Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler
Schweiz

Grosse Islam-Serie (IV): Professor Schulze, ruft der Koran zu Gewalt auf?

Bern, 5.2.15 (kath.ch) In unserer Serie vom Montag, 2. Februar, bis Samstag, 7. Februar, antwortet Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler an der Universität Bern, täglich auf drängende Fragen zum grossen Buch der Muslime. Heute: Gewalt im Koran.

Sylvia Stam

Ruft der Koran zu Gewalt auf?

Wenn man unter Aufruf zu Gewalt einen expliziten Befehl Gottes zu töten versteht, dann finden sich im Koran an insgesamt vier Stellen Formulierungen, die ein solches Tötungsgebot enthalten. Diese vier Stellen bestimmen, dass unter genau definierten Bedingungen Menschen, die Muslime an der Ausübung ihres Kults gewaltsam hindern oder die selbst den islamischen Kult dadurch bedrohen, dass sie neben Gott einen anderen verehren, getötet werden sollen, sofern diese nicht von ihrem Tun Abstand nehmen. Die Koranausleger haben diese Stellen meist auf die konkrete Situation in Medina bezogen. Sie waren sich dabei uneinig, ob es sich um eine einmalige Bestimmung handele oder ob dieses Gebot allgemein zu gelten habe.

Ist ein anderer Glaube denn kein Verrat am Kult?

Der Koran sieht nur denjenigen als Gegner an, der den Kult des einen Gottes gefährdet. Dies kann zum Beispiel dadurch gegeben sein, dass er Muslime an der Ausübung ihres Kults gewaltsam hindert. Wenn er hingegen einen anderen Kult an einem anderen Ort praktiziert, dann verlangt der Koran, dass dies zu dulden sei. Diese Duldung endet dort, wo in den islamischen Kult eingegriffen oder die muslimische Gemeinschaft daran gehindert wird, ihren Kult zu tätigen. Die vier Verse, in denen ein solches Tötungsgebot formuliert wird, stellen so die Duldung anderer Kulte nicht in Frage.

Christen glauben an einen dreifaltigen Gott. Gefährden sie damit nicht den Kult des einzigen Gottes?

Da es nach dem Koran allein Gott ist, der am jüngsten Tag über die Gottestreue der Menschen richten wird, stellt die Tatsache, dass jemand Jude oder Christ ist, an sich keine Gefährdung des islamischen Kults dar. Aus koranischer Sicht können auch Juden und Christen gottestreu sein. Nur wenn diese tatsächlich die Muslime an der Ausübung ihres Kults hindern, gelten sie als Gegner. Die von den Christen behauptete Trinität ist somit zwar koranisch falsch, aber stellt keinen Sachverhalt dar, den der Koran als Gefährdung bezeichnen würde.

Kommen andere Arten von Gewalt vor im Koran?

Neben diesen vier Stellen, wo ein explizites Tötungsgebot formuliert wird, gibt es Stellen, wo eine Kampfsituation beschrieben wird. Hier werden meist Umstände beschrieben, die von der Tatsache ausgehen, dass Muslime in Medina in den Kampf zogen. Das gilt vor allem für die späteren medinensischen Suren, als sich allmählich eine muslimische Gemeinschaft herausbildete. Wenn in den früheren Suren von Kämpfen gesprochen wird, dann handelt es sich meistens um Verweise auf die biblische Geschichte, wo beispielsweise ein Prophet mit dem Tode bedroht worden ist oder wo erzählt wird, dass Menschen untereinander kämpften. Hier handelt es sich um Elemente mythischen Erzählens, die auch und gerade im Alten Testament vorkommen.

Steht im Koran, dass man für den Glauben kämpfen soll?

Der Koran kennt zwei unterschiedliche Offenbarungsorte und Offenbarungszeiten: Mekka, 610–622, und nach der Auswanderung des Propheten und seiner Gemeinde Medina, 622–632. Für die Gemeinde in Medina war von entscheidender Bedeutung, die Hoheit über das heilige Haus Gottes, die Ka’ba in Mekka, zu gewinnen. Das Bemühen um die Rückgewinnung der Ka’ba wurde als Jihad, also als «Streiten» verstanden. Diejenigen, die für die Rückgewinnung kämpften, galten als Streiter auf dem Wege Gottes.

Aber dieses Heiligtum haben die Muslime doch inzwischen zurückgewonnen?

Mit der friedlichen Besetzung Mekkas 630 durch die muslimische Gemeinschaft aus Medina war damit der Zweck des «Streitens» erfüllt. Zwar blieb die rhetorische Figur des Streitens für Gott bestehen, doch bildete sie fortan eher den Teil einer islamischen Erinnerungsgeschichte. Später werden muslimische Juristen aus dem Tatbestand des Streitens auf dem Wege Gottes eine Rechtsnorm abzuleiten, nach der bestimmt werden könne, wann ein solches Streiten noch möglich sei. Aber erst sehr viel später werden bestimmte islamische Gruppierungen von dem Begriff Jihad so Gebrauch machen, dass er ihren Kampf islamisch rechtfertigt. (sys)

Vorschau:
Freitag, 6. Februar: Steht im Koran, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen?

Bisher erschienen:

Montag, 2. Februar: Der Koran und der Weltuntergang.
Dienstag, 3. Februar: Der Prophet Mohammed
Mittwoch, 4. Februar: Jesus und Maria im Koran.

Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler | © Screenshot SRF
5. Februar 2015 | 10:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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