Muslime in der Paradies-Moschee St. Gallen
Schweiz

Beten statt kegeln: Moschee in der ehemaligen Kegelbahn

St. Gallen, 18.4.15 (kath.ch) Die Kegelbahn im ehemaligen Restaurant Burghof in St. Gallen wird seit drei Jahren als Moschee genutzt. Die Paradies-Moschee und ihr Imam Fehim Dragusha pflegen einen betont offenen Stil.

Vera Rüttimann

Dass hier Muslime beten, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Als wollte sich das ockerfarbene Gebäude wegducken, liegt die Paradies-Moschee «Xhamia e Xhennetit» unscheinbar im Schatten der evangelischen St. Leonhard-Kirche, die dieses Quartiert optisch dominiert. Auch ein Minarett sucht man hier vergebens. Von vorne sieht die Moschee wie eine Gastwirtschaft aus, was sie ja auch einmal war. Der rote Schriftzug «Burghof» an der Stirnseite des Gebäudes zeugt noch heute davon. Kritiker befürchteten im Vorfeld der Eröffnung dieser Moschee vor zwei Jahren einen neuen Hort radikaler Islamisten. Am Eingang wird der fremde Besucher zum Freitagsgebet jedoch betont freundlich begrüsst. Diese Moschee duckt sich nicht weg.

Donnernde Worte unter dem Kristallleuchter

Der Gebetsraum befindet sich im Keller des «Burghofs». Was sich dort auftut, ist ein kleines Paradies. In Socken betreten die Muslime den Raum, in dem sich früher eine Kegelbahn befand. Zuerst sehen sie, wie sich ihr Imam Fehim Dragusha in einem Nebenraum rituell die Füsse wäscht und sich mit Parfüm bestäubt, bevor er die Moschee betritt. Ein intensiver Rosenduft breitet sich aus. Dann ein Glitzern und Glimmern. Inmitten des mit Ornamenten verzierten Raumes hängt ein Kronleuchter mit grünen Kristalltropfen. Mehrere Dutzend Muslime – auffallend viele junge – sitzen darunter bereits Zehe an Zehe. Unter den Betern sind Studenten, Banker und Rentner. Die Mehrheit der Mitglieder des Vereins Paradies-Moschee sind aus dem Kosovo und Südserbien. Unter ihnen sind auch konvertierte Schweizer. Im Saal ist es ganz still.

Die Stille wird jäh unterbrochen. Aus der goldenen Gebetsnische ruft Fehim Dragusha laut: «Allahu akbar!» Nach der Anrufung Allahs setzt sich der Imam zur Predigt an ein Lesepult. Auch drei Wochen nach dem Germanwings-Absturz beherrscht dieses Thema die Gemüter der Muslime hier. «Wenn der Co-Pilot ein Muslim gewesen wäre, hätten alle auf uns gezeigt», sagt Dragusha und die Männer vor ihm nicken. Dann setzt er zu einem langen Monolog an. Den Imam treibt das Thema Gewalt im Islam um. «Der Islam ist gegen Gewalt und Terror und das sollte man auch immerzu erwähnen und nicht nur von Waffen und Schwertern sprechen.» Seine donnernden Worte füllen den ganzen Raum.

Abbau von Angst und Klischees

Nach dem Gebet macht Fehim Dragusha frischen Tee in seinem Büro. Dem Gast erklärt er: «Die Paradies Moschee ist eine internationale Moschee. Wir sind offen für Menschen aller Nationalitäten und setzen uns für Integration ein. Deshalb predige ich mehrsprachig. Zum Freitagsgebet kommen auch Schweizer, die sehen wollen, was wir hier machen.» Journalisten, sagt der Vorbeter, sind «ausdrücklich willkommen.» Man merkt: Die Muslime hier wollen Schweizern die Angst vor dem Islam nehmen.

Das möchte auch Shaban Bajrami, der sich zu Dragusha setzt. Der Kosovo-Albaner, der seit über 40 Jahren in der Schweiz lebt, hat die islamfeindliche Stimmung nach dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» hautnah miterlebt. Das bedrückt ihn noch immer. Der Rentner sagt: «Die meisten von uns sind nicht in die Schweiz gekommen, um Scharia-Gesetzte des Islams durchzusetzen. Ich bin dankbar, wenn ich hier friedlich leben kann.»

Das ist auch Fehim Dragusha, der hier mit seiner Frau und den drei Kindern im Obergeschoss des «Burghofes» lebt. Der 1982 in Pristina im heutigen Republik Kosovo geboren. Dragusha hat schon viel hinter sich: Er hat an der Universität im gleichnamigen Sultanat Brunei Darussalam islamische Theologie studiert und dann als Imam in Pristina in Kosovo gearbeitet, später auch in Singapur. 1999 flüchtete er vor dem Kosovo-Krieg, kam erst in ein Flüchtlingsheim nach Finsterwalde. Er hat Schreckliches gesehen. 2009 stellte Fehim Dragusha, den Antrag, in der Schweiz als Imam arbeiten zu können, der bewilligt wurde.

Dialog, Transparenz und Bildung

Fehim Dragusha setzt sich nach dem Freitagsgebet in sein Büro und beantwortet Mails. Er ist ein gefragter Gesprächspartner. Der weitgereiste Theologe sieht sich als Brückenbauer, der intensive Kontakte zu anderen Religionsgemeinschaften in der Stadt pflegt. Regelmässig nimmt er an einem interreligiösen Gebet in der Ökumenischen Gemeinde Halden teil. Dragusha sagt: «Die anderen Kirchen haben die Gründung der Paradies-Moschee von Anfang an unterstützt, auch moralisch.»

Ein zentrales Anliegen ist dem jungen Imam die Bildung. Fehim Dragusha sagt: «Die deutsche Sprache ist der Schlüssel für die Integration und Bildung. Nur haben das viele noch nicht verstanden.» Bemerkenswert: Im Vorstand des Vereins Paradies-Moschee sind drei Frauen, die für den Deutsch- und Englischkurs sowie für das Finanzwesen verantwortlich sind. Der offene Stil des Imams wird nicht bei allen Moscheen goutiert: «Ein Imam sagte mir unlängst: Eine Moschee ist nur zum Beten da.»

Fehim Dragusha kennt diese Haltung. Er aber wünscht sich aufgeschlossene Imame. Vehement setzt er sich daher für die Ausbildung von eigenen Imamen in der Schweiz ein. Der 30-Jährige will, wie der bekannte Berner Imam Mustafe Memeti, keine ausländischen «Importe». Er sagt: «Für Fragen rund um den Islam braucht es kompetente und seriöse Ansprechpartner, die auch den Schweizerischen Kontext kennen.» Weiter fordert Dragusha: «Der Schweizer Staat soll die Imam-Ausbildung übernehmen und den Islam als Staatsreligion anerkennen.»

Ein Stück heimatliche Verwurzelung finden St. Galler Muslime nun an der Paradiesstrasse 2. Zum Beispiel Shiza, ein junger Elektroingenieur-Lehrling. Shiza rollt an diesem Tag im Kellergeschoss mit anderen den Gebetsteppich weg, um die darunterliegenden Kegelbahnen für das Spiel freizugeben. Warum kommt er hierher? «Die Moschee gibt mir Halt und Struktur im Leben», sagt Shiza. Auch unter seinen Freunden gebe es ein Bedürfnis nach Zusammenhalt. Gerade nach den Anschlägen auf «Charlie Hebdo». Der 17-Jährige hat für sie Baklava mitgebracht, ein Gebäck aus Blätterteig, gefüllt mit gehackten Wallnüssen und Pistazien, das auf der Zunge einen herrlichen Honiggeschmack hinterlässt. Shiza fühlt sich wohl in der «Kegelbahn-Moschee», deren Imam sogar einen Jahresbericht verfassst, der öffentlich aufliegt. «Das macht sonst kaum eine andere Moschee.» Shiza träumt wie sein Imam von einem eigenen muslimischen TV-Kanal im Schweizer Fernsehen. Er sagt: «Viele wissen gar nicht, woran wir glauben und wie wir leben. Wir haben keine Möglichkeiten zu sagen, wer wir wirklich sind. Viele Schweizer aber haben Angst vor uns. Das muss sich ändern.» (vr)

 

Hinweis: Bilder zu diesem Text können direkt bei der Autorin bezogen werden: info@veraruettimann.com

Muslime in der Paradies-Moschee St. Gallen | © Vera Rüttimann | © Vera Rüttimann
18. April 2015 | 09:12
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!