Sexueller Missbrauch
International

Deutschlands Kirche entschädigt 1500 Opfer für sexuellen Missbrauch

Berlin, 15.1.15 (kath.ch) Fünf Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals hat die katholische Kirche in Deutschland rund 1.500 Entschädigungs-Anträge von Opfern bearbeitet. Dies erklärte der Trierer Bischof Stephan Ackermann am Donnerstag, 15. Januar, in Berlin. Rund 95 Prozent der Anträge auf eine materielle Anerkennung des erlittenen Leids seien positiv beschieden und an die entsprechenden Bistümer oder Ordensgemeinschaften weitergeleitet worden. Ackermann ist der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz.

Ludwig Ring-Eifel  / KNA

Für die katholische Kirche in Deutschland ist es bereits der zweite Anlauf. Nach einer im Januar 2013 mit lautem Krachen gescheiterten Studie zur Erforschung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Geistliche soll nun ein gross angelegtes Forschungsprojekt dazu beitragen, dass mehr Licht in ein dunkles Kapitel des kirchlichen Lebens kommt. Gleich vier renommierte Institute an drei deutschen Universitäten sind beteiligt. Mehr als 200 lange Einzelgespräche mit Betroffenen werden geführt und Tausende Seiten Personal- und Prozessakten gesichtet, um zu ergründen, wie es zu den schrecklichen Fällen kommen konnte.

Die Koordination hat der Psychiater und Forensiker Harald Dressing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim übernommen. Mit ihm werden Psychologen, Juristen, Kriminologen und Gerontologen der Universitäten Heidelberg und Giessen bis 2017 daran arbeiten, auch bislang nur wenig bekannte Aspekte des sexuellen Missbrauchs in der Kirche zu untersuchen. Nach der 2002 erstmals veröffentlichten Studie des New Yorker «John Jay College of Criminal Justice», die weltweit Massstäbe setzte, könnte die deutsche Studie ebenfalls internationalen Vorbildcharakter haben.

Vorbild für übriges Europa

Damit würde die katholische Kirche in Deutschland, die bislang schon durch Telefonhotline, Opferentschädigung und Präventionsrichtlinien europaweit eine Vorreiterrolle übernommen hat, erneut mit gutem Beispiel vorangehen. Sie tut dies in der Hoffnung, dass auch die Ortskirchen im Süden und Osten Europas die heilsame Wirkung eines solchen Vorgehens erkennen und ihrerseits einen ähnlichen Weg einschlagen. Bislang tun sich viele von ihnen noch schwer damit.

Ebenso wie bei der John-Jay-Studie, die von der katholischen Bischofskonferenz der USA angefordert wurde, sind auch in Deutschland die katholischen Bischöfe selbst die Auftraggeber. Das bringt Probleme besonderer Art mit sich. Einerseits müssen die Forscher sich als unabhängig vom Geld- und Auftraggeber erweisen und die Freiheit haben, auch Ergebnisse zutage zu fördern, die den Bischöfen unangenehm sein könnten. Dazu zählen mögliche Erkenntnisse über einen unprofessionellen Umgang mit Verdachtsfällen und Akten oder gar bewusste Vertuschungsversuche von Bischöfe oder Generalvikaren.

Andererseits kann die Studie nur dann vertiefte Erkenntnisse bringen, wenn es ein Mindestmass an Vertrauen zwischen den Auftraggebern und den Forschern gibt. Weil genau das fehlte, war das erste Projekt, die sogenannte Pfeiffer-Studie, gescheitert. Nun haben Bischöfe und Experten vereinbart, dass kirchliche Mitarbeiter die benötigten Personalakten auswählen und zur Verfügung stellen – aber unter Mitwirkung von Juristen. Ohne das Vertrauen darauf, dass die Auftraggeber alle relevanten Akten auch wirklich herausgeben, kann dies nicht funktionieren.

Vorsichtsmassnahme

Noch ein anderer Aspekt ist besonders bei der Studie: Um zu verhindern, dass die Opfer bei ihren Schilderungen der schlimmen Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend erneut traumatisiert werden, setzt man auf besonderen Kenntnisse. Die beteiligten Heidelberger Gerontologen haben im Umgang mit Holocaust-Opfern Methoden entwickelt, wie traumatische Erlebnisse im Gespräch ans Tageslicht geholt werden können, ohne dass es dabei zu neuen seelischen Verletzungen kommt. Bereits 46 Opfer und 6 Täter wurden auf diese Weise befragt, mehr als doppelt so viele Gespräche sind noch geplant.

Trotz der grossen Zahl an Gesprächen und Aktenauswertungen sind von der Studie keine statistisch gesicherten Erkenntnisse über die relative Häufigkeit von sexuellem Missbrauch durch Geistliche zu erwarten. Dafür ist die Fallzahl zu gering, und es fehlen die Vergleichszahlen von anderen besonders gefährdeten Berufsgruppen wie Lehrern, Medizinern oder Jugendbetreuern.

Der wichtigste Wert der Studie wird in den aus den Erkenntnissen gezogenen Konsequenzen liegen. Schon jetzt ist absehbar, dass die Priesterausbildung sich unter ihrem Eindruck verändern wird. Und es wird vermutlich auch Vorschläge geben, wie Bischöfe und Generalvikare künftig für gravierende Fehlentscheidungen zur Verantwortung gezogen werden können. (kna)

 

 

Sexueller Missbrauch | © Andrea Krogmann
15. Januar 2015 | 17:54
Lesezeit: ca. 2 Min.
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