Miloslav Volf, Professor für Systematische Theologie an der Yale-Universität USA
Schweiz

Scientology als Vollendung irdisch-christlicher Glückseligkeit? Yale-Professor steckt Grenzen ab

Zürich 2.7.15 (kath.ch) Religionen können sowohl wirtschaftlich wie politisch instrumentalisiert werden, sagt der US-amerikanische Professor für Systematische Theologie an der Yale-Universität, Miroslav Volf. Verliert eine Religion die nötige Distanz zu Politik oder Wirtschaft, wird sie sehr schnell durch die Macht vereinnahmt. Das gelte sowohl für christliche wie für muslimische Religionsausprägungen. Im Rahmen der Globalisierung seien die Religionen bestrebt, das Wohlgefühl des Menschen zu verbessern. Volf warnt aber vor «Wohlstands-Religionen», die Wohlstand nur noch als «Konsum» verstehen. – Volf war Hauptreferent an den 2. Studientagen zur theologischen und gesellschaftlichen Erneuerung an der Universität Freiburg i. Ü., die vom 10. bis 12. Juni stattfanden.

Georges Scherrer

Was ist die Aufgabe der Religionen?

Miroslav Volf: Im heutigen Globalisierungsprozess müssen die Religionen ihre hohen Ideale aufrecht erhalten und sich klar zu diesen bekennen. Sie müssen zudem die Aufmerksamkeit der Gesellschaft immer wieder auf diese Ideale hinlenken. Im Rahmen der brüderlichen Verantwortung müssen sie dafür eintreten, dass das Christentum und Gott zum Wohl der ganzen Menschheit beitragen. Für mich ist die Frage bedeutsam: Wie erreichen wir das Gefühl von Zufriedenheit, das im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Druck nicht nur der Erfüllung eigener Wünsche dient, sondern die Menschen auf dem ganzen Planeten einbindet?

Sie erklären, Religion sei unter wirtschaftlichen Aspekten bestrebt, dass Menschen Glück auf der materiellen Ebene finden. Dazu gehören Nahrung, Reichtum und als Zeichen des Wohlstands auch der Swimmingpool. Wenn ich diese Idee weiterführe, dann ist, überspitzt gesagt, die auf wirtschaftliche Maximierung ausgerichtete «Scientology church» jene «Kirche», die das Gedankengut des auf Geld basierten Glücks am weitesten vorangetrieben hat?

Volf: In den USA gibt es christliche Kreise, die das persönliche Wohl in den Vordergrund stellen und sich um den Wohlstand ihrer Mitglieder bemühen. Dabei sind etwa Gesundheit und eine gute Ernährung zentrale Anliegen. Die Globalisierung sollte auch in diese Richtung vorwärts gehen.

Eines meiner Argumente heisst: Die Religionen sind in einem weiten Sinn bemüht, den Wohlstand zu fördern. Am Kulturkreis und der Wirtschaft liegt es aber zu sagen, was gutes Leben ist. In diesem Bereich versagen aber die Religionen. Die Realität ist, dass sie zu Wohlstands-Religionen geworden sind und der Wirtschaft Steigbügelhilfe leisten. Sie dienen der Wirtschaft zu. Meiner Ansicht nach müssen die Religionen eine kritische Distanz zur Wirtschaft wahren. Sie müssen aber aus moralischer Sicht darauf hinwirken, dass der Mensch Glück und Zufriedenheit findet. Religionen dürfen nicht Jagd auf das machen, was Besitz heisst. Unter diesen Vorgaben können Religionen den Lebensgenuss im Alltag fördern, einen Genuss des Lebens, der bedeutender ist als einfacher Konsum.

Eine Analogie zur wirtschaftlichen Verflechtung sehen Sie im Zusammengehen von Religion und Politik. Besteht da auch die Gefahr der Instrumentalisierung?

Volf: Wenn sich Religionen mit politischen Mächten vereinen, ist diese Gefahr sehr gross. In der westlichen Welt ist sie aber geringer als in Entwicklungsländern.

Wie steht es mit islamischen Ländern?

Volf: Ich denke, das gilt sowohl für den Buddhismus in Sri Lanka oder Myanmar wie für den Isalm in vielen Ländern, und zwar dort, wo sich die Religion wirklich zu nahe an der Macht bewegt und mit politischer Macht ausrüstet. Auf diese Weise wird sie sowohl im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich zu einem Instrument der Machthabenden.

Eine Ihrer Thesen lautet: Wenn eine Religion zu stark mit der Politik paktiert, dann kann sie zur Legitimierung von Gewalt beitragen.

Volf: Wenn sich Religionen von sich aus sich mit politischen Regimen auf eine Linie setzen oder mit diesen enge Bande knüpfen, dann werden sie in Konflikte hineingezogen, für welche sie eigentlich nicht verantwortlich sind. Sie verlieren dann die Möglichkeit, etwa als Schlichter auftreten zu können. Sie werden zu Mitkämpfern. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass christliche Religionen sich politisch zwar engagieren sollen, gleichzeitig aber genau erkennen müssen, was das Wesen eines politischen oder wirtschaftlichen Systems ist. Eines ist sicher: Je mehr Religionen in der eigenen Glaubenstradition verwurzelt und unabhängig sind, desto positiver kann ihr Beitrag für die Gesellschaft sein. Anders gesagt: Je religiöser sie sind, desto weniger neigen sie zur Gewalt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Leute oft sagen: Je religiöser man ist, desto gewalttätiger wird man.

Viele Menschen in Europa betrachten die Terrormiliz «Islamischer Staat» als eine Form des Islams.

Volf: Viele muslimische Führer betonen immer wieder, dass der IS weder islamisch noch ein Staat ist. Sie nennen bezüglich der Aktionen, für die der IS steht, klare religiöse Vorbehalte. Wir müssen auf diese Stimmen hören und vermeiden, dass extreme Kräfte – auch in den Religionen – definieren, was Religion ist. Das gilt ebenfalls für säkulare Organisationen. Ein Beispiel: Überlasse ich es einer stalinistischen Bewegung zu definieren, was für mich Säkularismus heisst? So etwas tun wir nicht. Das gilt auch für den IS. Dieser bestimmt nicht, was Islam ist.

Welches sind heute die grössten Widerstände, die dazu führen, dass die Religionsgemeinschaften nicht kompromisslos offen miteinander wirken, sondern oft gegeneinander?

Volf: Die Religionen müssen sich von den politischen Systemen lösen und selber für eine umfassende Form des Lebens einstehen. Die Religionen müssen zudem akzeptieren, dass jeder einzelne Mensch in dieser universalen Form des Lebens seinen eigenen Weg wählen darf. Wenn die Religionen ihren Mitgliedern diese Möglichkeit zugestehen, dann leisten sie einen beachtlichen Beitrag, um die Konflikte untereinander zu verringern.

Die Schweizer Bischöfe halten sich weitgehend aus den politischen Diskussionen heraus und überlassen das Feld engagierten Laien. Ist das der Weg, den Personen in Leitungsfunktionen in der Kirche gehen sollen?

Volf: Jede Situation ist anders. Wenn die Kirche machtvoll ist und einem politischen System zudient, dann kann dies zu einer Entfremdung der Gläubigen führen. Ich bin der Meinung, dass jeder Christ und jede christliche Gemeinschaft politisch Verantwortung trägt. Ich bin dagegen, dass Religion als private Angelegenheit angesehen und das politische Feld säkularen Organisationen überlassen werden soll. Jeder ist gleichzeitig religiös und politisch und seine Stimme zählt in den politischen Debatten. (gs)

Miloslav Volf, Professor für Systematische Theologie an der Yale-Universität USA | © 2015 Georges Scherrer
2. Juli 2015 | 08:38
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Religion und Gewalt – Zitat aus dem Interview:

«Eines ist sicher: Je mehr Religionen in der eigenen Glaubenstradition verwurzelt und unabhängig sind, desto positiver kann ihr Beitrag für die Gesellschaft sein. Anders gesagt: Je religiöser sie sind, desto weniger neigen sie zur Gewalt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Leute oft sagen: Je religiöser man ist, desto gewalttätiger wird man.»