Hofkirche Luzern (im Hintergrund)
Schweiz

Schrecklich ist vor allem die fast leere Kirche

Zürich, 27.7.16 (kath.ch) Terror und Mord aus scheinbar religiösem Eifer sind für westliche Menschen kaum nachvollziehbar. Das hat aber auch damit zu tun, dass es als Sonderfall gilt, einer friedfertigen Religion überhaupt anzugehören, schreibt der Jesuit Franz-Xaver Hiestand* in einem Gastkommentar.

Am Tag, nachdem der Daesh (IS) erstmals eine Kirche im Westen attackiert hat, einige unvollständige, bruchstückhafte Gedanken.

Das Schreckliche an der Geschichte aus der Normandie ist nicht nur das Köpfen eines gottesfürchtigen Mannes und das gleichzeitige Filmen des Mordes, sondern vor allem die fast leere Kirche während der Eucharistiefeier. Wir können es im laizistischen Frankreich besonders gut beobachten: Heute prallen Menschen auf Europa, die zum Teil bereit sind, für heroische Ideen zu sterben.

Dem kann der westliche Mensch kaum etwas entgegensetzen

Solcher Bereitschaft kann der säkularisierte, dauernervöse und von ökonomischen Fragen besessene westliche Mensch kaum etwas entgegensetzen. Er versteht nicht, dass es andere Konzepte und Formen von Religion gibt als diejenigen, die er zu kennen glaubt. Die Universitäten helfen ihm da selten, weil sie sich meist auf Wort-Bedeutungen und Theorien stützen, die sie aus der Begegnung mit griechisch oder europäisch geprägter Philosophie und dem Christentum gewonnen haben. Und zu wenige Leute können sich hierzulande noch auf die tiefer reichende, normative Kraft einer verbindlichen Religion stützen, um überzeugende Alternativen zu solcher Todesbereitschaft vorzuleben.

Das hängt in Frankreich wie anderswo im westlichen Europa vor allem mit den linken Eliten und ihrer Ignoranz und Angst, als uncool zu gelten, zusammen. Religiöse Hardcore-Themen haben sie jahrzehntelang verhöhnt, aus der Öffentlichkeit eliminiert und aus den staatlichen Lehrplänen ausgemerzt. Eine gleichermassen aufschlussreiche wie strunzdumme Variante solcher Ignoranz konnte kürzlich in Luzern besichtigt werden, wo die Stadtregierung alle christlichen Symbole aus einer Abdankungshalle entfernen wollte, sodass es sogar dem «Tages Anzeiger»-Berichterstatter zu bunt wurde.

Natürlich haben auch technokratische, vor allem am Effizienzdenken orientierte Liberale mitgeholfen, ein Klima zu schaffen, das explizit religiöse Kultur im öffentlichen Raum nicht mehr sehen will. Und natürlich haben auch christliche Autoritäten zu diesen Entwicklungen beigetragen, weil sie sich selbst diskreditiert haben.

Vitale Barbaren treffen auf leere Kirchen

Nun also treffen neue, vitale Barbaren, die sich an einem sehr männlichen Gott orientieren der blutige Opfer liebt, auf leere Kirchen. Und sie treffen auf eine Gesellschaft, in welcher ebenso kurzsichtige wie müde Linksliberale den Ton angeben. Eine Gesellschaft wie, anders gesagt, Nietzsches «letzte Menschen». Diesen Leuten, die Nietzsche so verachtete, ist es zu aufwändig, über sich hinauszuwachsen oder etwas zu wagen. Ein «Lüstchen für den Tag» und ein «Lüstchen für die Nacht» genügen ihnen.

Es liegt nahe, dass in dieser Gesellschaft der liebende, wehrlose Gott und seine Anhängerinnen und Anhänger, welche diese Gesellschaft einmal aufgebaut hatten, bestenfalls als Sonderlinge gelten.

Was ist zu tun? – Als Citoyen, als Bürger, dem Verantwortung für das Gemeinwesen anvertraut ist, muss ich Vorkehrungen treffen, um Menschen vor Gewalt zu schützen. Wolfgang Huber, der ehemalige Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat in einem lesenswerten Aufsatz gezeigt, wie dies konkreter geschehen kann.

Als Christ, der in der Tradition jesuanischer Gewaltfreiheit steht, habe ich gleichzeitig die Aufgabe, den Ort, den ich mitpräge, so zu gestalten, dass Einzelne und Gruppen diese Tradition kennenlernen und einüben können. Und diese Menschen sollen sich aus dieser Tradition heraus gewaltlos und integer engagieren gegen die neuen Formen des Grauens und der Barbarei.

Gott spricht die Gewalt nicht heilig

Sicher, es wird länger dauern, bis dieses Engagement wieder bezeugt, dass sich Gott von der Krippe an bis zum Kreuz wehrlos zeigt. Es wird länger dauern, bis dieses Engagement wieder bezeugt, dass der Gott Jesu, der Gott Esther Johns, der Gott Dietrich Bonhoeffers und vieler Namenlosen sich karikieren lässt, ohne aufzuhören zu lieben. Es wird länger dauern, bis viele erfassen: Gott spricht die Gewalt nicht heilig und geht an der Seite der Opfer.

Wer sich so engagiert, wird untergehen. Vielleicht wie der alte Mann gestern in der Nähe von Rouen. Doch in diesen Untergängen, diesen sokratischen Momenten werden die Keime der nächsten, diesmal dann planetarischen Aufklärung aufleuchten.

*Franz-Xaver Hiestand SJ ist Jesuit und leitet das aki, die katholische Hochschulgemeinde in Zürich

Hofkirche Luzern (im Hintergrund) | © 2015 Sylvia Stam
27. Juli 2016 | 16:41
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