Erzbischof Oscar Romero, 1980 während eines Gottesdienstes ermordet
Schweiz

«In El Salvador ist Romero längst heilig!»

Luzern, 10.1.15 (kath.ch) Diese Woche hat der Vatikan das Martyrium des salvadorianischen Bischofs Oscar Romero anerkannt, der 1980 ermordet wurde. Im Interview mit kath.ch erklärt Josef Estermann, Bildungsleiter des Romerohauses in Luzern, was diese Anerkennung bedeutet und warum sie so spät kommt.

Sylvia Stam

Diese Woche wurde Oscar Romero vom Vatikan als Märtyrer anerkannt. Was bedeutet das?

Estermann: Es ist ein weiterer Schritt im Selig- und Heiligsprechungsprozess. Ein Märtyrer ist jemand, der sein Leben aufgrund seines Glaubens verliert. Es ist jedoch nicht so, dass Romeros katholischer Glaube Stein des Anstosses war, sondern seine Interpretation des Glaubens in einem konfliktbeladenen Umfeld hat Gegner auf den Plan gerufen. Ich würde daher eher sagen: Er wurde getötet aufgrund der Konsequenzen, die er aus seinem Glauben gezogen hat, nämlich für soziale Gerechtigkeit, Befreiung und gerechte Verhältnisse für den Grossteil der salvadorianischen Bevölkerung einzustehen. Wer sich als Christ bezeichnet, sagte Romero, kommt nicht darum herum, soziale Missstände und Menschenrechtsverletzungen, die damals von der Oligarchie und der Militärjunta verübt wurden, anzuprangern. Das hat Gegner auf den Plan gerufen, die in diesem Fall aus dem rechtskonservativen Lager kamen, politisch und kirchlich.

Das Seligsprechungsverfahren geriet einige Jahre ins Hintertreffen. Kritiker vermuten dahinter vatikanische Vorbehalte gegen die Befreiungstheologie. Teilen Sie diese Vermutung?

Estermann: Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Verfahren unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. bewusst unter Verschluss gehalten wurde. Die Befreiungstheologie stand in den 80er Jahren unter Generalverdacht, marxistisch und rein sozialpolitisch zu sein. Oscar Romero war die Rückendeckung aus Rom jedoch wichtig, er sagte selbst, er müsse in Rom unbedingt erklären, wie die Situation in El Salvador aussehe. In einer Generalaudienz sagte Johannes Paul II. jedoch zu ihm: ‹Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!› Romero kam sich daraufhin sehr verloren vor. Er ist ganz enttäuscht wieder abgereist, weil er die Unterstützung nicht bekommen hat. Der polnische Papst hatte natürlich eine ganz andere Erfahrung von Kommunismus.

Was bedeutet Befreiungstheologie im Kern?

Estermann: Sie ist der Versuch, den christlichen Glauben unter der Perspektive einer ganzheitlichen Befreiung des Menschen und der Schöpfung zu sehen. Nicht im Sinne einer Jenseitserwartung des ewigen Lebens, sondern eines Engagements für gerechtere Verhältnisse in dieser Welt. Das bedeutet auch eine politisch-soziale Dimension des Glaubens: Er kann nicht einfach individualistisch verstanden werden, sondern stark sozial und kollektiv. Im Gegensatz zu einer säkularen Befreiungsbewegung, wie etwa jene der Guerilla, ist die Motivation eine religiöse. Es ist eine Theologie, die von der Basis kommt, eine Glaubenspraxis, die mit einer sozialpolitischen Praxis verwoben ist.

War Oscar Romero Befreiungstheologe?

Estermann: Ja und nein. Er hat sich selber nie ausdrücklich als solchen bezeichnet. Dennoch war er sicher Befreiungstheologe. Das ist jedoch keine ideologische Bezeichnung, sondern meint eine Praxis aus dem Glauben. In der Praxis zeigt sich, ob jemand Befreiungstheologe ist oder eher individualistisch oder jenseitsorientiert. Romero war auch eher Pastor als Theologe im klassischen Sinn. Er war sehr umgänglich mit den Menschen, hat Predigten und Hirtenbriefe verfasst, keine theologischen Schriften.

Ist der argentinische Papst Franziskus Ihrer Meinung nach Befreiungstheologe?

Estermann: Im gleichen Sinn wie Romero: In der Praxis und in seinen Ansprachen schon, auch wenn er sich nicht so nennt.

Glauben Sie, dass Romero heiliggesprochen wird?

Estermann: Ich denke, unter Papst Franziskus hat er grosse Chancen, heiliggesprochen zu werden. Auch von Seiten der Glaubenskongregation gibt es keine entscheidenden Einwände. Für die Salvadorianerinnen und Salvadorianer ist er allerdings längst heilig. Er ist sehr präsent, wie übrigens auch Che Guevara, mit dem er oft zusammen genannt wird. Romero wird als eines der Vorbilder der lateinamerikanischen Kirche genannt. Er war schon zu Lebzeiten über El Salvador hinaus bekannt.

Was würde seine Heiligsprechung für das Romerohaus in Luzern bedeuten?

Estermann: Das Romerohaus in Luzern ist nicht direkt eine kirchliche Institution. Es gehört der Bethlehem Mission Immensee, einer NGO, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist. Für das Romerohaus wäre das ein Imagegewinn und eine Bestätigung der bisherigen Linie. Denn wir setzen uns wie Romero ein für mehr Gerechtigkeit weltweit, für den Einschluss von Menschen, die ausgeschlossen sind, und für eine ganzheitliche Befreiung des Menschen, die aus dem christlichen Glauben inspiriert ist.

 

Josef Estermann ist Bildungsleiter des Romerohauses in Luzern und Lehrbeauftragter für Befreiungstheologie an der Universität Luzern. Das Romerohaus gehört der Bethlehem Mission Immensee, einer NGO, die in der personellen Entwicklungszusammenarbeit tätig ist.

 

Separat:

Oscar Arnulfo Romero (1917-1980) trat für soziale Gerechtigkeit und politische Reformen in seinem Land ein. Er wurde am 24. März 1980, am Altar stehend und die Messe zelebrierend, von einer Kugel getroffen, die ein Auftragsmörder durch die offene Tür der Krankenhauskapelle auf Romero schoss. Der Mörder Romeros war vom Staat beauftragt, der Mord war der Auftakt zum Bürgerkrieg in El Salvador, der in zwölf Jahren mehr als 75.000 Menschenleben forderte. (sys)

Erzbischof Oscar Romero, 1980 während eines Gottesdienstes ermordet | © KNA
10. Januar 2015 | 16:40
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Josef Estermann | © Marcel Kaufmann Josef Estermann | © Marcel Kaufmann