Iwan Rickenbacher

Gastkommentar: Kirche kann zu Pegida nicht schweigen

Zürich, 13.1.15 (kath.ch) Gastkommentar für kath.ch zu Pegida in der Schweiz von Iwan Rickenbacher, Kommunikationsberater und Präsident des Stiftungsrates des Medienausbildungszentrums (MAZ) in Luzern:

Die erste Kundgebung der Bewegung «Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) ist in der Schweiz angekündigt. Hat die in Deutschland geborene islamfeindliche Protestbewegung eine Chance in der Schweiz?

Bis in die frühen sechziger Jahre waren Parteien und Verbände in der Schweiz in der Lage, integrative Lösungen für praktisch alle bedeutenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fragen, welche die Bürgerinnen und Bürger berührten, anzubieten. Dann aber begann entlang ungelöster Probleme eine Phase zum Teil heftiger Proteste von Gruppierungen, die nicht im traditionellen Parteien- und Verbandsgefüge eingebunden waren. Soziale Aktionsgruppen, von den Arbeiter- bis hin zu den Umwelt- und Friedensbewegungen setzten sich im politischen Alltag mehr oder wenig lang durch. Sie etablierten sich vorab dort, wo es Parteien und Verbänden nicht schnell genug gelang, das öffentliche Protestpotenzial in der eigenen Politik aufzufangen. Die Zahl dieser Bewegungen verbreitete sich in der Schweiz gegenüber dem benachbarten Ausland überdurchschnittlich stark, weil Protestaktionen in unserem politischen System zusätzlich in Initiativen und Referenden münden können und damit direkte politische Wirkung erzielen.
Dort aber, wo die etablierten Parteien und Verbände den Unmut von Bürgergruppen auffingen und in eigene Konzepte integrierten, hatten Bewegungen eine kurze Karriere, so etwa die Autopartei oder die Schweizer Demokraten. Welche Perspektiven eröffnen sich Pegida in der Schweiz?

Erste Verlautbarungen des Vereins Pegida-Schweiz postulieren Themen wie Null-Toleranz gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern, das Burka-Verbot, die Durchsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative oder die Begrenzung des Einflusses des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Forderungen, die zum Teil aus dem Programm der SVP übernommen worden sind. Mit dem «Schutz der christlich-jüdischen Abendlandkultur» der einzigen einigermassen eigenständigen Positionierung von Pegida lässt sich nicht genügend Emotion schüren. So schafft es die aus Deutschland importierte Bewegung wohl kaum, sich für längere Zeit zu etablieren. Einer Bewegung ohne bekannte Führungspersonen, ohne erkennbare Strukturen wird zudem selbst von Sympathisanten nicht jene Durchsetzungsfähigkeit zugesprochen, die eine etablierte Partei bereits bewiesen hat.

Und doch. Pegida manifestiert sich in einem europäischen Umfeld, das in jüngster Zeit von gewaltsamen Aktionen gegenüber Minderheiten, von gnadenloser Unduldsamkeit gegenüber Andersdenkenden, von zunehmender Ausgrenzung von Randgruppen gekennzeichnet ist, und wo die Gewaltbereitschaft vielerorts wieder erschreckend zunimmt. Gegenüber diesen Ereignissen kann die Kirche nicht schweigen. Sie hat jene Werte in Erinnerung zu rufen und vorzuleben, welche das friedliche Zusammenleben der Menschen ermöglichen. Sie hat vorab zu zeigen, wie eigene Überzeugungen gelebt werden können, ohne den Respekt vor Andersdenkenden zu verlieren.

Iwan Rickenbacher | © Andrea Krogmann
13. Januar 2015 | 14:56
Lesezeit: ca. 2 Min.
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