Hugo Fasel und Bettina Fredrich von Caritas Schweiz erläutern die Armutsfrage, 20. Oktober 2015
Schweiz

Caritas-Direktor: «Einige neue Nationalräte haben sich für Sozialhilfe-Kürzungen engagiert»

Bern, 20.10.15 (kath.ch) Vom neu gewählten Bundesparlament erwartet der Direktor von Caritas Schweiz, Hugo Fasel, nicht allzu viel Engagement in Sachen Armutsbekämpfung, wie er an der Medienkonferenz am 20. Oktober in Bern erläuterte. Doch das hinderte ihn nicht daran, von Bund und Kantonen dezidiert eine umfassende Armutspolitik zu verlangen. Nicht die Altersvorsorge, sondern die Armut in der Schweiz ist laut Fasel die sozialpolitisch grösste Herausforderung der nächsten Zeit.

Regula Pfeifer

«Für Armutsbetroffene kommt keine gute Zeit», sagte der Direktor von Caritas Schweiz Hugo Fasel an der Medienkonferenz gegenüber kath.ch, angesprochen auf den Rechtsrutsch bei den Wahlergebnissen des Nationalrats. Von einigen der eben gewählten Parlamentariern aus dem rechten politischen Lager weiss der Chef des katholischen Hilfswerks, wie sie in ihren Kantonen auf Vorstösse zur Armutsfrage reagiert haben. «Sie haben sich in ihren Kantonen für die Kürzung der Sozialhilfe engagiert oder es abgelehnt, überhaupt einen Armutsbericht in ihrem Kanton zu erstellen.» Für Fasel ist dies aber kein Grund für Resignation. Vielmehr meinte er: «Wir wissen, was für eine Arbeit auf uns wartet.»

Die Ursachen von Armut angehen

Deshalb fordert der Caritas-Chef: «Es ist höchste Zeit, dass das neu gewählte Bundesparlament sich in der kommenden Legislatur eingehend mit den Ursachen von Armut beschäftigt und entsprechende Gegenmassnahmen ergreift». Bisher weigere sich die Bundespolitik, auf die Armutsfrage einzugehen. Sie rede sie klein oder schiebe sie auf die Kantone ab. «In den letzten vier Jahren wurden in den eidgenössischen Räten alle Vorstösse zur Armutsbekämpfung abgewiesen», kritisierte Fasel. Dabei würden die Weichen für eine umfassende Armutspolitik auf Bundesebene gestellt.

Die Bekämpfung der Armut ist laut Caritas die wichtigste sozialpolitische Herausforderung der nächsten Zeit, wie an der Medienkonferenz klar wurde. Das Hilfswerk betonte einmal mehr, wie stark Familien von Armut betroffen sind. Rund 250’000 Familien leben gemäss Caritas Schweiz hierzulande in Armut, viel mehr noch sind von Armut bedroht. Und das Risisko, die Armut zu vererben, sei gross, so die Caritas Schweiz.

Der Bund muss Weichen für Armutspolitik stellen

Das Bundesparlament müsse die Arbeitslosenversicherung so gestalten, dass die Integration von arbeitslosen Menschen verbessert werde, so Fasel. Dies, um Gegensteuer zur jährlich wachsenden Zahl von ausgesteuerten Arbeitslosen zu geben. Der Bund muss sich laut Fasel auch verstärkt für die Weiterbildung und Nachholbildung von Armutsbetroffenen einsetzen, denn Arbeitslosigkeit sei oft die Folge von veränderten beruflichen Anforderungen.

Zudem verlangt Fasel im Namen von Caritas Schweiz die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien auf Bundesebene – ähnlich der Regelung in den Kantonen Tessin, Solothurn, Waadt und Genf. Auch bei der Wohnungsmarkt- und die Finanzpolitik müsse zwingend die Armutsfrage berücksichtigt werden. Senke der Bund die Unternehmenssteuern, fehle schliesslich das Geld, um eine wirksame Armutspolitik zu betreiben, argumentiert der Caritas-Direktor und fordert: «Jede Politik braucht eine Armutsbrille».

Im Gegensatz zur Politik sei in der breiten Bevölkerung das Bewusstsein gewachsen, dass die raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen neue Risiken hervorgebracht haben und das Armutsrisiko stark gestiegen ist. Davon zeigte sich Caritas Schweiz fünf Jahre nach der Lancierung ihrer Kampagne «Armut halbieren» überzeugt. Ein Monitoring habe diese Bewusstseinswerdung festgestellt, erklärte Fasel gegenüber kath.ch. Dabei wurden unter anderem Anfragen an die Caritas zu Veranstaltungen sowie die Medienpräsenz des Themas festgehalten.

Der Kanton Bern geht mit gutem Beispiel voran

Wie die Kantone die Problematik der Familienarmut anpacken, das war das zweite Thema der Medienkonferenz. Die Informationen basierten auf einer Umfrage von Caritas Schweiz im Juni und August 2015 in allen Schweizer Kantonen. Das Fazit von Bettina Friedrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik bei Caritas Schweiz, war ernüchternd: Die kantonale Familienpolitik werde bis anhin nur wenig als Instrument der Armutsbekämpfung und Armutsprävention verstanden. Einzig der Kanton Bern verfüge seit November 2009 über ein strategisches Dokument zur Familienpolitik aus Armutsperspektive. Dessen Stärke liege in der die Existenzssicherung. Es weise aber Mängel in der für die Armutsbekämpfung ebenfalls wichtigen Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, erklärte Friedrich. Ausserdem hat der Kanton Bern laut Friedrich seit 2012 ein Konzept zur Förderung von Kleinkindern, das die Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt stellt.

Die Kantone Jura und Freiburg erarbeiteten derzeit eine Strategie zur Armutsbekämpfung bei Familien, so Friedrich weiter. Fünf weitere Kantone haben eine Strategie zur Förderung von Kleinkindern – dies als Instrument der Armutsbekämpfung und -prävention, so das Resultat der Umfrage. Weitere zehn Kantone verfügen entweder über eine Situationsanalyse zur Familienarmut oder haben einzelne Ziele zur Bekämpfung von Familienarmut in einem Strategiedokument festgehalten.

Acht Kantone hingegen haben keinerlei Ansätze für eine auf Armutsbekämpfung ausgerichtete Familienpolitik. Laut Caritas Schweiz handelt es sich dabei um Kantone der Ost-, Inner- und Südschweiz. «Wie sollen diese Kantone eine Strategie gegen Armut entwickeln, wenn sie nie einen Bericht dazu gemacht haben?», fragte Hugo Fasel dazu in die Runde. (rp)

Hugo Fasel und Bettina Fredrich von Caritas Schweiz erläutern die Armutsfrage, 20. Oktober 2015 | © Regula Pfeifer
20. Oktober 2015 | 17:08
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!