Muslime beim Freitagsgebet in einer Moschee in Kreuzlingen TG
Schweiz

Idee einer islamischen Landeskirche bewegt die Schweiz

Ergänzte Fassung des Artikels vom 13. Januar – neu mit Reaktionen auf Internet-Portalen – Diskutieren Sie mit auf der Facebook-Seite von kath.ch

Zürich, 14.1.15 (kath.ch) Nach den islamistischen Anschlägen von Paris fordern Schweizer Muslime als Gegenmassnahme die öffentlich-rechtliche Anerkennung muslimischer Gemeinschaften in der Schweiz. Vertreter der Landeskirchen reagieren gegenüber kath.ch reserviert. Fakt ist: die Idee einer islamischen Landeskirche bewegt die Schweiz: Auf dem Portal von 20 Minuten online wurde ein Artikel darüber 900’000 Mal angeklickt und eine Mehrheit forderte in einer nicht repräsentativen Kurzumfrage die offizielle Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft.

Barbara Ludwig

Für Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (Kios), ist es höchste Zeit für die öffentlich-rechtliche Anerkennung des Islams, wie die Aargauer Zeitung (13. Januar) und 20 Minuten (12. und 14. Januar) berichten. Dies als Massnahme der Integration gegen Radikalisierungstendenzen. Zudem fordert Afshar in der Schweiz ausgebildete Imame für die Schweizer Moscheen. Und muslimische Seelsorger in den Schweizer Gefängnissen.

Quirin Weber, Dozent für Religionsverfassungsrecht an der Universität Luzern, unterstützt die Forderung Afshars. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung muslimischer Gemeinschaften sei sinnvoll, «weil die Öffentlichkeit von Religionen offene, demokratische Gemeinschaften schützt», sagte der Experte gegenüber kath.ch. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung erhalte die Forderung der Muslime nun grössere Dringlichkeit. Weber ist Mitautor einer Studie, die die öffentlich-rechtliche Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften bejaht. Er gibt aber zu bedenken, dass die Anerkennungsfrage sich in den Kantonen entscheidet. Dieser Prozess sei rechtlicher und politischer Natur. «Am Ende entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des jeweiligen Kantons.»

Anerkennung hat politisch kaum Chancen

René Pahud de Mortanges, Direktor des Instituts für Religionsrecht an der Universität Freiburg (Schweiz), geht davon aus, dass die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Anerkennungsprozess derzeit eher nicht erfüllt sind. Damit eine Anerkennung der Muslime in einem Kanton politisch Chancen hätte, müssten diese «von der breiteren Öffentlichkeit als gesellschaftlich integriert wahrgenommen werden», so Pahud de Mortanges. «Die öffentlich-rechtliche oder öffentliche Anerkennung ist ja ein politischer Ausdruck davon, dass Mitglieder einer Religionsgemeinschaft als Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen werden.»

Die Gründung des islamfeindlichen Vereins Pegida Schweiz am Freitag, 9. Januar, zeige eher, dass dies im Moment nicht der Fall sei. «Mit der Vereinsgründung wird offenbar ein Unbehagen gegenüber Muslimen in der Schweiz artikuliert und ein erhöhter Bedarf nach Klärung des Status der Muslime in diesem Land indiziert.» Politik und Wissenschaft seien nun gefordert, so Pahud de Mortanges.

Für Kirchenbund ist Anerkennung «nicht dringlich»

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) ist nicht der Ansicht, die Anerkennung der Muslime sei wegen der aktuellen Entwicklung dringlicher. In der Schweiz seien die allermeisten Muslime gut integriert, teilte die Beauftragte für Kommunikation des SEK, Anne Durrer, auf Anfrage mit. «Aus unserer Sicht ist die Frage der Integration die wichtigste.» Der Kirchenbund glaubt auch nicht, dass eine Anerkennung muslimischer Gemeinschaften der Pegida-Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Die Juden seien in vielen Kantonen öffentlich-rechtlich anerkannt. «Es gibt trotzdem antisemitische Äusserungen.» Der SEK lege «als Kirche» den Fokus auf den interreligiösen Dialog. «Die Frage der Anerkennung müssen die staatlichen Behörden und die religiösen Gemeinschaften klären.»

Zurückhaltend nahm Charles Morerod, Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, gegenüber kath.ch Stellung: «Die Frage der Anerkennung des Islam müsste vertieft angegangen werden, eine rasche Antwort ist nicht möglich.» Die Arbeitsgruppe Islam der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) werde sich «baldmöglichst» mit der besorgniserregenden aktuellen Lage vertieft auseinandersetzen und sich dann auch dazu äussern, versprach der Westschweizer Bischof. Morerod ist innerhalb der SBK zuständig für den Dialog mit dem Islam.

Zentrum für Islam notwendig

Weber und Pahud de Mortanges sind angesichts islamfeindlicher Strömungen in der Bevölkerung und der Gefahr des Islamismus überzeugt, dass das an der Universität Freiburg (Schweiz) geplante «Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft» jetzt erst recht notwendig sei. «Imame haben ihren islamischen Glauben im gesellschaftlichen Kontext zu interpretieren.» Nur so könnten antiaufklärerische Tendenzen, Fundamentalismen und Totalitarismen verhindert werden, sagte Weber gegenüber kath.ch.

Mit seinem Weiterbildungsangebot wolle das Zentrum eine Unterstützung zur Integration der Muslime in die schweizerische Gesellschaft liefern, sagte Pahud de Mortanges gegenüber kath.ch. «Und mit der Vermittlung von Kenntnissen über den Islam und die Muslime möchte es andererseits auch einer breiteren Öffentlichkeit ermöglichen, Ängste gegenüber dem Islam abzubauen.» In diesem Sinne könnte das Zentrum auch einen Beitrag gegen islamfeindliche Stimmungen leisten, ist der Direktor des Instituts für Religionsrecht überzeugt. Der Forscher beteiligt seit 2014 an den Planungsarbeiten für das künftige Zentrum. (kath.ch)

Muslime beim Freitagsgebet in einer Moschee in Kreuzlingen TG | © Barbara Ludwig
14. Januar 2015 | 16:35
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