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Schweizer Politologen geben Referendum gegen PID-Gesetz Chancen, wenn...

Zürich, 15.6.15 (kath.ch) Der Schweizer Politologe Iwan Rickenbacher geht davon aus, dass das von der EVP am Abstimmungssonntag angekündigte Referendum ergriffen wird und Erfolgschancen hat. Der Politologe Claude Longchamp meinte gegenüber kath.ch, dass der Abstimmungskampf für das Referendum härter sein wird als jener für die Verfassungsänderung. Das Schweizer Stimmvolk hat diese am Sonntag, 14. Juni, mit 61,9 Prozent der Stimmen angenommen.

Georges Scherrer

Die EVP kündigt das Referendum an, Rickenbacher geht davon aus, dass Behindertenorganisationen sich diesem anschliessen werden. Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) erklärte am Montag gegenüber kath.ch, dass er das Referendum gegen das Fortpflanzungsmedizingesetz unterstütze. Der SKF sieht die im neuen Gesetz festgelegten Rahmenbedingungen für die Präimplantationsdiagnostik als zu durchlässig an. An seiner Delegiertenversammlung haben sich die Delegierten kürzlich zur Ausgestaltung der Rahmenbedingungen geäussert.

Diese Rahmenbedingungen sehen eine begrenzte Anzahl von Kompetenzzentren für PID in der Schweiz vor, «damit Frauen und Paare Zugang zu einer fundierten und möglichst neutralen Beratung erhalten», schreibt der SKF, der die Verfassungsänderung befürwortete. In diesen Zentren sollen interdisziplinäre Beratungsteams umfassend informieren. Frauen sollten nicht dem Druck ausgesetzt sein, ein gesundes Kind gebären zu müssen.

Chromosomen-Screenings sollen nicht für alle Frauen erlaubt sein, die eine In-vitro-Fertilisation durchführen, schreibt der Frauenbund. Auch hier sieht der SKF die Gefahr, dass Frauen unter erhöhtem Druck stehen, ein gesundes Kind zu gebären. Barrieren und Diskriminierung für behinderte Menschen sollen weiterhin abgebaut werden, fordert der SKF. Menschen mit einer Behinderung «sollen selbstbestimmt leben und selbstverständlich in die Gesellschaft integriert sein».

Rickenbacher: Kirche muss Entscheidungshilfe liefern

Aus der Sicht von Iwan Rickenbacher hat das Gesetzesreferendum bessere Argumente als das Nein zur Verfassungsänderung. Das neue Gesetz sehe vor, dass alle unfruchtbaren Paare, die eine künstliche Befruchtung durchführen, auch solche, die nicht Träger einer schweren Erbkrankheit sind, den Test durchführen lassen können. Bei der Gesetzesrevision gehe es nicht um ein Ja oder Nein zu medizinischem Fortschritt, sondern um die Ausgestaltung des Rechts und zur Frage, ob die Schweiz eine der offensten Gesetzesregelungen Europas erhalten soll.

Die Kirchen «können und sollen sich argumentativ einbringen», sagte Rickenbacher gegenüber kath.ch. Sie werden durchaus gehört, was nicht heisse, dass selbst Gläubige in ihrer persönlichen Entscheidung der Argumentation folgen. «In politischen Entscheiden nehmen die Bürgerinnen und Bürger für ihre Entscheidfindung keine absoluten Autoritäten an, weder den Bundesrat, noch die Parteien, noch einzelne Experten», gibt Rickenbacher zu bedenken. Darum dürften in der Argumentation «keine Verurteilungen der Menschen erfolgen, die eine andere Meinung als die der Kirchen verfolgen. Die Argumentation der Kirche muss als Entscheidungshilfe ankommen».

Longchamp: Beim Referendum braucht es einen Leader

Aus der Sicht des Schweizer Politologen Claude Longchamp, Leiter des Meinungsforschungsinstituts gfs.bern, ist das Potenzial an Nein-Stimmen gross genug, um ein Referendum zu lancieren. Es brauche aber eine Organisation, die sammelt. Vor allem «muss jemand den politischen Lead übernehmen», erklärte Longchamp und ergänzt: «In erster Linie sehe ich da die EVP. Denkbar sind aber auch betroffene Interessengruppen.»

Bei zwei Abstimmungen innert Jahresfrist baue die Meinungsbildung aufeinander auf. Damit das Referendum erfolgreicher wäre, bräuchte es entweder eine Ausweitung der Akteure, beispielsweise auf SVP, CVP, SP oder GPS. Die könnten sich ergeben, wenn einzelne Parteien Bedenken hätten, die sie im Gesetz nicht berücksichtigte sehen.

Missbrauch, unerwartete Folgen und mediale Zurückhaltung

Trotz des deutlichen Ja am Sonntag sieht Longchamp Chancen für das Referendum. Referendumsabstimmungen kennen «in aller Regel eine konkretere Diskussion als Grundsatzentscheidungen», erklärte er. Der hauptsächliche Einwand auf der Nein-Seite war seines Achtens der «mangelnde Schutz vor Missbräuchen». Es müsste also aufgezeigt werden, so Longchamp, «wo genau das Problem liegt und mit welchen unerwarteten Folgen zwingend zu rechnen ist». Wenn das nicht möglich sei, brauche es eine «neue, ganz anders ausgerichtete Zusatzargumentation».

Man dürfe aber nicht unterschätzen, dass sich das Thema nur beschränkt für den grossen medialen Diskurs eigne. Es neige dazu, zu komplex, zu vielschichtig zu werden. Das habe sich etwas darin gezeigt, dass zu Beginn die Gegner stark waren, der Schwung dann aber rasch verpuffte. Beim zweiten Anlauf werde das «nicht anders, eher noch schwieriger sein». Denn die Medien «waren schon diesmal nicht wirklich auf der Seite der Kritiker».

Die Kirche sollte sich möglichst wenig in die Politik einmischen, meint Longchamp. Wenn es nötig sei, sollte sie sich auf Grundsatzfragen beschränken. Für einen Referendumskampf brauche es schon sehr gute, zwingende Argumente. «In der eben entschiedenen Volksabstimmung wäre das eher sinnvoll gewesen», so Longchamp, der warnt: «Wenn die Kirchen politisch im Alltag werden, treten rasch Kritiker auf den Plan, die Mängel dieser Organisationen thematisieren.»

Putallaz: Kirche muss Wort ergreifen

François-Xavier Putallaz, Mitglied der nationalen Ethikkommission und der Bioethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), zeigte sich auf Anfrage nicht überrascht vom Ausgang der Abstimmung. Für ihn war es ganz einfach notwendig, dass sich die katholische Kirche im Vorfeld der Abstimmung äusserte. Den Bischöfen sei es nicht darum gegangen, sich gegen etwas zu äussen. Sie hätten sich vielmehr zugunsten der Schwächsten eingesetzt. In diesem Fall ging es um das werdende Leben und um behinderte Personen. Die Bischöfe wollten ein «Wort der Wahrheit und der Hoffnug geben. Und das wird in Erinnerung bleiben», so Putallaz. (gs)

Schwangerschaft | © Gisela Peter / pixelio.de
15. Juni 2015 | 17:44
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