Die Muslimin und Islamwissenschaftlerin Rifa`at Lenzin
Schweiz

Islamwissenschafterin fordert Muslim-Seelsorger in den Spitälern!

Zürich, 19.1.15 – Die Spitalseelsorge in der Schweiz liegt in den Händen von reformierten und katholischen Seelsorgern. Andere Religionen bleiben aussen vor, ausser, ein Patient verlange dies. «Das ist diskriminierend», findet Rifa’at Lenzin, Islamwissenschafterin und Mitglied des Interreligiösen Think-Tank. An dieser Grundsatzfrage ändert auch das neue Gesetz im Aargau nichts.

Regula Pfeifer

Die Bedingungen für die Beteiligung an der Spitalseelsorge müssten geändert werden, sagt die im Zürcher Lehrhaus dozierende Islamwissenschafterin Rifa’at Lenzin. Es frage sich, ob nicht auch Muslime in die Spitalseelsorge integriert werden sollten. Lenzin schlägt vor, muslimische Spitalseelsorger sollten zu einem Prozentsatz angestellt werden, der der Glaubenszugehörigkeit der Patienten entspricht.

Nur anerkannte Kirchen zugelassen

Aktuell ist der Zugang zur Spitalseelsorge an die öffentlich-rechtliche Anerkennung geknüpft. Deshalb sind nur die drei Landeskirchen involviert – wobei die Christkatholiken kaum von ihrem Recht Gebrauch machen, wie Fachleute bestätigen.

Seelsorge sei ein «genuin christlicher Begriff und ein christliches Konzept», erklärt Lenzin die theologischen Hintergründe. In islamischen Ländern gibt es laut Lenzin keine Spitalseelsorge. Erst in der Diaspora in Europa haben sich entsprechende Bedürfnisse entwickelt. In Ländern, in denen die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Muslime weiter fortgeschritten ist als in der Schweiz, etwa in Grossbritannien oder Deutschland, engagieren sich Muslime in der Spitalseelsorge. «Eine Institutionalisierung bedingt auch eine theologische Aufarbeitung dieser Frage», fügt Lenzin hinzu.

Der Aargau zeigt: Landeskirchen sind im Vorteil

Wer an der Spitalseelsorge beteiligt ist, hat einen Wissensvorsprung. Das zeigen die Erfahrungen im Kanton Aargau. Das Kantonsparlament hat letzte Woche ein datenschutzfreundliches Gesetz gekippt, das die Spitalseelsorge von Ortspfarrern quasi verunmöglicht hatte. Dieses Gesetz hatte verlangt, die Pfarreien dürften vom Spitalaufenthalt ihrer Gläubigen nur erfahren, wenn diese dem ausdrücklich zugestimmt hätten. In der Folge gingen kaum mehr Informationen an die Ortspfarreien weiter. «Das Problem war nicht, dass die Patienten die Spitalseelsorge abgelehnt hätten», erläutert Frank Worbs, Leiter Informationsdienst der reformierten Landeskirche Aargau. Vielmehr seien die meisten Patienten gar nicht gefragt worden, ob sie die Informationsweitergabe wünschten. Dem will das neue Gesetz entgegenwirken, das nun nach dem Ablehnungsprinzip statt dem Zustimmungsprinzip funktioniert. Wer nicht explizit dagegen ist, dessen Name darf vom Spital an die Pfarrei und Kirchgemeinde weiter geleitet werden. Dadurch soll die Spitalseelsorge für externe Religionsvertreter – etwa Pfarrer oder Laientheologen – wieder einfacher zu realisieren sein.

Von der Regelung ausgenommen sind Vertreter anderer Religionen. Deshalb erfährt ein Imam oder ein Rabbi nur ausnahmsweise vom Spitalaufenthalt eines seiner Gläubigen. Etwa wenn ein Patient ihn zu sehen wünscht und dies über die Spitalseelsorge mitteilen lässt oder wenn Verwandte oder Bekannte des Patienten ihm davon berichten. Als Privatperson darf der Imam oder Rabbi Patienten besuchen – im Rahmen des Besuchsrechts. Doch er hat kein Recht, Patientenlisten in Spitälern einzusehen. «Offiziell damit beauftragte Imame sollten die Namen der Patienten ihrer Glaubensgemeinschaft nachfragen dürfen», findet hingegen Halit Duran, Präsident des Verbands Aargauer Muslime.

Spitalbesuche im Islam unüblich

Bekim Bajrami, seit 2009 als Imam im albanisch-islamischen Zentrum in Reinach AG tätig, ist noch nie angefragt worden, ob er einen Patienten seiner Gemeinschaft im Spital besuchen könnte. Spitalbesuche von Imamen seien in seiner Kultur nicht üblich, fügt er an. Um Kranke kümmerten sich Familie und Freunde. Im Gefängnis in Lenzburg war Bajrami auf Anfrage einmal.

Einer für alle

Die spitalinterne Seelsorge, von reformierten und katholischen Vertretern realisiert, ist vom neuen Gesetz nicht tangiert. Sie ist wie bisher über die Präsenz der Patienten informiert. Sie kümmert sich um die «psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse aller Spitalpatienten», wie Hans Niggeli, Leiter der Fachstelle Spital-, Klinik- und Heimseelsorge der römisch-katholischen Kirche im Aargau sagt. Im Aargau ist ein Seelsorger für eine Abteilung zuständig. «Ich gehe also zu allen Patienten, ob sie reformiert, katholisch, muslimisch oder anderen Glaubens sind», erklärt Niggeli. Er stellt sich jedem Patienten vor und offeriert ein Gespräch. Nichtkatholischen Patienten bietet er an, einen Vertreter seiner Religion oder Konfession zu organisieren. Vor allem freikirchliche Religionsvertreter vermittelt Niggeli so, aber auch Ortspfarrer oder orthodoxe Pfarrer. Das geschehe allerdings nicht täglich, oft seien auch nichtchristliche Patienten offen für ein Gespräch mit ihm. (rp)

 

 

 

 

 

Die Muslimin und Islamwissenschaftlerin Rifa`at Lenzin | © Josef Bossart
20. Januar 2015 | 11:09
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