César Mawanzi, Pfarrer in Rüti ZH.
Theologie konkret

César Mawanzi: «Mit seinem Besuch im Kongo setzt Papst Franziskus ein Signal gegenüber der Weltpolitik»

Die Demokratische Republik Kongo ist wegen ihres Reichtums an Rohstoffen zum Spielball der Weltpolitik und der Weltwirtschaft geworden. Für viele Menschen dort heisst das: Vertreibung und Gewalt. «Durch die Reise in den Kongo kann Papst Franziskus die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diesen Punkt lenken», sagt César Mawanzi (54), Pfarrer aus Rüti ZH.

Barbara Ludwig

Sind Sie stolz darauf, dass Papst Franziskus in Ihre Heimat reist?

César Mawanzi*: Stolz ist nicht das richtige Wort. Aber ich freue mich, dass es endlich klappt. Viele Menschen waren enttäuscht darüber, dass die für Anfang Juli 2022 geplante Reise abgesagt worden war. Es ist gut, dass die Reise jetzt stattfinden kann.

«Unter belgischer Kolonialherrschaft wurde der Kongo christianisiert.»

Warum ist es wichtig, dass Papst Franziskus den Kongo besucht?

Mawanzi: Kongo ist ein grosses Land, das zweitgrösste in Afrika. Mehr als 40 Millionen Menschen sind katholisch, es ist das Land mit dem höchsten Anteil von Christinnen und Christen auf dem Kontinent. Als solches hat es eine grosse Bedeutung für die katholische Kirche.

Der Kongo hat auch aus historischer Sicht eine grosse Bedeutung. Denn nach der Berliner Konferenz von 1885, auch Kongo-Konferenz genannt, kamen christliche Missionare nach Zentralafrika. Unter belgischer Kolonialherrschaft wurde der Kongo christianisiert. Seit dieser Zeit und bis heute kam das Land nie zur Ruhe. Die Gründe dafür sind bekannt.

César Mawanzi im Pfarrhaus in Rüti ZH.
César Mawanzi im Pfarrhaus in Rüti ZH.

Welche Gründe sind es denn?

Mawanzi: Es ist dieses Paradox: Die Demokratische Republik Kongo ist ein sehr reiches Land – und zugleich arm. Das Land verfügt über sehr viele Rohstoffe, nach denen die Welt giert. Die Weltmächte – die ehemaligen Kolonialmächte und die USA –, aber auch die Nachbarländer Ruanda und Uganda. Deshalb gibt es im Osten von Kongo gewaltsame Konflikte. Ruanda, ein sehr kleines Land, will expandieren und die rohstoffreichen Gebiete annektieren. Eine Rolle spielt dabei die Rebellen-Miliz M23. Diese versucht, die angestammte Bevölkerung zu vertreiben.

«Im Osten von Kongo herrscht seit über 20 Jahren Gewalt.»

Warum ist der Papstbesuch in diesem Kontext wichtig?

Mawanzi: Die katholische Kirche und Papst Franziskus möchten offensichtlich ein Zeichen setzen. Mit der Reise sagt der Papst, dass er an der Seite der vertriebenen und notleidenden Menschen steht. Es geht darum, zu zeigen, dass die Kirche nicht untätig bleibt gegenüber Gewalt und Ungerechtigkeit.

Zum Programm der Papstreise gehört auch ein Treffen mit Menschen aus dem Ostkongo, die Gewalt erlitten haben.

Mawanzi: Dieses Treffen ist von symbolischer Bedeutung. Im Osten von Kongo herrscht seit über 20 Jahren Gewalt. Über sechs Millionen Menschen sind Opfer der Auseinandersetzungen. Viele Frauen werden vergewaltigt. Der Frauenarzt Denis Mukwege hat in Bukavu, einer Stadt im Ostkongo, ein Spital gegründet, in dem Vergewaltigungsopfer operiert werden. Man spricht von ihm als «docteur qui répare les femmes».

«Wenn der Papst in den Kongo kommt, wollen ihn fast alle sehen.»

Im Kongo leben viele Christinnen und Christen, die nicht katholisch sind. Interessieren auch sie sich für den Besuch aus Rom?

Mawanzi: Bestimmt. Wenn der Papst in den Kongo kommt, wollen ihn fast alle sehen, nicht nur Katholikinnen und Katholiken – weil es einfach ein Ereignis ist. Auch Christinnen und Christen anderer Konfessionen fühlen sich angesprochen und äussern ihre Sympathie gegenüber dem katholischen Kirchenoberhaupt. Hinzu kommt: Der Reise des Papstes ist keine Privatsache der katholischen Kirche, sondern ein Staatsbesuch. Der kongolesische Staat investiert Geld in den Besuch.

Und warum macht er das?

Mawanzi: Weil der Kongo ein christliches Land ist und weil viele Politiker Christen sind, denen der Glaube etwas bedeutet. Zudem spielt die katholische Kirche eine sehr grosse Rolle in der Politik.

César Mawanzi, Pfarrer in Rüti ZH.
César Mawanzi, Pfarrer in Rüti ZH.

Tritt sie da auch als Kritikerin auf oder geht sie Hand in Hand mit den Mächtigen?

Mawanzi: In den vergangenen Jahren ist die Kirche wirklich als Beschützerin des Volkes aufgetreten. Sie hat die herrschende Ungerechtigkeit angeprangert und kritisiert, dass sich manche Politiker auf Kosten des Volkes bereichern. Sie ist eingetreten gegen eine Politik, die zur Verarmung der Bevölkerung führte.

Laurent Monsengwo.
Laurent Monsengwo.

Ein Beispiel dafür war Kardinal Laurent Monsengwo, Erzbischof von Kinshasa, der 2021 gestorben ist. Er ist ganz offen gegen die Regierenden vorgegangen, vor allem gegen Präsident Joseph Kabila und dessen Regime. Das hat zu Spannungen zwischen Kirche und Staat geführt und zu schweren Auseinandersetzungen.

«Im Kongo ist es Tradition, dass sich die Kirche gegen den Staat und die Regierung auflehnt.»

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Mawanzi: Die Kirche hat zu Demonstrationen gegen das Regime aufgerufen, diese sogar organisiert. Die Menschen haben in den Kirchen Gottesdienst gefeiert und danach gingen sie betend auf die Strassen. Die Regierung reagierte darauf mit Waffengewalt. Es gab viele Verletzte und Tote. Priester wurden ins Gefängnis geworfen. Im Kongo ist es Tradition, dass sich die Kirche gegen den Staat und die Regierung auflehnt.

Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa (Kongo).
Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa (Kongo).

Auch Fridolin Ambongo Besungu, der Nachfolger von Monsengwo als Erzbischof der Hauptstadtdiözese Kinshasa, gilt als politisch engagierter Kirchenmann, der sich für die Menschenrechte einsetzt.

Mawanzi: Das stimmt. Er pflegt eine sehr deutliche Sprache – insbesondere gegenüber Politikern. Er hat – wie man so sagt – seine Zunge nicht in der Tasche. Auch sein Leben ist sehr interessant. Als Bischof war Ambongo jeweils mit dem Motorrad unterwegs, um die Gläubigen zu besuchen. Das ist sehr gefährlich in einer Region, wo es keine Strassen gibt.

Besonders fasziniert hat mich sein Engagement am Ende der Herrschaft von Joseph Kabila. Da gab es eine grosse Krise. Und wieder ist die Kirche gerufen worden und hat als Schiedsrichterin eine politische Rolle gespielt, um Versöhnung herbeizuführen. Ambongo war Mitglied in der Kommission, die die Verhandlungen geführt hat. Seither ist er eine öffentlich bekannte Persönlichkeit.

«Im Kongo herrscht eine grosse Korruption.»

Was kann die Präsenz des Papstes in Ihrer Heimat bewirken?

Mawanzi: Mit seinem Besuch könnte Papst Franziskus die Politiker und Politikerinnen dafür sensibilisieren, dass sie in erster Linie für das Wohl der Bevölkerung zuständig sind und ihre Posten nicht bekommen, um sich persönlich zu bereichern. Sie sollen sich als Diener des Volkes verstehen.

Gibt es dieses Bewusstsein im Moment noch nicht?

Mawanzi: Im Kongo herrscht eine grosse Korruption – auf allen Ebenen. Und es existiert kaum noch das Bewusstsein, dass die Steuereinnahmen dem Staat gehören. Es kommt oft vor, dass ein Politiker Millionen in die eigene Tasche steckt und verschwindet. Er denkt, er müsse keine Rechenschaft ablegen.

«Mit dem Handy trägt jeder ein Stück Kongo in seiner Tasche.»

Und diesen Leuten soll der Papst ins Gewissen reden?

Mawanzi: Der Papst ist eine moralische Instanz. Aber selbstverständlich braucht es nicht den Papst, um die Leute zu erziehen. Aber hier wird er auch ein Signal setzen gegenüber der Weltpolitik: Es ist sinnvoll, auch einen Blick auf dieses Land zu werfen.

Warum ist das sinnvoll?

Mawanzi: Kongo ist zum Spielball der Weltpolitik und Weltwirtschaft geworden. Die Wirtschaft braucht Rohstoffe, etwa für die Raumfahrtindustrie oder die Telekommunikation. Mit dem Handy trägt jeder ein Stück Kongo in seiner Tasche. Coltan zum Beispiel gibt es in Ruanda nicht. Trotzdem ist Ruanda das wichtigste Exportland dieses Erzes. Das Coltan stammt aus dem Kongo, von wo es über Dritte nach Ruanda gelangt und weiter verkauft wird. Etwa nach Europa.

Wir sind als Gesellschaft involviert und verschliessen die Augen vor den negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung vor Ort. Wirtschaftliche Interessen sind uns wichtiger als das Leben der Menschen dort. Papst Franziskus hat das bereits mehrfach in seinen Predigten und Ansprachen kritisiert. Durch die Reise in den Kongo kann er die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diesen Punkt lenken. Jede und jeder von uns kann sich angesprochen fühlen.

*César Mawanzi (54) ist Pfarrer in Rüti ZH. Er stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Aufgewachsen ist er im Südwesten der ehemaligen belgischen Kolonie. Seit 1991 lebt er in Europa, Mawanzi studierte Theologie in Innsbruck. 1996 wurde er im Kongo zum Priester geweiht. 1999 ging er für ein Promotionsstudium in Fundamentaltheologie nach Deutschland. Mawanzi war während elf Jahren Pfarrer im deutschen Bistum Limburg. Seit 2018 ist er in der Schweiz als Seelsorger tätig.

César Mawanzi, Pfarrer in Rüti ZH. | © Barbara Ludwig
29. Januar 2023 | 05:00
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