Regula Grünenfelder an der Demonstration "Es reicht" in St. Gallen, März 2014
Schweiz

Frauenbund: «Homophobie ist zutiefst verletzend, andernorts sogar tödlich»

Luzern, 12.11.15 (kath.ch) Die von der letzten Bischofssynode propagierte Regionalisierung berge die Gefahr des Machtmissbrauchs, sagt die Schweizer Theologin Regula Grünenfelder. Und dieser könne anderswo in der Welt sogar tödlich sein, auch heute noch. Grünenfelder spricht damit die Situation von ungewollt schwangeren Frauen und Homosexuellen an. Sie ist Beauftragte für Kirche, Spiritualität, Religion und Bildungsbeauftragte beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF).

Regula Pfeifer

In seiner Stellungnahme zur Bischofssynode warnt der SKF: Die Regionalisierung der Kirche dürfe keineswegs bischöfliche Diktaturen fördern. Weshalb?

Regula Grünenfelder: Wer für eine lebendige katholische Tradition eintritt und nicht in einer versteinerten Kirche des 19. Jahrhunderts leben möchte, muss sich mit einem seltsamen Argument auseinandersetzen: Die Kirche in anderen Weltteilen sei mit ganz anderen Problemen konfrontiert als beispielsweise mit der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion. So wird ein wichtiges Problem bei uns zu einem rein westlichen Problem erklärt und gefolgert: Die Weltkirche kann keine Veränderungen angehen, wenn ein Sachverhalt nur für einen kleinen Teil der Gläubigen zum Problem wird.

Es hat sich eingebürgert, auf dieses Argument mit dem Ruf nach Regionalisierung zu antworten: Eine Weltkirche mit verschiedenen Lösungen für die Probleme verschiedener Kulturräume!

Ist es denn nicht so, dass die Probleme in anderen Weltgegenden anders sind und die Kirche anders handelt?

Grünenfelder: Auf jeden Fall! In Indien ist ein zentrales Problem die Mitgift, die Familien und Ehen zutiefst belastet. In vielen von Armut betroffenen Gegenden ist es der Alkoholismus. In Afrika ist es vielerorts Hunger, Vertreibung und Krieg.

Aber: In genau diesen Situationen wiegen Ausgrenzungen durch die Kirche noch viel schwerer, manchmal sind sie sogar tödlich. Schwule sind mancherorts in Afrika an Leib und Leben gefährdet. Ein afrikanischer Bischof hat an der Familiensynode ein extremes Votum gegen «homosexuelle Ideologien» abgegeben. Kirchliche Würdenträger, die mit Bibelzitaten Homosexualität mit der Todesstrafe in Verbindung bringen, liefern der Gewalt gegen Schwule ein religiöses Argument. Homophobie in der Schweiz ist empörend und zutiefst verletzend, andernorts ist sie tödlich.

Eine indische Ordensfrau erzählte mir von einer Fabrikarbeiterin, die sich von ihrem gewalttätigen Mann scheiden liess und einen guten Mann heiratete, mit dem sie Kinder hat. Die Familie besucht sonntags den Gottesdienst. Doch während die anderen Familien gemeinsam zur Kommunion gehen, tun dies in dieser Familie nur die Kinder. Das hinterlässt ein Gefühl des Ausgeschlossenseins. Und das ist in weniger individualisierten Gesellschaften besonders einschneidend.

An der unlängst beendeten Synode hat sich die Gruppe der deutschsprachigen Bischöfe besonders offen gezeigt, da waren keine afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Bischöfe vertreten …

Wir haben immerhin einen argentinischen Papst, der vieles ins Rollen bringt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die amtierenden Bischöfe von den letzten beiden Päpsten eingesetzt wurden. Johannes Paul II. liess in Lateinamerika gezielt Gegner der Befreiungstheologie zu Bischöfen weihen. Auch in anderen Weltgegenden kam es bei Bischofsernennungen immer wieder zu Konflikten, weil Johannes Paul ll. und sein Nachfolger ihre zentralistische und restaurative Politik über pastorale Erwägungen stellten. Die Folgen sind global und treffen die Ärmsten der Armen mehr als uns hier in der Schweiz.

Regionalisierung heisst nicht, wir wollen Lösungen für unsere Herausforderungen, und die mit den leisen Stimmen in Indien oder Lateinamerika sollen selber sehen, wo sie bleiben.

In welchen Ländern ist die Gefahr des Machtmissbrauchs durch Kirchenvertreter am grössten?

Grünenfelder: Je mehr Macht die Kirche hat, desto grösser ist das Risiko des Machtmissbrauchs. In säkularen Gesellschaften besteht dieses Problem weniger. Die deutschsprachigen Bischöfe an der Synode haben ein Schuldbekenntnis abgegeben und sich für das Leiden, das die Kirche in ihrer machtvollen Vergangenheit bei den Menschen verursacht hat, entschuldigt. Das bezog sich auf eine Zeit, da sie die Menschen noch stark beeinflusste und ängstigte. Es wäre doch fatal, wenn in Weltregionen, wo die Kirche heute noch Macht hat, später ein ähnliches Schuldbekenntnis ergänzt würde mit dem Hinweis auf uns. Im Sinn: Wir hätten es gewusst, uns aber nicht solidarisiert, beispielsweise mit den Frauen, die sich als Ecclesia of Women in Asia für kirchliche Frauenanliegen in der Region Asien engagieren.

Wie wünschen Sie sich denn Regionalisierung?

Grünenfelder: Die indische Ökonomin und katholische Theologin Astrid Lobo Gajiwala sagte: Jeder indische Bischof müsste wissen, wie viele Mädchen in seiner Diözese wegen ihres Geschlechts abgetrieben werden und dagegen aufstehen. Er müsste dafür sorgen, dass sich niemand in der Kirche an der Mitgift bereichert, und die Gefahr der Mitgift für das Familienleben aufzeigen. Das ist ein indisches Problem. Wie bei allen Gewaltverhältnissen weltweit, aus denen Frauen ausbrechen müssen, ist es wichtig, dass es ein Leben danach gibt, aufrecht, einen Neuanfang, eine Integration. Also ist auf ein indisches Problem wohl gerade die Zulassung zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene eine heilsame Antwort.

Das Zweite Vatikanum hat die kirchliche Regionalisierung angestossen, es ist wichtig, dass wir das Anliegen weiterführen. Es geht um Subsidiarität und um gemeinsame Verantwortung für das Evangelium, kurz, um die Frohbotschaft für die Menschen.

Wo steht die Schweiz diesbezüglich?

Grünenfelder: Wir haben von der Bischofskonferenz gerade einen Hirtenbrief zu lesen bekommen mit zwei Distanzierungen und einer nachgeschobenen Erklärung, wie denn das Papier gemeint gewesen sei. Dabei müsste Regionalisierung bedeuten, dass eine regionale Kirche eine gemeinsame Kultur entwickelt. Ein wichtiges regionales Element der katholischen Kirche der Schweiz ist das duale System. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Es ermöglicht die Mitsprache engagierter Menschen in der Kirche. Die Bewegung «Kirche mit den Frauen» deutet an, wohin die Reise gehen muss: Regionalisierung nicht ohne geregelte Mitsprache von Frauen, so dass sie auch die Ebene der Bischofskonferenz erreicht.

Und wie steht es um einen allfälligen Machtmissbrauch hierzulande?

Grünenfelder: Bei uns geht es heute nicht mehr um Leben oder Tod wie früher noch und auch heute in anderen Weltgegenden. Noch vor Jahrzehnten haben sich katholische Frauen an das Verhütungsverbot gehalten und jeden Monat Angst gehabt vor einer neuen Schwangerschaft. Oder sie haben nicht verhütet und ab und zu durch eine Abtreibung ihr Leben riskiert. Schliesslich konnten sie diese beichten und dann war es vorbei, während sie mit Kondomen in permanenter Sünde lebten. Gut, sind diese Zeiten vorbei. Schlimm, dass dies erst durch den Machtverlust so gekommen ist.

Wie engagiert sich der Frauenbund in diesen Fragen?

Grünenfelder: Wir setzen uns für die Rechte der Frauen ein – auch im Süden. Durch das Solidaritätswerk Elisabethenwerk kennen wir beispielsweise die besonderen Nöte der katholischen Frauen in Ländern wie Indien. Dank unserer breiten Vernetzung wissen wir, dass die Sorgfalt im Umgang mit konkreten Situationen an unterschiedlichen Orten Hand in Hand geht mit Solidarität.

Wir als Katholikinnen und Katholiken und die Kirche an sich müssen lernen, Regionalisierung und Geschwisterlichkeit zusammen zu denken: Worunter leiden die Ärmsten der Armen? Was brauchen sie, um Kirche als heilende, liebende Gemeinschaft zu erfahren? (rp)

 

Regula Grünenfelder an der Demonstration «Es reicht» in St. Gallen, März 2014 | © zVg
12. November 2015 | 17:18
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