Dietrich Benner
Schweiz

Deutscher Pädagoge zum Nein für wiederverheiratete Geschiedene: Und die Kinder?

Freiburg i.Ü, 21.9.15 (kath.ch) Indem die katholische Kirche geschiedene Wiederverheiratete von der ganzheitlichen Feier des Glaubens ausschliesst, trifft sie auch die Kinder der Betroffenen, sagte der deutsche Pädagoge Dietrich Benner gegenüber kath.ch am Montag, 21. September. Sie zerstöre gleichermassen die familiäre wie die innerkirchliche Wurzel der Weitergabe des Glaubens.

Die Kirche verrate zudem ihre jesuanische Herkunft, wenn sie Menschen dauerhaft von der Teilhabe am Glauben ausschliesse und die Tradierung ihrer eigenen Religion werde «erschwert oder gar verunmöglicht», sagte der emeritierte Professor für allgemeine Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Er nahm kürzlich als Referent an einem Kolloquium über den katholischen Pädagogen und Franziskaner Père Girard in Freiburg (Schweiz) teil. Benner lebt in zweiter Ehe und konvertierte zum Protestantismus.

Georges Scherrer

Sie waren katholisch und haben die Konfession gewechselt. Warum?

Dietrich Benner: Als meine erste Ehe Anfang der 70er Jahre gescheitert war und ich 1973 eine zweite Ehe einging, hat diese nicht mehr den Segen der katholischen Kirche gefunden. Ich bin durch die zweite Eheschliessung quasi exkommuniziert worden. Damit hat die katholische Kirche es mir unmöglich gemacht, ihr weiterhin anzugehören.

Mit meiner Tochter aus erster Ehe auf dem Arm war ich jeden Sonntag zur Kommunion gegangen. Als der Priester mir die Kommunion reichte und dann ihr das erste Mal ein Kreuz auf die Stirn zeichnete, hat sie zu mir gesagt: «Papa, der Gott hat mich angefasst.» Nach der Messe habe ich ihr dann den Unterschied zwischen Gott und dem Priester zu erklären versucht. Eine solche Teilnahme am Glauben der katholischen Kirche konnte ich nach meiner zweiten Eheschliessung weder mit der Tochter aus der ersten noch mit den Kindern aus der zweiten Ehe praktizieren. Weil ich auch für die zweite Ehe einen religiösen Segen wünschte, bin ich Protestant geworden.

Sie wollten also den Glauben ganzheitlich weiterpraktizieren…

Benner: Ich habe die katholische Kirche mit all ihren Riten von meiner frühesten Kindheit an kennen gelernt und in allen Altersphasen Religion im Raum der katholischen Kirche erlebt, also während der Kindheit, der Jugend, als junger Erwachsener und als Vater. In den vergangenen sechs Jahren hatte ich eine Professur an der Cardinal Stefan Wyszyński University (UKSW) in Warschau und wohnte an den Tagen, die ich in dort lehrte, in einem Kloster der Salesianer, in dem ich jeden Morgen zusammen mit den Mönchen zur Messe ging. Da merkte ich, wie vertraut mir die katholische Religion immer noch ist, und mir wurde bewusst, dass die offizielle katholische Kirche es mir schon 40 Jahre nicht mehr erlaubt hat, zusammen mit meiner Familie Mitglied dieser Kirche zu sein.

Sind Sie deswegen der katholischen Kirche gram?

Benner: Ich verachte die katholische Kirche nicht und fühle mich dem Christentum in beiden Konfessionen, der katholischen und der evangelischen Form, verbunden. Was es heisst, eine nach dem Scheitern einer Ehe neu gegründete Familie nicht anzuerkennen, scheint mir in erster Linie ein Problem der katholischen Kirche zu sein. Sie schliesst damit nicht nur ein erwachsenes Mitglied aus ihrer Glaubensgemeinschaft aus, sondern macht es diesem zugleich unmöglich, zusammen mit der neu gegründeten Familie an dieser teilzuhaben, denn sie lässt in einer ersten Ehe Gescheiterte in einer zweiten Ehe nicht mehr zur Kommunion zu und zerstört auf diese Weise gleichermassen die familiäre wie die innerkirchliche Wurzel der Weitergabe des Glaubens.

Was bewirkt es bei Ihnen, wenn Sie mit dem technischen Begriff «geschiedener Wiederverheirateter» konfrontiert werden?

Benner: Wenn man in einer ersten Ehe gescheitert ist, muss man dieses Scheitern zu verstehen suchen, erinnern und verarbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass man sich in einer zweiten Ehe als «geschiedener Wiederverheirateter» interpretieren muss. Für meine zweite Frau und unsere Kinder bin ich dies nicht.

Fehlen Ihnen in der reformierten Kirche die katholischen Symbole, Bilder, Bräuche?

Benner: Mir fehlt in der evangelischen Kirche manches, was mir aus der katholischen Kirche vertraut war. Das Abendmahl kann die Kommunion nicht ersetzen, weil die meisten Gottesdienste ohne dieses stattfinden. Es ist für mich ein paradoxer Sachverhalt, dass die katholische Kirche eine Vielzahl von Sakramenten kennt und geschiedene Wiederverheirate ausschliesst, derweil die evangelische Kirche, die in der Ehe kein Sakrament sieht und daher auch zweite Ehen anerkennen kann, von den beiden Sakramenten, die sie kennt, nur die einmal im Leben eines jeden Gläubigen stattfindende Taufe praktiziert, das Abendmahl dagegen selten und in der Regel nicht einmal an den grossen Feiertagen.

So vermisse ich in der evangelischen Kirche de facto etwas von dem, was mir durch die katholische Sozialisation vertraut war. Aber einiges davon wird durch die stärker diskursive Struktur des evangelischen Glaubens und durch die Musik kompensiert. Seit ich der evangelischen Kirche angehöre, erlebe ich zum Beispiel die Bach-Passionen als eine evangelisch-christliche Glaubensform, die es mir unerklärlich erscheinen lässt, wie die katholische Kirche ihre jesuanische Herkunft soweit verraten kann, dass sie Menschen dauerhaft von der Teilhabe am Glauben ausschliesst und die Tradierung ihrer eigenen Religion erschwert oder gar verunmöglicht.

Falls sich die kommende Bischofssynode zu Ehe und Familie dafür ausspricht, dass geschiedene Wiederverheiratete zur Kommunion zugelassen werden, werden Sie dann zur katholischen Kirche zurückfinden?

Benner: Ich war mehr als 30 Jahre lang Katholik und bin jetzt schon 40 Jahre reformiert. Meine Ehe ist evangelisch gesegnet und meine Kinder sind protestantisch getauft. Sie haben meine katholische Vergangenheit nicht. Ich bin froh, mit meiner Familie ein und derselben Konfession anzugehören und würde diese selbst dann nicht aufgeben, wenn mir die katholische Kirche eine späte Rückkehr erlaubte. Dennoch halte ich es für wichtig, dass die katholische Kirche sich mit der gebotenen Demut stärker auf die Tatsache einlässt, dass Lebensentwürfe scheitern können und nach dem Scheitern neue Lebensformen gesucht und gefunden werden, die nicht nur eine moralische und rechtliche, sondern auch eine religiöse Anerkennung verlangen und verdienen. (gs)

Dietrich Benner | © 2015 Georges Scherrer
21. September 2015 | 16:35
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