Ylfete Fanaj
Schweiz

Integrationsbeauftragte: Frage der Religion der Migranten wird zu hoch gewichtet!

Luzern/Stans 25.1.15 (kath.ch) Das diesjährige Caritas-Forum am 30. Januar im Kultur-Casino Bern greift das heisse Thema Zuwanderung auf. Mit dabei auf dem Podium ist Ylfete Fanaj. Die Integrationsbeauftragte des Kantons Nidwalden spricht über «Migrationshintergrund als Zukunftschance». Selber musste sie – trotz guten Noten – allein wegen ihrem Namen lange eine Lehrstelle suchen. Fanaj wurde 1982 im Kosovo geboren. Ihre Vater kam als Saisonnier in die Schweiz, Ylfete Fanaj kam mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Geschwistern 1990 in die Schweiz. Für die SP-Kantonsrätin  nimmt die Religionszugehörigkeit der Zuwanderer in der atukellen Debatte nach Paris einen viel zu hohen Stellenwert. Sie selber sagt auf die Frage nach ihrer Herkunft: «Ich bin aus Luzern!»

Georges Scherrer

Wohin muss man sich heute begeben, um sich ein Bild von der aktuellen, realen Schweiz zu machen?

Ylfete Fanaj: In der Migros, im Coop – da trifft sich die ganze Welt.

Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle bei der Wahrnehmung der Migration, quasi einen «Zuwanderungs-Graben» in der Schweiz?

Fanaj: Den gibt es in der politischen Auseinandersetzung und bei politischen Initiativen. Als Integrationsbeauftragte eines ländlich geprägten Kantons spüre ich im Alltag dieses Gefälle in der Bevölkerung nicht. Die Menschen gehen pragmatisch mit den sich stellenden Fragen bezüglich Migration um.

Sie treten als Referentin am Caritas-Forum «Zuwanderung» auf. Das Hilfswerk hat Sie vermutlich nicht nur wegen ihrer Funktion als Integrationsbeauftragte im Kanton Nidwaldens eingeladen, sondern auch aufgrund ihres Namens. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem gemacht?

Fanaj: Ich glaube nicht, dass ich aufgrund des Namens eingeladen wurde, sondern aufgrund meiner langjährigen Tätigkeiten auch ausserhalb meiner Funktion als Integrationsbeauftragte: so meine politische und ehrenamtliche Arbeiten in Luzern rund um das Thema des Zusammenlebens.

Zu Ihrer Frage mit dem Namen: nur bei der Lehrstellensuche in der Sekundarschule war dies ein Nachteil – trotz sehr guten Noten – und dies war der Grund, warum ich das 10. Schuljahr absolvieren musste. Im letzten Moment habe ich eine Lehrstelle als Kauffrau gefunden und absolviert. Seither habe ich aber keine negativen Erfahrungen gemacht. Ich werde allerdings oft gefragt, woher ich denn käme und antworte jeweils: aus Luzern.

Brown, Bovery, Hayek, Wander, Maggy, Nestlé, Suchard, Blocher, Noah, Wawrink, Embolo – Das sind die Namen einiger «Zuwanderer», welche wichtige Impulse in der Schweiz liefern. Warum haben diese Vorbilder kaum Durchschlagskraft in der Diskussion über die «Zuwanderung»?

Fanaj: Sobald Zuwanderer einen positiven Beitrag für die Gesellschaft oder Wirtschaft leisten, spielt die Herkunft keine Rolle. Sie werden erst zu Zuwanderer, wenn sie negativ auffallen. Als Beispiel ist der Fussballer Shaqiri zu erwähnen: in den Medien wird er gerne als Schweizer bezeichnet, auch wenn die Medien es auch nicht verheimlichen dass er aus dem Kosovo kommt. Fällt jemand negativ auf, so betont man ausdrücklich, dass die Person – auch mit Schweizer Pass – einen Migrationshintergrund aus einem bestimmten Land mitbringt.

Wird heute in der Diskussion über die «Zuwanderung» die Religionszugehörigkeit zu hoch eingeschätzt, beziehungsweise: Welche Elemente prägen das Bild, dass sich die Einheimischen von «Zuwanderern» machen?

Fanaj: Die Zuwanderungspolitik ist noch einzig Thema im Zusammenhang mit der Masseneinwanderungsinitiative im Bereich der Arbeitskräfte. Ansonsten sind die Einheimischen stark mit den Bereichen Asylsuchende und Flüchtlinge konfrontiert, so dass generell «Zuwanderer» welche über einen aufenthaltsrechtlichen Status verfügen, im Hintergrund geraten sind.

Mir fällt auf, dass einzig die Religionszugehörigkeit im Zusammenhang mit dem Islam stark an Interesse seitens der Medien zugenommen hat. Dies hat sicher mit der Berichterstattung zum IS aber auch mit den Anschlägen in Paris zu tun. Ich finde es gefährlich, wenn die Muslime in der Schweiz mit den Ereignissen in Syrien oder sonstwo auf der Welt in Zusammenhang gebracht werden und die Religionszugehörigkeit so hoch gewichtet wird.

Es gibt «Zuwanderer», die auch in ihrem Leben in der Schweiz Traditionen weiter führen, die sie aus ihrer Heimat kennen – wie etwa Kulturanlässe, Tanzgruppen, Kopftuch. Wie schätzen Sie diese Haltung ein und was trägt diese zum Zusammenleben in der Schweiz bei?

Fanaj: Ich finde das Beispiel des Kopftuches falsch! Denn ein Kopftuch aus Tradition tragen nur noch ältere Frauen. Ich finde es wichtig, dass Traditionen und Werte gepflegt werden, die Kraft, Freude und Zusammenhalt geben. Traditionen dürfen und können sich auch weiterentwickeln und dürfen die Mitglieder nicht einengen. Wollen diese unter sich bleiben, dann finde ich das auch nicht problematisch, gibt es doch auch Schweizer Vereine die sehr homogen zusammen gesetzt sind. Für das Zusammenleben finde ich es wichtig, dass es Orte gibt, wo verschiedenste Personen zusammen kommen, so ein Gemeinschaftsraum oder ganz einfach: wenn die Nachbarschaft stärker gepflegt wird. (gs)

http://www.ylfetefanaj.ch

 

Ylfete Fanaj | © 2015 Priska Kletterer, Luzern
26. Januar 2015 | 08:25
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Caritasforum 30. Januar 2015 zum Thema Zuwanderung

Das Caritas-Forum, die sozialpolitische Tagung der Caritas Schweiz, findet jährlich im Januar statt und widmet sich einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema. Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik und dem Sozialbereich diskutieren in Referaten und in Podiumsgesprächen Strategien und Lösungsansätze für eine sozial gerechte Politik.

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