und gute Werke tun, werde Gott Liebe zukommen lassen. Gutes Tun heisse laut einer anderen Sure, nicht seinen persönlichen Neigungen zu folgen, sondern der Gerechtigkeit. Im Islam stehe weniger die Nächstenliebe, sondern vielmehr die Gerechtigkeit im Vordergrund, folgerte Lenzin.

Zum Abschluss sangen sechs Mädchen der Mahmud-Moschee ein Lied, das immer wieder besagte «Islam will den Frieden, Islam heisst Frieden». – «Wir wollen zeigen, was wir unseren Kindern beibringen und dass uns der Islam den Frieden lehrt», sagte Uzma Kamal im Anschluss an den Gottesdienst. Islam bedeute Liebe, nicht Krieg, so Kamal. Kamal bietet in der Mahmud-Moschee Religionsunterricht an und leitet das Monatstreffen der muslimischen Mädchen. (rp)


Zürcher Lehrhaus initiierte das Festival der Religionen

Das Festival der Religionen in Zürich warb mit über 100 Veranstaltungen an 47 Standorten für Toleranz und Respekt gegenüber Menschen verschiedener kultureller und religiöser Zugehörigkeit. Beteiligt waren christliche, hinduistische, buddhistische, jüdische und muslimische Gemeinschaften sowie interkulturell aktive Organisationen, etwa die Zürcher Gemeinschaftszentren. Initiiert wurde der vom 30. Oktober bis 1. November dauernde Anlass von der Stiftung Zürcher Lehrhaus, die ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Das Lehrhaus nennt sich ab Januar 2016 «Zürcher Institut für interreligiösen Dialog». Das entspreche dem eigenen Anspruch, ein Kompetenzzentrum für interreligiösen Dialog zu sein, erklärte Rifa’at Lenzin im Gottesdienst in Altstetten. Lenzin ist Co-Leiterin des Lehrhauses. (rp)

Interreligiöser Gottesdienst in der Grossen reformierten Kirche in Zürich-Altstetten | © Regula Pfeifer
1. November 2015 | 18:35
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