Markus Thürig, Generalvikar des Bistums Basel
Schweiz

Generalvikar Thürig zum Miteinander von Bistum und Kantonalkirchen: «Manchmal braucht es Zeit»

Solothurn, 28.7.15 (kath.ch) «Es führt weiter, wenn jemand lernt, in den Schuhen des Anderen zu gehen, statt sich auf dessen Thron setzen zu wollen», sagt der Generalvikar im Bistum Basel, Markus Thürig, am Dienstag, 28. Juli, im Interview mit kath.ch. Gegenseitiger Respekt und Wahrung der Zuständigkeiten sind das Rezept für das gute Zusammenleben von Bistumsleitung und Laiengremien in den Kantonen. Anstehende Knacknüsse im Bistum sind die «mentale Herausforderung» wegen Veränderungen, kirchliche Immobilien, die Personalsituation und die tridentinische Messe.

Georges Scherrer

Die Schweizer Medien verbreiten immer wieder negative Schlagzeilen über das Bistum Chur  – aber nicht über das Bistum Basel. Worauf führen Sie das zurück?

Markus Thürig: Im Bistum besteht ein breites Einvernehmen, dass wir Glieder einer Kirche sind, eben Katholiken. In dieser einen Kirche haben verschiedene Personen verschiedene Zuständigkeiten. Strukturell bedeutsam ist die Unterscheidung der Zuständigkeiten des Bischofs einerseits und der staatskirchenrechtlichen Körperschaften andererseits. Das ist die Basis unserer Zusammenarbeit. Hinzu kommt, dass ein breites Vertrauen in die je andere Seite besteht, das möchten viele erhalten. Wenn die verschiedenen Zuständigkeiten respektiert werden und darauf vertraut wird, dass die Arbeit gut gemacht wird, gelingt ein fruchtbares Miteinander. Verschiedene Gesprächsgefässe, in welchen die Zusammenarbeit überprüft und vertieft werden kann, unterstützen dies.

Die staatskirchenrechtlichen Körperschaften orientieren sich am Staat und sind demokratisch aufgebaut. Die Kirche ist eine sakramentale Wirklichkeit und hierarchisch geordnet. Weil die beiden Rechtssysteme «strukturell letztlich nicht kompatibel sind, müssen im Konfliktfall Lösungen im Gespräch erarbeitet werden, denen beide Seiten zustimmen können».– So steht es im Pastoralen Entwicklungsplan des Bistums Basel (PEP). Die Basis dafür ist das «partnerschaftliche Miteinander». Genügt dies zur Lösung von Konflikten?

Thürig: Im Anschluss an Ihr PEP-Zitat heisst es: «Die staatskirchenrechtlichen Körperschaften stehen im Dienst der Kirche. Sie schaffen Voraussetzungen zur Entfaltung kirchlichen Lebens. Durch die Finanzierung von Personal, durch die Sorge für Liegenschaften und Einrichtungen und durch Adminis­tration der Finanzen fördern und unterstützen sie die pastorale Arbeit. Gläubige, die sich in diesen Institutionen engagieren, leisten einen wichtigen Beitrag zum Leben der Kirche.» In der gegenseitigen Anerkennung gründet ein partnerschaftliches Miteinander, das auch Konflikte lösen kann. Bischof und Kirchenräte setzen sich für die Glaubensgemeinschaft ein und ermöglichen Seelsorge. Es gibt in diesem Miteinander keine Aussenstehenden, die dreinreden.

Zu Schlagzeilen führte der Fall Röschenz. Welche Lehren zog die Kirche aus dieser Auseinandersetzung?

Thürig: Zwei Punkte können im Rückblick festgehalten werden. Die Missio canonica (die Beauftragung für den Dienst in der Seelsorge, die Red.) wird in ihrer Bedeutung vom staatlichen Recht anerkannt, zum Beispiel als Bedingung für eine Anstellung im kirchlichen Dienst. Wenn es aufgrund des Entzugs einer Missio canonica zu einer Auflösung eines Arbeitsverhältnisses kommt, dann müssen die formal-rechtlichen Abläufe auch staatlichem Recht genügen. Im konkreten Fall von Röschenz monierte das Gericht, dass das rechtliche Gehör nicht gewährt worden war.

Der auch in den Medien breit ausgetragene Streit wurde beigelegt: Steht dieses Zeichen für die Kompromissbereitschaft innerhalb des Bistums?

Thürig: Es gehört zur Grundhaltung von Christen, dass sie sich immer wieder darum bemühen, der Versöhnung und dem Frieden Raum zu geben. Manchmal braucht es Zeit.

Im Bistum Chur liegen sich der städtische Kanton Zürich und die Bistumsleitung in Chur in den Haaren. Gibt es auch Konfliktpotential im Bistum Basel?

Thürig: Die Errichtung der Pastoralräume. Der Bischof verantwortet diese; er kann sie aber nur fruchtbringend errichten, wenn er dafür seine Seelsorger und Seelsorgerinnen und die Kirchgemeinden mit ihren Gremien gewinnt.

In den lokalen Kirchenräten wechseln die Mitglieder regelmässig. Sie in ihre Aufgaben und Zuständigkeiten einzuführen, ist ebenfalls eine Herausforderung. Die kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften nehmen heute diese Herausforderung gemeinsam mit den regionalen Bischofsvikariaten seriös wahr. Dafür ist der Bischof sehr dankbar; denn auf diese Weise können falsche Erwartungen und Vorstellungen korrigiert werden. Für uns im Bistum Basel ist die Vielfalt der zehn Bistumskantone Chance und Herausforderung zugleich. Verschiedene Kulturen und Mentalitäten, unterschiedliche Traditionen und andere Rechtsgrundlagen sind zu beachten. Der Bischof und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen sich diesbezüglich immer wieder neu informieren und orientieren.

Das Bistum Basel ist seit dem Juli 2004 in drei Bistumsregionen aufgeteilt. Erleichtert dies die Arbeit der Leitung des Bistums?

Thürig: Die bisherigen Evaluationen bestätigen ein Ja. Den Leitungen unserer Bistumsregionen gehören jeweils ein Bischofsvikar und zwei Regionalverantwortliche an. Diese sind in den Regionen gut verwurzelt. Der Informationsfluss zwischen dem Bischof und den Regionen kann so in beide Richtungen gut fliessen.

Werden durch die Organisation in Bistumsregionen die grossen Distanzen im Bistum, etwa vom Bodensee bis Solothurn, verkürzt?

Thürig: Die Distanzen sind heute nicht mehr das Problem, schon gar nicht in der Kommunikation. Heute ist man von Solothurn in zwei Stunden im Thurgau. Wichtig ist, dass man sich trifft, miteinander spricht, einander im Anliegen verstehen will. Das trägt dazu bei, die Situation in den verschiedenen Bistumsregionen besser zu verstehen. Der Bischof und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind darum sehr viel unterwegs.

Abgesehen vom Bischofsjass mit den Behörden in Solothurn: Welche Foren kennt das Bistum, um mit den Gläubigen im Gespräch zu sein?

Thürig: Im Vordergrund stehen die vielen Begegnungen vor Ort, sei es mit Kirchenvorsteherschaften, Seelsorgern, Seelsorgerinnen oder Arbeitsgruppen, sei es im Rahmen von Feiern wie der jährlich stattfindende Dankesgottesdienst für Paare, welche die goldene Hochzeit feiern.

An formalen Gefässen möchte ich erwähnen: Für die Begegnung mit Seelsorgern und Seelsorgerinnen den Priesterrat und den Rat der Diakone und Laientheologen, die Konferenz der Leitungen der Dekanate, die Gespräche «PEP im Dialog»; für die Begegnung mit den Exekutiven der kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften die Finanzkommission des Bistums Basel und das «Gesprächsforum», an dem neben dem Bischof und seinen Vikaren die Präsidentinnen und Präsidenten der Exekutiven der kantonalen staatkirchenrechtlichen Körperschaften teilnehmen. In diesem geschlossenen Kreis kann manches vorbesprochen werden.

Den Finanzverwaltern in den Körperschaften obliegt die schwere Aufgabe, jeweils vor Entscheiden die finanzielle Notbremse zu ziehen. Ein Konfliktpotential auch im Bistum Basel?

Thürig: Der Bischof stösst bei den staatskirchenrechtlichen Körperschaften auf offene Ohren, wenn es um Finanzen für pastorale Projekte geht. Das zeigte sich zum Beispiel beim grosszügigen Projektbeitrag für den Pastoralraumerrichtungsprozess. Vermutlich konnten wir die Körperschaften bis jetzt immer davon überzeugen, dass die dem Bistum zur Verfügung gestellt Gelder effektiv und effizient verwendet und zum Wohl der kirchlichen Gemeinschaft eingesetzt werden. Der Bischof ist dankbar für die Unterstützung, die er erfährt. Bei kontroverseren Themen braucht es natürlich Zeit und Diskussionen, um sich mit der Sache und den Möglichkeiten auseinanderzusetzen.

Welche?

Thürig: An vom Bischof bestimmten Orten im Bistum wird die Messfeier in der ausserordentlichen Form des römischen Ritus gefeiert. Diese Orte erhalten bisher in der Regel keine finanziellen Mittel aus Kirchensteuern. Der Bischof sucht gemeinsam mit den kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften nach einem Finanzierungsmodell, um die betroffenen Priester, die ja nicht von Kirchgemeinden angestellt sind, unterstützen zu können.

Das bergige Berner Oberland, das entfernte Schaffhausen, das städtische Basel, welches immer wieder mit spektakulären Forderungen an die Bistumsleitung herantritt: Wie bringt das Bistum diese Vielfalt unter einen Hut?

Thürig: Das Schöne ist, dass wir das «Katholische» leben können. Unter einem Dach haben ganz unterschiedliche Meinungen und Charaktere Platz. Die Herausforderung besteht darin, dass man miteinander im Gespräch bleibt, die Geister, die uns umtreiben, unterscheidet und gemeinsam nachfragt: Wo liegen die Schwerpunkte in der Verkündigung der frohen Botschaft in der heutigen Zeit? Wie gestalte ich mein alltägliches Leben, damit es der Gesinnung Jesu Christi entspricht?

Was ist zurzeit die grösste Herausforderung im Bistum?

Thürig: Zunächst ist es sicher die mentale Herausforderung, sich in einer veränderten Welt und in einer sich erneuernden Kirche zu orientieren und dabei Glaube, Hoffnung und Liebe Gestalt zu geben. Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, in wessen Dienst ich stehe: Als Bischof, als Generalvikar, als Präsidentin einer Kirchgemeinde, als Pfarrer oder als Gemeindeleiterin, als Katechetin oder Jugendarbeiter, als Vereinspräsidentin oder Kirchenchormitglied. Wenn sich alle der Bedeutung und Reichweite ihrer Aufgabe bewusst sind, dann sprechen sie miteinander auf einem tragfähigen Boden. Es führt weiter, wenn jemand lernt, in den Schuhen des Anderen zu gehen, statt sich auf dessen Thron setzen zu wollen.

Eine weitere Herausforderung, die der Bischof gemeinsam mit den staatskirchenrechtlichen Körperschaften anpackt, ist die langfristige Strategie bezüglich der kirchlichen Immobilien. Was benötigt unsere Glaubensgemeinschaft an Kirchen, Pfarrhäusern, Pfarreiheimen, um den Glauben zu feiern und das Gemeinschaftsleben zu pflegen? Tragfähige Lösungen können miteinander gefunden werden.

Eine weitere Herausforderung ist die Personalsituation. Dem Bischof fehlt Seelsorgepersonal, das er in die Pfarreien entsenden kann; die Kirchgemeinden haben offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Das führt zu Spannungen. Geduld ist zuweilen nötig, bis eine Lösung gefunden ist. Es gehört zur erwähnten mentalen Herausforderung, sich auf eine Zeit einzustellen, die trotz Leerstellen christliches Leben gestaltet. Mit errichteten Pastoralräumen haben wir bisher viele gute Erfahrungen gemacht. Die Seelsorgeteams können die vielfältigen Seelsorgeaufgaben besser erfüllen, weil sie die Stärken der jeweiligen Seelsorger und Seelsorgerinnen breiter einsetzen können.

Die angespannte Personalsituation erfordert Flexibilität sowohl von den Kirchgemeinden wie von der Bistumsleitung…

Thürig: Es braucht Beweglichkeit. Um ein kirchlicheres Wort zu brauchen: Dienstbereitschaft.

Ist dies ein Lernprozess, den auch ein Generalvikar durchhalten muss?

Thürig: Schon vor meiner Zeit als Generalvikar konnte ich Erfahrungen sammeln. Aber auch als Generalvikar ist es mir wichtig, dass ich Seelsorger sein und die Dienstbereitschaft jeden Tag einüben kann. In jeder Arbeit, bei der Beschäftigung mit jeder Frage mache ich mir gerne bewusst, dass ich ein Seelsorger bin: Die Verkündigung Jesu Christi steht im Vordergrund. Für ihn höre ich die Fragen der Menschen an und gehe mit ihnen ein Stück Weg.

Ist der Bischof der Heizer oder der Kapitän im Bistum?

Thürig: So wie ich Bischof Felix Gmür kenne, würde er sich auf ein Wort von Papst Franziskus stützen und das Bild des Hirten heranziehen: Einmal geht dieser voraus, einmal ist er mitten drin und einander mal folgt er der Herde. Der Bischof nimmt seine Führung wahr, wo er vorausgehen muss. Er mischt sich unter die Leute, um zu feiern. Er kann aber auch Leute vorausgehen lassen und schauen, wohin der Weg führt. (gs)

 

 

 

Markus Thürig, Generalvikar des Bistums Basel | © Petra Mühlhäuser
28. Juli 2015 | 07:28
Lesezeit: ca. 6 Min.
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